laut.de-Kritik

Da watschelt die Weihnachtsgans gleich selbst zum Fleischer.

Review von

"Susan-Boyle-Massaker an Lou Reed verhindert". So titelte Welt Online böse, als der Velvet-Underground-Kopf angeblich sein Veto gegen die Neuinterpretation seines Übersongs "Perfect Day" durch die weibliche Ausgabe von Paul Potts einlegte. Wie Gerüchte es wollen, verließ die menschliche Rührseligkeit mit der Operettenstimme daraufhin heulend Fernsehshow und USA. So weit, so amüsant.

Doch jetzt wirds ernst: Boyle lässt sich auch durch fieses Presseecho nicht davon abhalten, auf ihrem zweiten Opus, ironischerweise "The Gift" betitelt, sowohl Reeds Meisterwerk als auch Leonard Cohens Geniestreich "Hallelujah" zu verhunzen.

Die platinschwere Heulboje verdirbt mit überbordendem Streichereinsatz, bebender Stimme, schamlos pathetischem Piano, zuckrigem Kinderchor und in unerträglich runtergeschraubter SloMo jegliche Ansätze der den Stücken ansonsten innewohnenden schönen Melancholie. Das Kitschpedal bis zum Anschlag durchgetreten, verwurstet sie zwei top Songs der Pop-Geschichte zu Musical-Rammsch, an pastoralem Pomp kaum zu überbieten. So eine knüppeldicke Portion Realität gilt es erst mal zu verkraften.

Hat man sich von vom ersten Schock erholt, wird es kaum besser. Zu allem Überfluss gesellt sich "Don't Dream It's Over" (Crowded House) in salbungsvoller, manierierter Weise zu öligen Weihnachtsliedern wie "O Holy Night" oder "O Come All Ye Faithful".

Natürlich mag selbst der hartgesottenste Zyniker kaum leugnen, dass Boyles Kehle ein glasklarer Gesang entspringt. Bei allem Entsetzen ob so viel anmaßender Unverfrorenheit lässt sich das stimmliche Talent nicht wegdiskutieren. Doch selbst das kann nicht trösten.

Obendrein rotzt man uns die vorweihnachtliche Verkaufsstrategie schon auf dem Cover ungehemmt ins Gesicht: "The perfect gift from the world's biggest selling artist". So wird die Bedeutung der verschandelten Stücke nur noch deutlicher ad absurdum geführt. Ihr Kinderlein, kommet und kaufet.

Salz in die Wunden streuen auch die Erklärungstexte im Booklet: "Perfect Day" ist für Boyle "about an idyllic day when everything goes right for you and you and your partner have a peaceful and harmonious time". Interpretationsfreiheit hin oder her, diese offenbart den Mangel an Verständnis für die Originale.

Wenn jetzt jeder sich auf diese Weise an solchem Kulturgut vergehen kann, legt sich die Weihnachtsgans doch gleich freiwillig unters Fleischerbeil. Klar, auch Reed selbst bekleckerte sich kaum mit Ruhm, als er sein Monument in seliger Einigkeit mit Pavarotti verhunzte.

Doch während man dem Meister den selbstgewählten Fehltritt verzeihen mag, möchte man angesichts der Boyle'schen Neuinterpretation einen Jutesack mit ihren CDs füllen und damit auf die Verantwortlichen eindreschen, inklusive Talentshows Jurydiktator Simon Powell sowie Pops Fließbandproduzent Steve Mac.

Solche Wunschfantasien lassen sich nur mit Blick aufs Fest aller Feste unter Kontroll bringen. Hilfe, es weihnachtet sehr.

Trackliste

  1. 1. Perfect Day
  2. 2. Hallelujah
  3. 3. Do You Hear What I Hear?
  4. 4. Don't Dream It's Over
  5. 5. The First Noel
  6. 6. O Holy Night
  7. 7. Away In A Manger
  8. 8. Make Me A Channel Of Your Peace
  9. 9. Auld Lang Syne
  10. 10. O Come All Ye Faithful

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