laut.de-Kritik

Im Studio fanden die Fab Four wieder zueinander.

Review von

Die letzten Zeilen des letzten gemeinsam aufgenommenen Stücks der größten Popband aller Zeiten könnten nicht besser ausgewählt sein: "Letztlich entspricht die Liebe, die du erhältst, der Liebe, die du gibst". Was sich auf Englisch noch etwas poetischer anhört: "And in the end / The love you take / Is equal to the love you make".

Dass es doch nicht das letzte Stück auf dem Album wurde, liegt zuallererst an einem Tontechniker. Beim Zusammenstellen des langen Medleys auf der B-Seite entschied Paul McCartney, ein 23 Sekunden langes Stück zu entfernen. "Wirf es einfach weg", wies er John Kurlander an. Der jedoch hatte die Anweisung, alles aufzubewahren.

So wartete er, bis McCartney gegangen war, hob das Stück Tape vom Boden auf und klebte es mit einem leeren Zwischenstück an das Band des fertig gestellten Mixes. Aus dem, wohl ohne sein Wissen, eine Vinylkopie erstellt wurde. Als die Beatles sie hörten, fanden sie die Idee lustig. Und so kam es zum ersten richtigen Hidden Track der Popgeschichte, denn das Cover war bereits gedruckt und das Stück dort nicht aufgeführt.

Als sie "The End" aufnahmen, war McCartney, John Lennon, Ringo Starr und George Harrison auch nicht bewusst, dass sie nie wieder gemeinsam musizieren würden. Allerdings war es ein offenes Geheimnis, dass es im Bandgefüge ordentlich krachte.

Es gab finanzielle Dinge zu regeln, denn das Gemeinschaftsprojekt Apple, das nichts mit der erst einige Jahre später gegründete Computerfirma zu tun hat, verschlang Unsummen. Um die Situation zu retten, sollte ein Manager her. Über die Besetzung des Postens herrschte aber Uneinigkeit: McCartney setzte sich für den Bruder seiner Frau Linda ein, die anderen drei für den Manager der Rolling Stones.

Auch über die musikalische Zukunft herrschte Ungewissheit. Nach den Monate langen Aufnahmesessions zum "White Album" (1968) stand die Idee im Raum, wieder live zu spielen. Der Projektname "Get Back" war dabei programmatisch: Zurück zu den Rock'n'Roll-Wurzeln der frühen Tage. Die Vorbereitungen dazu, im Januar 1969, wurden minuziös auf Film und Band festgehalten und endeten mit dem legendären "Rooftop Concert", bei dem die Band tatsächlich nochmal live auf dem Dach des Hauses spielte, in dem sich die Büros von Apple befanden. Die Stimmung war jedoch angespannt und das gesammelte Material sehr umfangreich, also beschlossen Lennon und McCartney, das Projekt erst mal auf die lange Bank zu schieben.

Musikalisch sprudelten die Ideen immer noch. Also versuchten sie sich gleich im Anschluss mit einem "Get Back" Teil 2: Zurück zu den Abbey Road Studios im Norden Londons, wo sie fast alles aufgenommen hatten, und vor allem zum Team, das sie stets begleitet hatte. George Martin hatte mitten in den Sessions zum "White Album" entnervt Urlaub genommen und bei den "Get Back"-Sessions nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Der eminent wichtige Produzent sagte zu - unter der Bedingung, dass er wieder eine zentrale Rolle spiele. Zurück kam auch Tontechnik-Chef Geoff Emerick, der 1968 das Handtuch geworfen hatte.

Eine schnelle Sache wurde das Album trotzdem nicht. Die Sessions fanden zwischen Ende Februar und Anfang Mai, dann wieder im Juli und August statt. Auch wenn in anderen Bereichen große Meinungsverschiedenheiten herrschten - im Studio fanden die Fab Four wieder zueinander. Das zeigt sich gleich am ersten Stück, das sich Lennon als Rock'n'Roll-Nummer im Stile Chuck Berrys vorgestellt hatte. McCartney hörte etwas ganz anderes heraus, verlangsamte es und schüttelte eine hypnotische Basslinie aus dem Ärmel. "Es ist eines meiner Lieblingsstücke der Beatles. Es ist funkig, es ist bluesig und ich singe ziemlich gut. Ich mag den Sound. Man kann dazu tanzen. Ich würde es kaufen!", zeigte sich Lennon kurz vor seinem Tod 1980 immer noch begeistert.

Überhaupt schienen sich die Beatles gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Im Anschluss kommt das vermutlich herausragende Stück des Albums (wie auch Lennon meinte), jenes "Something", mit dem sich Harrison als Songwriter etablierte, nachdem er lange im Schatten von Lennon und McCartney gestanden hatte. Eine Ballade, die jenseits der gängigen Klischees versucht, die Gründe des Verliebens zu erklären. "Er hatte eine Weile gebraucht, um ein guter Songwriter zu werden. Nun war er auf dem Höhepunkt seines Schaffens", schreibt McCartney im Vorwort zu dieser Ausgabe.

Eine Qualität, die ihm offenbar nicht jeder zugetraut hatte - und später auch nicht zutraute. So erzählte Harrison Jahre später von einem Kommentar Michael Jacksons bei einem gemeinsamen Interview für den britischen Sender BBC. "Du hast wirklich 'Something' geschrieben? Ich dachte, es sei ein Lennon/McCartney-Song".

Gegen Lennons politisches Statement - "Come Together" hatte er ursprünglich für LSD-Guru Timothy Leary geschrieben, der sich als Gouverneur von Kalifornien aufstellen lassen wollte - und Harrisons Meisterstück fällt McCartneys erster Beitrag grobschlächtig aus. Im wahrsten Sinne, denn "Maxwell's Silver Hammer" geht auf den Köpfen verschiedener Opfer nieder und schickt sie unsanft ins Jenseits. Ein Nonsense-Stück, wie es zuvor "Obladi-Oblada" gewesen war, und von den anderen Mitgliedern ebenso verhasst. "Aber wenn Paul sich etwas in den Kopf gesetzt hatte ... ", entschuldigte sich Harrison 1977.

Mit dem räudigen "Oh! Darling" rehabilitiert sich der Bassist wieder. Zumindest packt er die raue Stimme aus, die er in früheren Beatles-Zeiten eingesetzt hatte, etwa in "Long Tall Sally".

Stück Nummer vier ist eine Seltenheit, weil es aus der Feder Starrs stammt - eines von nur zwei Stücken von ihm im gesamten Repertoire der Band. Eine Schunkelnummer, die er unter ernsten Umständen geschrieben hatte, nachdem er die Band während der Sessions zum "White Album" vorübergehend verlassen hatte. Auf dem Segelboot des Schauspielers Peter Sellers vor der Küste Sardiniens stellte es sich vor, unter Wasser zu leben, im Schatten eines "Octopus' Garden". Die Anspielungen sind deutlich - er wollte weg von den Streitereien, Egospielchen und dem ganzen Rummel um die Band. Nach zwei Wochen war er jedoch wieder in London, nachdem ihm seine Mitstreiter per Telegramm mitgeteilt hatten, dass sie ihn sehr vermissten.

Die erste Seite des Albums endet mit Lennons "I Want You (She's So Heavy)", das Gegenstück zu "Something" - so zart das eine, so brutal das andere. Es fühlt sich an wie ein Zug, der auf einen zu rast, während man an die Gleise gekettet ist. Eigentlich aus zwei Stücken zusammen gesetzt, scheinen zum Schluss die vier Reiter der Apokalypse anzustürmen, zu denen sich Billy Preston mit einer mörderischen Hammond-Orgel gesellt. Das abrupte Ende wirkt wie eine Befreiung.

So passt es, dass darauf die zweite Komposition Harrisons folgt, das Gute-Laune-Stück "Here Comes The Sun". Es leitet die B-Seite des Albums ein, die in einer gewissen Hinsicht an "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" (1967) erinnert, denn die Stücke neun bis sechzehn gehen nahtlos ineinander über. Ein brillanter Einfall, denn letztlich handelt es sich um unvollendete Songideen McCartneys/Lennons, die sie mithilfe von Martin und seinen orchestralen Kompositionsfähigkeiten zu einer Einheit schmiedeten. Obwohl inhaltlich kein zwingender Zusammenhang besteht.

Das schönste Stück auf Seite zwei ist Lennons "Because", auf dem die Beatles (minus Starr) ihre choralen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Noch mehr als die Album-Version geht die A capella-Version unter die Haut, die sie 1996 auf "Anthology 3" veröffentlichten. Dass sie hier nicht zu den Bonustracks gehört, ist das Haar in einer sonst sehr schmackhaften Suppe.

Wie schon bei den Neuauflagen der vorigen Alben kümmerte sich George Martins Sohn Giles um die klangliche Aufarbeitung zum 50. Jubiläum - und absolvierte erneut einen hervorragenden Job. Noch mehr herauszuholen als im Original sei diesmal schwierig gewesen, schreibt er im Vorwort. Die Studios hatten sich 1969 ein neues Mischpult angeschafft, das Aufnahmen auf acht statt wie zuvor vier Spuren ermöglichte. Die Klangtiefe war berauschend, besonders gut in "Because" herauszuhören, bei dem Harrison, Lennon und McCartney ihre Stimmen mehrfach übereinander legten.

Eine Weiterentwicklung der Technik, die im digitalen Zeitalter kaum noch nachzuvollziehen ist, und die in den folgenden Jahren noch zu vielen Spielereien führen würde, etwa mit Queens "Bohemian Rhapsody". Mit Pro Tools sind heutzutage nahezu unendlich viele Tonspuren möglich - wie sich das anhört, zeigt die Blu-Ray mit Dolby Atmos-Abmischung in der Super Deluxe-Ausgabe.

Martin ist es tatsächlich gelungen, das Album noch unmittelbarer abzumischen: Man hat das Gefühl, mittendrin zu sein. Die Vinylversion wartet mit einem lustigen Gimmick auf: Das Cover des Albums mit dem Zusatzmaterial zeigt die vier Mitglieder, wie sie die Straße in die andere Richtung überqueren. Diesmal nicht stramm nach vorne, wie auf dem bekannten, sondern ungeordnet.

Die Fotos entstanden auf dem Zebrastreifen vor den Aufnahmestudios. Die Idee ging auf McCartney zurück, die Umsetzung auf den Fotografen Iain Macmillan, der mit Lennon und dessen Frau Yoko Ono befreundet war. Ein Polizist hielt die Autos auf, Macmillan kletterte auf eine Leiter und ließ die Beatles mehrmals hin und her laufen. Von den nur sechs Fotos, die dabei entstanden (auch so eine Sache, die heute unvorstellbar ist), wählte McCartney das fünfte aus.

Der Umstand, dass er keine Schuhe trug, führte zur absurden Verschwörungstheorie, dass es sich um einen Doppelgänger handele, da er in Wirklichkeit gestorben sei. Der wahre Grund war dagegen einfach: Es war ein heißer Sommertag, McCartney hatte sich zwischen zwei Überquerungen seiner Sandalen entledigt.

Das Promomaterial bietet einige interessante Momente. "The Ballad Of John And Yoko" und "Old Brown Shoe" landeten nicht auf dem Album, wurden aber als Singles veröffentlicht. "Goodbye" und "Come And Get It", hier in Demoversionen McCartneys zu hören, landeten in den Interpretationen von Mary Hopkin und Badfinger (beide bei Apple unter Vertrag) in den oberen Etagen der Single-Charts.

Eine besondere Erwähnung verdient natürlich "Her Majesty", also jenes Fragment, das eher zufällig das Album abschließt. Es ist ein typisches McCartney-Stück, in einem Augenblick ersonnen und ebenso schnell aufgenommen. Zumindest hier, denn die Beatles hatten schon bei den "Get Back"-Sessions daran gefeilt.

Die drei Takes, die McCartney später alleine aufnahm, sind hier alle vertreten. Die Idee war, es im Medley zwischen "Mean Mr. Mustard" und "Polythene Pam" zu platzieren, aber so richtig passte es nicht, wie hier eine frühe Version des Medleys, "The Long One", zeigt. Als es auf der Probepressung überraschenderweise zu hören war, beschlossen die Beatles, es doch zu verwenden, samt Pause. Statt über die Liebe zu philosophieren, machten sie sich (bzw. McCartney) augenzwinkernd über die Queen lustig. "Her Majesty is a pretty nice girl / But she doesn't have much to say", so die ersten Zeilen.

Dass er nicht das letzte Wort hatte, störte Lennon offenbar nicht. Vielleicht, weil er den Orden zurück gegeben hatte, den ihm die Queen 1965 verliehen hatte - aus Protest gegen das Verhalten der britischen Regierung in den Kriegen in Nigeria und Vietnam. Vielleicht war es zu diesem Zeitpunkt auch egal, denn als das Album Ende September 1969 erschien, erklärte Lennon den anderen Mitgliedern, dass er die Band verlassen würde.

Eine Entscheidung, die noch einige Monate geheim blieb. Doch das ist eine andere Geschichte, die zur Veröffentlichung der "Get Back"-Sessions unter dem Titel "Let It Be" im Frühjahr 1970 (und vermutlich wieder 2020) passt.

Trackliste

Album

  1. 1. Come Together
  2. 2. Something
  3. 3. Maxwell's Silver Hammer
  4. 4. Oh! Darling
  5. 5. Octopus's Garden
  6. 6. I Want You (She's So Heavy)
  7. 7. Here Comes The Sun
  8. 8. Because
  9. 9. You Never Give Me Your Money
  10. 10. Sun King
  11. 11. Mean Mr Mustard
  12. 12. Polythene Pam
  13. 13. She Came In Through The Bathroom Window
  14. 14. Golden Slumbers
  15. 15. Carry That Weight
  16. 16. The End
  17. 17. Her Majesty

Bonus-Material 1

  1. 1. I Want You (She's So Heavy) (Trident Recording Session & Reduction Mix)
  2. 2. Goodbye (Home Demo)
  3. 3. Something (Studio Demo)
  4. 4. The Ballad Of John And Yoko (Take 7)
  5. 5. Old Brown Shoe (Take 2)
  6. 6. Oh! Darling (Take 4)
  7. 7. Octopus's Garden (Take 9)
  8. 8. You Never Give Me Your Money (Take 36)
  9. 9. Her Majesty (Takes 1-3)
  10. 10. Golden Slumbers / Carry That Weight (Takes 1-3 / Medley)
  11. 11. Here Comes The Sun (Take 9)
  12. 12. Maxwell's Silver Hammer (Take 12)

Bonus-Material 2

  1. 1. Come Together (Take 5)
  2. 2. The End (Take 3)
  3. 3. Come And Get It (Studio Demo)
  4. 4. Sun King (Take 20)
  5. 5. Mean Mr. Mustard (Take 20)
  6. 6. Polythene Pam (Take 27)
  7. 7. She Came In Through The Bathroom Window (Take 27)
  8. 8. Because (Take 1 - Instrumental)
  9. 9. The Long One (Trial Edit & Mix - 30 July 1969)
  10. 10. Something (Take 39 - Instrumental - Strings Only)
  11. 11. Golden Slumbers/Carry That Weight (Take 17 - Instrumental - Strings & Brass Only)

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Beatles – ABBEY ROAD - 50th Anniversary (Ltd. 2CD) €17,98 €3,00 €20,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Beatles – ABBEY ROAD - 50th Anniversary (1LP) [Vinyl LP] €30,99 Frei €33,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Beatles the – Abbey Road - 50th Anniversary (Ltd. Picture LP) €197,79 Frei €200,79

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT The Beatles

Die Geschichte der vier 'Pilzköpfe', die später einmal die Welt erobern sollten, beginnt mit einem Halbstarken, der sich in der Schule langweilt. John …

4 Kommentare mit 8 Antworten