laut.de-Kritik
Zwischen dunklen Dungeons und Jazz-Lounge.
Review von Dominik Kautz"Stelle dich der Musik nicht in den Weg, sondern geh' ihr einfach nach. Erschaffe sie, während du ihr folgst." Mit diesem Modus Operandi formen The Necks seit 33 Jahren mit nahezu schlafwandlerischer Sicherheit transzendente, instrumentale Klanguniversen. Von der New York Times euphorisch als "großartigstes Trio der Welt" geadelt, folgt 2019 die verdiente Ehrung als 'Best Jazz Act' bei den australischen National Live Music Awards. Zwei Jahre nach "Body" sowie den 2019er-Kollaborationen mit Underworld und Swans legen The Necks mit "Three" die 21. Platte vor und bestätigen ihren Status als exzellente Impro- und Experimentalmusiker erneut.
Gegensätzlich zum Großteil der Vorgängerplatten, besteht das aktuelle Werk nicht aus einem singulären, 60-minütigen Soundgebirge. Dem Albumtitel alle Ehre machend, liefert das Trio mit "Three" stattdessen drei jeweils 20 Minuten dauernde, sich stark voneinander unterscheidende Songs. Ähnlich eines aufklappbaren Triptychons, beleuchtet jeder der in sich geschlossenen Tracks auf "Three" dabei eine andere Facette des Schaffens der Australier. Erst am Ende der Platte fügt sich die Vielfalt zu einem großen Ganzen. Die Ausgangsbasis bildet zwar im weitesten Sinne der Avantgarde-Jazz, das imaginäre Ziel der idiosynkratischen Metamorphosen jedoch verschleiert das Trio stets entgegen jeglicher Hörerwartung.
Dass es bei dieser Platte aber sowieso besser ist, Erwartungen am besten schon im Voraus an den Nagel zu hängen (oder gar nicht erst zu haben), zeigt der Opener "Bloom". Nach nur einer einzigen gezupften Note des repetitiven Motivs von Kontrabassist Lloyd Swanton durchbricht Drummer Tony Buck mit seinem Schlagwerk wie ein Sturm die noch gar nicht aufgebaute Szenerie. Von jetzt auf gleich steht er mit seinem durchgängig treibenden, wild rasselnden Strudel aus Trommeln und verschiedenen Percussioninstrumenten im Vordergrund. Sekunden später durchdringt auch Chris Abrahams mit sanft schwebenden, wie gesungen wirkenden Klavierakkorden das wohlgeordnete Chaos. Hier und da blitzen elektronische Töne durch das feinmaschige Gewebe.
"Bloom" wirft den Hörer ohne Vorwarnung mitten in ein furioses Geschehen, das turbulenter und gleichzeitig unaufgeregter nicht wirken könnte. Fast unbemerkt verschiebt man den Hörfokus in den kommenden Minuten immer wieder, pendelt zwischen den Instrumenten und erkundet so expressive Klanglandschaften. Einer akustischen Umarmung von außerordentlicher Sogwirkung gleich, entwickelt sich der Track in seinem Verlauf zu einer The Necks-typischen, tranceartigen Séance, irgendwo zwischen Momenten der Eleganz von Terry Riley, Alice Coltrane, Ornette Coleman oder Pharoah Sanders. Zusätzlich gibt es vor allem gegen Ende des Stückes mit kreisförmig mäandernden Synthies auch noch unerwartete Progressive Rock-Anklänge à la Yes.
Mit "Lovelock" konterkarieren The Necks die im Opener aufgebaute bunte Stimmung vollständig und tauchen ab in einen geheimnisvollen Dungeon aus bedrohlich dunklen, Ambientklängen und Soundeffekten. Das bedrückende Kolorit jenseits von Raum und Zeit verwundert wenig: Die Australier widmen diesen Song ihrem im Sommer 2019 im Alter von 65 Jahren an Krebs verstorbenen Landsmann Damien Lovelock, der von 1979 bis zu seinem Tod Frontmann der Rockband The Celibate Rifles war.
Der zeremonielle, mystische Charakter der Threnodie begleitet folglich die gesamte Komposition. "Lovelock" klingt deutlich reduzierter, minimalistischer und vor allem dynamischer. Swantons manchmal gestrichener, manchmal im Pizzicato gespielter Bass ergänzt sich hervorragend mit Bucks an- und abschwellenden Wirbel sowie den ganz gedämpften Momenten, in denen winzige helle Glöckchen das Licht weisen. Abrahams an Morton Feldman à la "Triadic Melodies" angelehnte flüchtige Klaviertupfer komplettieren die sinistre Elegie in schwebender Leichtigkeit. Dass eines seiner Motive eine frappierende Ähnlichkeit zu Koji Kondos "Secret Sound" aus Zeldas "Ocarina Of Time" aufweist, mag zwar unbeabsichtigt sein, passt aber bestens in die düstere Atmosphäre.
Zum Finale überraschen The Necks mit dem für ihre Verhältnisse fast traditionellen "Further". Plötzlich klingt die akustische Tapete lebendig, optimistisch und ozeanisch. Der perfekte Soundtrack für einen lässigen Drink in jeder gut aufgestellten Jazz-Lounge. Wellenartig fließende Klavierfiguren, tragende Hammondorgelfahnen, ein stoisch schreitendes Bassostinato und vorbeiwehende Akkordtupfer einer unverzerrten E-Gitarre umspielen den organischen, hypnotisch-meditativen Groove 'in the mood'. Alles, das hier entsteht, entspringt einem Fluss und fließt mit subtilen Änderungen unaufhaltsam weiter. Konsequent daher auch die Entscheidung, das verträumte und sehr warme "Further" als einziges Stück der Platte mit einem Fade-Out, quasi ohne echtes Ende, ewig fließen zu lassen.
Das Erforschen von fragilen Klangwelten, die erst im Moment ihres Entstehens Form annehmen und so zu leben beginnen, zelebrieren The Necks auch auf "Three" par excellence. "Gelenkter Zufall als Ästhetik", nennt es Basser Swanton. Das selbstgesteckte Ziel, auf jedem Album anders klingen zu wollen, erfüllt das Trio mit seinem vielschichtigen, immersiven Klanggebräu aus experimentellem Jazz, Minimal Music, Ambient und Neoklassik abermals bravourös. Wenn es um improvisierte Instrumentalmusik geht, kommt man an The Necks definitiv nicht vorbei.
1 Kommentar mit einer Antwort
Wie immer absolut genial. Gerade "Further" blässt einen ganz schön weg. Nur der schizophrene Schlagzeug-Rythmus vom Opener muss sich erst mal im Gehörgang festsetzen.
...ist menschenfleisch!
Absolut geniale Platte, ja.