laut.de-Kritik
Aufregender Trip durch das umfangreiche Schaffen des Trios.
Review von Toni Hennig2017 fanden The Necks mit "Unfold" auch außerhalb der Improvisations-Szene zunehmend Anerkennung. Dabei dürfte das Album, das eine atemberaubende Intensität und Schönheit aufweist, als das bisher jazzigste des Trios durchgehen. Mit "Body" versuchen die Australier gar nicht erst, dieses Ausnahmewerk zu übertrumpfen. Eher untermauern sie mit der Platte ihre kontinuierliche Wandlungsfähigkeit.
Dabei besteht "Body" aus einem einzigen, fast einstündigen Track, was bei dem Kollektiv nichts Ungewöhnliches darstellt. Dieser unterteilt sich jedoch in vier äußerst kontrastreiche Episoden. Dadurch nähert sich das Trio auf "Body" seiner Musik von einer völlig neuen Perspektive an. Seine unnachahmlichen Stärken betont es dennoch. Dementsprechend besitzen so manche Momente auf dem Album etwas überaus Vertrautes.
Zunächst legt ein gleichbleibendes, aber treibendes Schlagzeugmotiv von Tony Buck die Ausgangsbasis für die Platte. Dazu streut Chris Abrahams atmosphärische Pianotöne ein, die er nur geringfügig variiert. Dazwischen ertönt immer wieder der akustische Bass von Lloyd Swanton, der mit seinem Spiel die Improvisation kraftvoll vorantreibt. Die einzelnen klanglichen Komponenten verbinden sich zu einer unvergleichlichen Melange aus Jazz, Ambient, Elektronik, Avantgarde und Minimal Music. Dieser genreübergreifende Ansatz prägte im Grunde genommen die meisten Scheiben der Australier, allen voran ihr hypnotisches Meisterwerk "Hanging Gardens" von 1999.
Schließlich geht das Stück nach ungefähr 15 Minuten nahtlos in eine zurückgenommene Phase über, geprägt von wabernden Orgelsounds im "Unfold"-Stil, die menschlichen Lauten ähneln und gerade deswegen eine humane Wärme ausstrahlen. Melancholie und Schwermut erzeugen wiederum die streicherähnlichen Klänge am Bass. Darüber hinaus dringt Tony Buck mit seiner Akustikgitarre in verträumte, psychedelische Sphären vor.
Sein motorisches Schlagzeugspiel und seine noisigen Sounds an der E-Gitarre, die sich nicht merklich verändern, stehen oft im Vordergrund. Unweigerlich fühlt man sich als Hörer an die experimentellen Klänge der New Yorker No Wave-Szene Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre erinnert. So körperlich präsentierte sich das Kollektiv zumindest im Ansatz nach der Jahrtausendwende mit Platten wie "Chemist" (2005).
Natürlich spielt das Trio nicht sämtliche Instrumente gleichzeitig ein, sondern in mehreren Sessions. Erst im Studio fügt es das daraus entstandene Material zu einem stimmigen Ganzen zusammen und unterlegt dieses mit technischen Effekten wie Overdubs. Als Tongingenieur und Mixer für The Necks hat sich Tim Whitten (unter anderem The Go-Betweens) die letzten zwölf Platten bewährt.
Das letzte Viertel von "Body" leitet Buck haarscharf vor Beginn der vierzigsten Minute mit mysteriösen Glockentönen ein. Kurz darauf führen düstere Pianoklänge in eine surreale Welt. Nach und nach steigert sich die Stimmung ins Beklemmende. Immer wieder verbreiten die heftigen Drumschläge Angst und Schrecken. Vor dem inneren Auge wähnt man sich als Hörer in einem bedrohlichen Horrorszenario. In diesem Moment erreicht das äußerst vielseitige Album ohne Zweifel seinen Höhepunkt.
Es ist also kaum verwunderlich, dass die Australier in der Vergangenheit gute Kontakte zur heimischen Filmbranche unterhielten. Der Score zum preisgekrönten Drama "The Boys" stammte vor zwanzig Jahren aus ihrer Feder.
Insgesamt lässt sich "Body" als ein Wegweiser durch die unterschiedlichsten Schaffensperioden von The Necks verstehen. Diese vereinigt das Trio auf der Scheibe zu einer in sich geschlossenen Einheit. Mit dieser für sie untypischen Herangehensweise fügen die Australier ihrer Musik etwas erfrischend Energetisches hinzu. Tatsächlich klingt bei ihnen nach wie vor kein Album wie das andere. Ist das noch Jazz? Die Frage will man sich als Hörer beim Genuss des Werkes ohnehin gar nicht mehr stellen. Das Kollektiv bleibt eine Ausnahmeerscheinung.
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