laut.de-Kritik
Mit Gavin Harrison in die erste Liga des Artrock.
Review von Yan VogelAuf den ersten Blick gibt "Dissolution" den logischen Nachfolger für "Your Wilderness" ab. Das Vinyl-Format in Sachen Spielzeit und die Kompaktheit im Songwriting behalten The Pineapple Thief bei.
Der große Unterschied liegt in der jetzt vierköpfigen Bandbesetzung und dem Verzicht auf Gastbeiträge. War Gavin Harrison (King Crimson, Ex-Porcupine Tree) auf "Your Wilderness" noch als Gast gelistet, begleitete er die Band auf der folgenden Tour und nahm als vollwertiges Bandmitglied am Entstehungsprozess der Platte teil. Entsprechend verzichten Soord und Co. auf weitere Kollaborationen.
Die Band beendet somit auf der neuen Platte das Versteckspiel hinter großen Namen. Weshalb der ohr-giastische Moment, für den John Helliwell (Ex-Supertramp) auf der vergangenen Platte mit seinem Saxofon-Solo sorgte, leider ausbleibt. Die Personalie Harrison sorgt dafür schon für genügend Vitamin B und Gesprächsstoff. Allein die Drumspur des Mannes rechtfertigt den Kauf. Dabei webt jedes einzelne Bandmitglied um die Songstruktur ihr artifizielles Instrumentalgepräge.
Beispielhaft hierfür steht die Emanzipation von Bruce Soord als Gitarrist mittels Fuzz-Pedal und Octaver. Er baut auf seiner Arbeit als Gastmusiker für Tim Bowness und dessen Artrock-Werk "Lost In The Ghost Light" auf und denkt diese weiter. Er soliert freigeistig wie Tom Morello und spielt in flüssigen, geschmeidigen Linien wie ein Gilmour.
Die Engländer zeichnet seit jeher eine große Kompaktheit aus. Auch der emotionale Ambitus innerhalb eines Stückes oder gar eines Albums bleibt in einem engem Rahmen. Die Platten besitzen einen Flow. Neu ist, dass die Band sich geradezu in die Details verbissen hat, was insbesondere dem Longtrack "White Mist" gut tut.
"Try As Might" weckt Erinnerungen an die In Absentia-Phase von Porcupine Tree. Das textlich als Beziehungskiller gestaltete "Threatening War" entpuppt sich als zwingende Rocknummer. Das melancholische Meisterwerk "Shed A Light" als balladesker Ausklang tröstet den Hörer mit seiner 'Nobody Is Perfect'-Message.
Lyrisch greift Soord die Medienkritik auf, die sich durch viele vergangene Progwerke zieht. Dabei bedient er nicht eine Story wie Steven Wilson auf "Hand. Cannot. Erase.", sondern fokussiert sich vage auf die Introspektive anhand eines übergeordneten Themas. Die Zeilen "No you were never in control of this", "You left your heart beating down below" oder "Why cant you just stop all this madness?" klingen nicht gerade nach einer utopischen Perspektive.
Loslassen heißt das große Thema der Platte. Die Erosion des sozialen Mikro- und Makrokosmos beschäftigt Mastermind Soord. Beziehungen halten dem Streben nach Perfektion und Individualität nicht stand. Das Menschsein verschwindet hinter einer Maskerade. Das Sein wird zum Schein. Jedes Loslassen bedingt ein neues Ankommen. Gerade mit großen Tracks wie "Far Below" und "Shed A Light" kommt das Quartett als eigenständiges Gebilde in der ersten Liga des Artrock an.
Pineapple Tree, Porcupine Thief? Die Vergleiche ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bandhistorie der Artrocker, siehe die Diskussionen um Neu-Drummer Gavin Harrison. Allerdings zeigt dessen Leistung vor allem eines. Mit diesem Mann gewinnt jede Mannschaft.
3 Kommentare
Auf`s erste Ohr nicht so stark wie der Vorgänger.
Überzeugt mich auch noch nicht zu 100%. Stellenweise aber geiles Drumming von Gavin, er bereichert die Band fraglos, nur die Songs sind vielleicht momentan nicht so stark. White Mist ragt für mich bisher heraus.
Nach mehreren Durchläufen wächst das Album für mich. Leider tatsächlich ein paar Längen dabei aber mit White Mist ein echter Höhepunkt ihres Schaffens. Positiv: die nervigen Uuh - Uuhs des Vorgängers finden sich nur noch vereinzelt.