laut.de-Kritik
Post Punk Depression: Jim Jarmusch hängt am Tropf von Iggy Pop.
Review von Michael SchuhDer Moment, auf den viele gewartet haben: The Stooges, je nach Lesart Erfinder oder einfach nur Legenden der Punkrock-Bewegung in den 1970er Jahren, erhalten ihre filmische Hommage. Überfällig, zweifellos. Fans aus allen Erdteilen erwarten nichts weniger als die "unzensierte Geschichte des Punk", wie der erweiterte Titel des deutschsprachigen 1996er Punk-Referenzwerks "Please Kill Me" von Legs McNeil und Gillian McCain lautete. Zumal mit Jim Jarmusch auch noch ein für seine Andersartigkeit gefeierter Outlaw-Filmemacher und selbsterklärter Stooges-Fanatiker hinter der Kamera steht. Das kann ja nur sensationell werden, oder?
Leider nicht. Die hohe Erwartungshaltung mag sicher mitschuldig an der Malaise sein, dass "Gimme Danger" zwar äußerst unterhaltsam ausgefallen ist, dem Kenner aber kaum unbekannte Facetten dieser einmaligen Band offenbart. Der größte Kritikpunkt ist, dass Jarmusch nicht einmal rudimentär heraus arbeitet - Stichwort "Gimme Danger" - warum die Stooges einst als gefährlichste Rockband der Welt galten.
Mag sein, dass das gute 40 Jahre nach Auflösung der Band und mangels vorhandenem Bildmaterial auch einfach nicht mehr möglich ist. Aber insgesamt verlässt sich Jarmusch dann doch zu sehr auf das (zweifellos vorhandene) Charisma des einzig noch lebenden Ur-Stooge, Mr. Iggy Pop, der in "Gimme Danger" ausschweifend die Gelegenheit erhält, die Karriere seiner Ex-Band in eigenen Worten zu erzählen.
Jarmusch scheint ganz benommen gewesen zu sein im Wortschwall des ledernen Helden, jedenfalls war es ihm offensichtlich egal, dass der heute 70-Jährige keine gesteigerte Lust mehr darauf verspürte, sich noch mal zu erinnern, warum er mit Anfang 20 dem Stooges-Publikum noch gleich sein Gemächt entgegen schleuderte, sich auf der Bühne ritzte, in die Ecke urinierte oder warum er Konzerttermine zu "Fun House"-Zeiten mit dem notorischen Pflichtbewusstsein eines Pete Doherty behandelte. Zudem entkernt Jarmusch die von den Stooges in aller Ausführlichkeit zum Leben erweckte Parole des Sex, Drugs & Rock'n'Roll bis auf den Faktor Rock'n'Roll und addiert dafür, wer hätte es gedacht, das Element Kunst.
So erfährt man etwa, wie Iggy auf die geniale Idee seiner minimalistischen Songtexte kam ("Make it 25 words or less"), wie sich die Motor City Detroit im Beat von Scott Asheton niederschlägt oder wie Iggy einmal Andy Warhol getroffen hat, aber bei allem Respekt: Wer in einen Stooges-Film geht, erwartet keine seriös vorgetragenen kunstphilosophischen Reflexionen, sondern eine Annäherung an den barbarischen Urknall des Punkrock. Mit Stories über Sex, Besäufnisse, Totalabstürze und Bühnen-Prügeleien.
Diese animalischen Triebe der Stooges verlieren sich ebenso im rückkopplungsgetränkten Wah-Wah-Nebel wie die Unberechenbarkeit der Gruppe, die sich aus der Ignoranz der Jugend speist, und die Iggy einst zum Boss seiner Plattenfirma Elektra Sätze sagen ließ wie "Ich kann unmöglich vier Auftritte hintereinander ohne harte Drogen absolvieren. Das kostet soundsoviel, ihr bekommt die Kohle hinterher von uns zurück" (aus "Please Kill Me").
Stattdessen legt Jarmusch mit "Gimme Danger" eine für seine Verhältnisse fast schon zu gewöhnliche Interviewcollage mit viel fancy Bildtechnik-Geschwurbel vor, die mit zunehmender Dauer den Eindruck erweckt, dass er sich mehr Gedanken darüber gemacht hat, wie er eine Iggy-Anekdote mit Stop-Motion-Animationen unterlegt, als darüber, ob sie überhaupt in den Film passt. Besonders unverständlich: Wenn er schon so viel Wert auf die Audio-Bebilderung legt, warum lässt er dann die über zehn Stunden Interview-Material der Asheton-Brüder, die aus den 90er Jahren für "Please Kill Me" existieren, völlig außer Acht?
Aber hey: Letztlich sind es immer noch die Stooges und der Protagonist Iggy Pop immer noch ein faszinierender Erzähler und es ist natürlich auch nicht alles schlecht, was Jarmusch so eingefallen ist. Die symbiotische Nähe zu den MC5, die als Geburtshelfer der Stooges gelten, arbeitet er ebenso schön heraus wie den Einfluss des "Raw Power"-Gitarristen James Williamson. Der spielte mit "Gimme Danger" nicht nur den Titelsong ein, sondern ist auf ewig Teil jenes Albums, das Kurt Cobain und Josh Homme als beste Platte aller Zeiten rühmten und das Henry Rollins als amerikanische Antwort auf "Exile On Main Street" bezeichnete.
So verständlich es ist, dass Jarmusch das enttäuschende Comeback-Album "The Weirdness" von 2007 totschweigt: In einer allumfassenden Band-Doku, in der selbst spätere Bühnengäste wie Mike Watt interviewt werden, darf das letzte reguläre Stooges-Album (produziert von Steve Albini!) einfach nicht unerwähnt bleiben. Passt leider zu Jarmuschs Linie, die Wortbeiträge der Ashetons weit hinter Wortführer Iggy zu platzieren.
Natürlich sollte es trotzdem keine Ausreden geben, sich den Film im Kino oder auf DVD anzusehen. Zumal auch der Soundtrack äußerst gelungen ist. Angefangen damit, dass mit "Gimme Danger" einer der besten Stooges-Songs gleich als Filmtitel verwendet wurde. Vom Debütalbum, das Velvet Underground-Mitbegründer John Cale produzierte, sind natürlich "I Wanna Be Your Dog" und "No Fun" enthalten, aber auch "1969" und sogar "Little Doll".
Eingeweihte dürften Gefallen an "I'm Sick Of You" finden, einem "Raw Power"-Outtake, das erst 1977 auf Bomp Records als 3-Track-LP (mit "Tight Pants" und "Scene Of The Crime") erschienen ist. Produziert hat das Demo übrigens James Williamson, was die Frage aufwirft, wie "Raw Power" wohl geklungen hätte, wenn anstelle des zugedröhnten Bowie der nüchterne Williamson die Regler bedient hätte.
Ebenfalls schön: "I Got A Right", ein hochtouriger Punkbrecher aus dem Live-Repertoire der Band ab 1971, der hier erstmals in anständiger Qualität vorliegt. Dasselbe lässt sich über "Lost In The Future (Take 1)" sagen, auch wenn hier vor allem die Experimentierfreude der "Fun House"-Sessions durchschimmert. Wer den Song "Asthma Attack" kennt, darf sich das The Stooges-Checkerverdienstkreuz am Bande umhängen. Ein frühes Demo, produziert von John Cale, das es nie auf ein Album geschafft hat, obwohl es schon sehr Coltrane-mäßig sechseinhalb Minuten lang zwischen Raum und Zeit schwebt und "Fun House" quasi vorwegnimmt.
Knapp 50 Jahre später ist Iggy Pop eine lebende Ikone und sagt am Ende des Films den schönen Satz: "I don't want to belong to the Glam people, I don't want to belong to the Hip Hop people, I don't want to belong to the TV people, I don't want to belong to the Alternative people, I just want to be."
1 Kommentar
Ich finde es OK, dass man sich mit 70 nicht mehr an seine jugendlichen Marketing-Maßnahmen erinnern kann und möchte.
Bemerkenswert ist schon, dass eine Band, die solche Bolzen wie TV-Eye, Wanna be your dog,... im Schlepptau hat so einem Hammer Song wie Gimme Danger raushaut- diese fantastische Akustik-Gitarre, Wow.