laut.de-Kritik

Der deutsche Radiopop braucht ganz dringend einen Arschtritt.

Review von

Wer sich fragt, warum wir immer wieder mit Tim Bendzko-Songs konfrontiert werden, der erhält am Ende von "Immer Noch Mensch" die Antwort: "Das ist der Grund warum ich Lieder sing' / weil mir sonst das Herz zerspringt / weil ich mir alles von der Seele schreib' / ich bin die Schwere so leid (...)/ ich sing nicht für den Applaus/ gehört zu werden reicht mir auch".

Die abschließenden Zeilen werfen allerdings eine Menge Fragen auf. Wie genau ist das mit dem Applaus gemeint? Gilt dieser doch durchaus als (Brot des für gewöhnlich am Hungertuch nagenden Künstlers. Und wie zur Hölle müssen wir die Passage mit "gehört zu werden" verstehen – reicht dem erfolgsgewohnte Sänger der bloße oberflächliche Radiohit aus? Entweder präsentiert sich hier Bendzko als unfassbar ehrlicher oder als extrem unpräziser Texter!

Bei genauerem Hinhören beinhaltet das dritte Soloalbum des Berliners einen ganzen Taubenschlag solch seltsam unkonkreter, hardcore-blumig ausgeschmückter Textsequenzen. Den hadernden Method-Melancholiker, den es vor lauter aufgestauter Songwut und liederlichen Leid fast verreißt, nimmt man dem Sänger angesichts des durchdringend harmlosen Songgewands von "Warum Ich Lieder Singe" jedenfalls beim besten Willen nicht ab.

Der Vorwurf der erbarmungslosen Kommerzialisierung entkräftet Tim Bendzko, der die Nationalhymne zum Bundesligaauftakt schmetterte, jedoch durch den Erscheinungstermin seiner neuen Scheibe. Nachdem er 2013 die deutsche Popszene in Grund und Boden planierte, Doppelplatin, Echos, Goldene Kameras und 1 Live Kronen hortete und eindeutig auf dem Weg zu Deutschlands Herz-Schmerz-Barde Numero Uno war, ließ er sich zunächst einmal gehörig Zeit mit seinem neuesten Werk.

Der Hype flaute ab und neue Platzhirsche besetzten die mit Wandtattoo geschmückten Wohnzimmer deutscher Mainstreamhörer. Bendzko war das gleichwohl egal. Er konzentrierte sich auf Fernsehauftritte – und Musik. Und das hört man "Immer Noch Mensch" durchaus an, die elf Songs sind engmaschig verwoben und allesamt unfassbar eingängig. Kurzum: Die Dinger gehen ab dem ersten Hördurchgang runter wie Öl, hinterlassen dementsprechend aber auch schmierige Pfützen mit faden Beigeschmack.

Zuerst kratzt und scheppert da nur so ein kaum wahrnehmbares Hintergrundrauschen, die musikalischen Begleiterscheinungen werden auf ein absolutes Minimum herunter geschraubt. Den Hintergedanken dieses Aufbaus durchschauen wir problemlos: Als Bendzkos Stimme ins Album kracht, hat das alleine aufgrund des massiven Lautstärkekontrasts echten Kometen-Charakter.

Die erste Minute von "Beste Version" klingt ganz bewusst anders, nämlich stimmlich ausgereifter, erwachsener (Pfui!), irgendwie seltsam neben der Spur und ohne wirklich Neues zu wagen. Nach einer Minute schlägt die Komposition dann doch noch einen Haken in bekannte Gefilde und verkommt zur aalglatten Popballade. In der Folge wird alles schlimmer: "Keine Maschine" entrollt sich als der gefühlt identische Song, nur dass das alles jetzt noch ein wenig mehr nach Kaugummi und Computer und Max Giesinger klingt.

"Ich bin ein Mensch mit all meinen Fehlern / mit meiner Wut und der Euphorie / keine Maschine, ich lebe von Luft und Fantasie / Es gibt noch so viel außergewöhnliches zu erleben ..." Die zweite Vorabsingle "Leichtsinn" klingt dann beinahe so, als hätte Peter Maffay Tim Benzdko mit dem Soundtrack für ein neues Tabaluga-Album beauftragt: "Du kannst das Leben leicht nehmen / auch wenn es das nicht ist / wir leben eh in einer Scheinwelt/ hier kannst du sein was du willst ..."

Es wird deutlich, dass es vor allem Tim Bendzkos Texte sind, die aus "Immer Noch Mensch", einem langweiligen bis soliden Radioalbum, eine wirklich kaum zu ertragende Scheibe machen. Alles dreht sich um dieses lahmarschige lyrische Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Ich. Das da vor sich hin hadert und all die Songs in die Welt blasen muss, um sich endlich frei zu fühlen. Frei. Frei. Frei. Frei. Frei. Von all den bitteren Künstlerproblematiken. Und all den Oberflächlichkeiten. Ums Mensch sein. Und ums fühlen. Fühlen. Fühlen. Fühlen. Und ums Glauben. Und natürlich auch ums Du. Du. Du. Du. Du. Du. Du. Du. Du. Und ums wie wir sind. Wir. Wir. Wir. Wir. Wir. Ums nicht verstanden werden. Ums in die Fantasie flüchten. Und dann wieder von vorne - die Phrasenschweine explodieren in jedem Song aufs Neue in kitschigen Scherben.

Auch weil sich die Texte doch massiv gleichen, sind auch die Kompositionen, die sich zum Großteil als Pianoballaden entfalten, nur selten voneinander zu unterscheiden. Trotzdem stechen einige Titel heraus: Einerseits der Titelsong, weil er von fast zerbrechlichen Orgelsounds getragen wird, und Bendzko von ganz angenehm eingesetzten Chorelementen unterstützt wird.

Und "Winter", weil es so offen und ehrlich Verletzlichkeit zur Schau stellt und im ungewöhnlichen Format von knapp zwei Minuten alles sagt, was er sagen will. Hier zeigt Tim Bendzko, dessen Stimme über weite Teile dieses Werks merkwürdig eintönig klingt, seine technischen Varianten und Stärke. "Woran soll man glauben, wenn die Liebe nichts taugt / Wo ist die Zuversicht, wenn man sie braucht / kann man verbergen, dass das Herz gefriert? Der Winter ist hier..." Vermutung: Sollte dieser Song eine Single werden, dürfte er sauber durch die Decke gehen.

Nach elf neuen Tim Bendzko-Songs fühlt man sich ein wenig leer. Denn von "Immer Noch Mensch" bleibt irgendwie nichts hängen. Also wirklich gar nichts. Niente. Diese Scheibe kennt keine Tempowechsel, keine Überraschungsmomente und dümpelt bis auf ganz wenige Ausnahmen munter einschläfernd vor sich hin. Dass sie ihr Publikum finden wird, steht indes außer Frage.

Die Platte richtet sich direkt an sein Zielpublikum, das diese Herzschmerz-Tiraden ohne Zweifel in Grund und Boden feiern wird. Zur Verteidigung muss angeführt werden, dass sich der Musiker in Eigenregie um Instrumentierung und die reduzierte Produktion kümmerte. Führt man sich jedoch vor Augen, was sich in diesem Jahr schon alles getan hat, dann wirkt das Gesamtkonzept Tim Bendzko doch unfassbar harmlos und vorhersehbar. Der deutschsprachige Radiopop braucht ganz dringend einen Arschtritt.

Trackliste

  1. 1. Beste Version
  2. 2. Keine Maschine
  3. 3. Reparieren
  4. 4. Hinter Dem Meer
  5. 5. Immer Noch Mensch
  6. 6. Wer Wir Sind
  7. 7. Leichtsinn
  8. 8. Sternenstaub
  9. 9. Winter
  10. 10. Nicht Das Ende
  11. 11. Warum Ich Lieder singe

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Bendzko,Tim – Immer Noch Mensch €1,32 €3,00 €4,32

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Tim Bendzko

Normalerweise erlernen die meisten Musiker ihr Klang-Einmaleins bereits in frühen Jahren. Bei dem 1985 in Berlin geborenen Tim Bendzko dagegen verhält …

2 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    wieso braucht denn der deutsche radiopop grad jetzt so dringend nen arschtritt ?
    was bendzko hier abliefert, hört sich doch exakt wie die schlacke an,die hier seit eh und je durch den äther in die köpfe des melkviehs gepumpt wird. so what ?

    • Vor 8 Jahren

      @derHerrvonWelt:
      Du bist noch nicht so alt oder hörst noch nicht so lange Radio, hm?
      Gruß
      Skywise

    • Vor 8 Jahren

      nunja, die einführung des volksempfängers habe ich natürlich nicht miterlebt, evt. war da das programm ja besser.
      ansonsten so ab mitte ende 80er.

    • Vor 8 Jahren

      Nö, er hat doch recht...ob's jetzt die Neue Deutsche Welle 2.0 vor 10-15 Jahren (Silbermond, Juli, (Helden), Madsen, Sportfreunde und andere verlotterte Indiebands) oder wie heute halt AMK (naja, die sind eignetlich okay), Mark Forster etc...die Latte hängt nach wie vor tief, no homo.

      "Ey, da müsste Musik sein" -> direkt aufs Maul!
      Zusammenhaltsgejammer vom harten H-Blockx-Fronter und Sarah Connor -> direkt aufs Maul!!!
      etc.

      Neuanfang von Clueso höre ich aber nicht ungerne :D
      und Philipp Poisel ist trotz Heulsusen-Flavour³ auch ganz okay.

    • Vor 8 Jahren

      nicht zu vergessen so ein geschmeiß wie die prinzen, oli p, kelly family, blümchen oder gar die kommerzpoper aus der verbotenen stadt, welche das kunststück vollbracht haben, mich jetzt sogar schon mehrere dekaden mit ihrem müll zu plagen.

    • Vor 8 Jahren

      mit "verbotene stadt" meinst du west-peine, hannoi, die heimat von 95+1?

    • Vor 8 Jahren

      den namen dieses niederrheinischen sumpfloches spricht man hier bei uns in köln nicht aus.

    • Vor 8 Jahren

      Alles scheisse Alles dreck, Schwamm drüber ich wisch das weg

    • Vor 8 Jahren

      ach, kölner :D

      "die kommerzpoper aus der verbotenen stadt, welche das kunststück vollbracht haben, mich jetzt sogar schon mehrere dekaden mit ihrem müll zu plagen"

      ich dachte, du meinst hiermit die scorpions.

  • Vor 8 Jahren

    Naja gut.. die Überschrift sagt's ja eh schon. Dann so Titel wie "Warum ich Lieder singe"... weil du ein Homo bist? xD Vll.!