laut.de-Kritik
Früher war er wirklich besser.
Review von Philipp Kause"Ich glaube, in den 1980ern war es viel einfacher, mit Musik seinen Lebensunterhalt zu bestreiten", erwägt die serbische Sängerin Nevena Brankovic. Sie ist zu finden auf dem Album "Steel Bars - A Rock Tribute To Michael Bolton" und legt über die Zeit, in der die Songs dieser Scheibe ursprünglich entstanden, im Magazin Darkstars dar: "Die Leute waren gezwungen, zu einem Konzert zu kommen, ein Kassetten-Tape oder eine CD zu kaufen, um Musik zu hören. Musik steht nicht länger zum Verkauf, alles ist online, frei verfügbar. Das hat die Dinge sehr schwierig gemacht." Nein, für diese Sätze hat sie definitiv nicht Michael Bolton um seine Meinung gebeten, dem sie hier gemeinsam mit Label-Kolleg:innen ein Denkmal setzt.
Bolton kann nicht gerade von den frühen '80ern schwärmen. Bis zu seinem weltweiten Durchbruch 1989 konnte er allenfalls durch Vertragsvorschüsse und Tantiemen aus dem Schreiben von Songs für andere Interpret:innen leben. Der Vertrag mit der Plattenfirma Columbia war bereits sein vierter - bei drei Labels legte er Bauchlandungen hin. Nein, Nevena Brankovic: Auch in den '80ern war Rockmusik kein Zuckerschlecken und kein Hit für den Kontostand ewiger Newcomer.
"Steel Bars" verkneift sich die üblichen Strickmuster von Tribute-Alben, ist aber eines. So claimt es auch die Benennung des Albums. Es kursiert unter den beiden Titeln "A Tribute To Michael Bolton" und "A Rock Tribute ...". Mal trägt das Album das Wörtchen 'Rock' mit im Titel, bei der Hälfte der Onlineshops fehlt's aber, und doch ist es das 'Key Word' dieses Projekts und steht vorne auf dem Artwork. Stellen wir uns zur musikalischen Charakterisierung kurz das eindringliche Keyboard-Riff von Tom Pettys "You Got Lucky" vor. Dann sind schon mal zwei der elf Cover-Versionen recht gut getroffen: "Can't Turn It Off" (Original: 1985) und "Fool's Game" (Original: 1983) viben so ähnlich, bauen sich ebenfalls auf solchen markanten, hüpfenden Tasten-Kombis auf, und der Rest dieser "Steel Bars"-CD schwingt in trauter Einheitlichkeit mit. Petty, Southern und Classic Rock versus Bolton, bei dem man an Schmachten, Schniefen und (zu) viel Schmalz denkt.
Tatsächlich entstammen nicht nur alle covernden Künstler:innen den Bereichen Adult Oriented Rock (AOR), Melodic und Hardrock, sondern auch der nachgespielte Kanadier Michael Bolton kann Ursprünge als zäher Hardrocker sein Eigen nennen. Leider gewährt uns die Compilation keinen Einblick ins ganz frühe Schaffen des Sängers, Pianisten, Gitarristen, Saxophonisten, Texters und Komponisten. Die ersten vier Alben, zwei davon solo, zwei mit der kurzlebigen Band Blackjack, fehlen radikal. Der relativ frühe Bolton, ohne seine ersten acht Jahre, steht dagegen im Mittelpunkt, insbesondere das '85er-Album "Everybody's Crazy". Kommerziell war es eines seiner erfolglosesten, aber gleich sieben Tracks sind ihm hierfür entnommen: "Desperate Heart" in der Version von James Robledo, das erwähnte "Can't Turn It Off", neu von Gui Oliver, und "Santiago Ramonda - Save Our Love" sowie "Don't Tell Me It's Over" in der Version von Ronnie Romero, dem bekanntesten Act hier, ferner "Stefan Nykvist - Call My Name", "Santiago Ramonda - Save Our Love" und der Titelsong von einst, "Everybody's Crazy".
Das Kuriose an der Platte ist, dass sie damals mit acht Keyboardern entstand, von denen etliche auch in den Credits des ein oder anderen Stückes vermerkt sind und den Fokus auf die entsprechende Melodieseligkeit legten. Auf dem Tribute spielt hingegen immer derselbe Keyboarder, Salvatore 'Saal' Richmond, aus einer süditalienischen Küstenstadt. Paketweise covern ist sein Business, an entsprechenden Tribute-Platten über Alan Parsons, Depeche Mode und Tears For Fears beteiligte er sich bereits. Was das "Steel Bars"-Album auszeichnet und von anderen Tributen unterscheidet: Durchgehend hört man an allen Instrumenten stets dieselbe Band. Rundherum gesellen sich Sänger:innen für die einzelnen Stücke dazu. Der Sound bleibt derweil auf allen Covers all dieser Lieder, die Bolton selbst 1983 bis '91 schrieb und sang, recht gleichförmig keyboardlastig und auch ziemlich retro.
Das Jahr 1991 ragt mit dem einzigen Klangbeispiel der Neunziger heraus. Bob Dylan schrieb das entsprechende Lied mit, jenes Titel gebende "Steel Bars". Dylans Management rief damals bei einer Reihe von Musiker:innen an, um neue Zusammenarbeiten auszuprobieren. Auch Bolton, bei derselben Plattenfirma wie Bob, wurde auserwählt. Der große Meister war damals gerade einer der Traveling Wilburys, deren Soundfarbe sich auch in der Coverversion von "Sochan Kikon - Steel Bars" zweifelsfrei heraus hören lässt. Die Bridge im Song basiert auf Einwänden Dylans gegen den ersten Entwurf der Nummer.
Auf seinem kommerziellen Peak '91, kippte Bolton schon sehr in liebliches Schmusen, seine Zeit und Vorgeschichte als Möchtegern-Rocker war abgelaufen. Doch die Band, die übrigens auch Steel Bars heißt und aus Italien kommt, holt mit Sochan Kikon, einem indischen Sänger, das Beste raus, das nur irgendwie vorstellbar wäre. Sochans ausdrucksstarke Stimme rettet den banalen Text. Ganz interessant wirkt bei näherem Hinsehen die internationale Auswahl der Gesangsstimmen auf dem Album. Sochan Kikon stammt aus Indien, wie auch Girish Pradhan. Lateinamerika ist mit dem Chilenen James Robledo vertreten, der mit seiner ersten Band schon vor Bolton Hardrock-Platten aufnahm. Aus Argentinien mischt Santiago Ramonda mit, der mit seiner Gruppe sonst auch Winger und Guns n'Roses covert, und Gui Oliver ist Brasilianer. Stefan Nykvist tritt für Schweden an. Die Sängerinnen Nevena Brankovic und Ana Nikolic gehen für Serbien dem Kanadier Bolton die Ehre erweisen.
Es hätte also die Chance bestanden, die Coverversionen zum Beispiel in anderen Sprachen oder mit Unterstützung der jeweiligen Bands der Teilnehmenden einzuspielen. Statt dessen wählte man den unkonventionellen Weg, damit ein richtiges 'Album' entstand, zumal es nur eine relativ kurze Phase des porträtierten Künstlers, acht von 48 Schaffensjahren, nachzeichnet und dabei an einer einzigen LP kleben bleibt. Dabei wirkt nun alles so sehr wie aus einem Guss, dass man "Steel Bars" drehen und wenden, die Nummern vor- und zurück skippen kann wie man will, es hört sich zwar durchweg gut bis sehr gut, aber immer irgendwie gleich an: nach einem Schwall Melodic bis Poser Rock, mit punktuellen Einsprengseln aus Eurodance (Lego-artige Bausteinkasten-Synths in "Can't Turn It Off"), Huey Lewis-Rhythmik ("Steve Overland - Fool's Game"), Powerpop-Schlagzeug und Glam Metal-Passagen, epischem Balladen-Wulst ("Stefan Nykvist - Call My Name"), nebst Saga- und Foreigner-Pathos in "Gina", einem 1987 komponierten Tune mit einer tollen Hook.
Insgesamt rotieren die Musiker:innen einige Rollen rückwärts und lüften so gleich zwei Peinlichkeiten: AOR hat sich in den letzten 40 Jahren nicht nennenswert weiter entwickelt, und Bolton auch nicht, außer fröhlich hinein in die Beliebigkeit. Bolton selbst klingt heute rückschrittlich orientierungslos, indem er aktuell eine besonders seichte Scheibe vorlegt. Angedroht hat Bolton, der selber im Covern weder vor Puccini-Arien noch Swing zurück schreckt, auch mal eine Dylan-Cover-CD. Eine souveräne künstlerische Entwicklung ist was anderes, und das vermeintliche Tribute-Ziel von "Steel Bars", nämlich Bolton interessanter zu machen, schlägt fehl: Eher macht es ihn lächerlich, gerade weil es zeigt, was für gute Harmonien er komponieren konnte, bevor ihn der Mut verließ.
"Jeder Vokalist strahlt mit seinem einzigartigen Talent und verleiht diesen Klassikern aus Boltons Rock-Ära seinen eigenen Spin", verspricht das Label Frontiers, das praktischer Weise lauter Artists zusammen trommelte, die fast alle sowieso unter Vertrag dort stehen. Das Song-Material stellt sie alle nicht vor Herausforderungen, jedoch entsteht der verzerrte Eindruck, man habe sich auf Weltreise begeben und ermittelt, rund um den Planeten würden Rockmusiker verschiedener Generationen Bolton hören und als Vorbild verehren. Während sich diese 'was-zu-beweisen-war'-Haltung beim Anhören völlig in wohltönender Berieselung erschöpft. Das Gefühl, Michael Bolton sei ein Rock-Künstler oder gar ein einflussreicher, mag sich mit diesen sehr netten, aber unauffälligen Aufnahmen nicht so recht einzustellen.
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Rohstoffverschwendung