laut.de-Kritik
Das Lexikon der abgegriffenen Metaphern.
Review von Philipp KauseJenseits der absoluten Superstars baute der Pop-Zirkus der 80er auch auf eher unscheinbare Acts: Musiker:innen, die auf Tour-Plakaten, im Radio oder in den Charts irgendwie immer da waren, ziemliches Easy Listening vollbrachten und schon als junge Menschen eher gediegen wirkten. Dass Shakin' Stevens, Richard Marx, Howard Jones oder Michael Bolton auch nach der Jahrtausendwende noch aktiv sind, ging an den Massen aber eher vorbei.
Heutzutage inszenieren sich diese Musiker neu, teils schauerlich, teils besser denn je, mal mit netten Ideen oder im Falle Michael Boltons mit dem starken Titeltrack "Spark Of Light" und der Betonung auf "Eigenkompositionen". Diese versammeln sich für sein - laut Marketing - "erstes Album seit 14 Jahren". Das ist übrigens falsch, 2017 erschien sein letztes ...
Und Eigenkompositionen als Kaufargument? Bei einem seiner größten Hits, "Love Is A Wonderful Thing" von 1991, monierte der US-Supreme Court recht plattes Abkupfern: Bolton coverte außerdem Bee Gees, Withers, Wonder und etliche Puccini-Arien. Viele andere Tracks gehen auf Diane Warren zurück, Auftrags-Songwriterin im Dreieck Soul, Pop und Soft Rock. Boltons Soul wurde gern unter Blue-Eyed Soul geführt. Sein Rock geriet zum Inbegriff des Schnulzigen.
Aber: Er begann als Lederjacken-Typ mit guten Riffs, wovon aktuell auch ein Tribute etlicher Hardrock- und Disco-Rock-Acts zeugt, allen voran mit Ronnie Romero. Steve Lukather sprang an der Elektrischen auf Boltons Hit-Album ein, 1989. Tower Of Power entliehen mal ihre Horn Section. Mehr Namedropping? Bitteschön: Nile Rodgers produzierte einen Track mit Bolton, Alex Christensen von U96 ein ganzes Swing-Album. Sharon Robinson, Leonard Cohens späte Muse, ging mit ihm ins Studio. Befund: In Musiker-Kreisen nimmt man Bolton für voll.
Nun betritt der 70-Jährige eher dünne Bretter mit seinen Co-Autoren. "Eigenkompositionen" - ein dehnbarer Begriff: Boltons Name steht dabei, zeichnet aber wohl 'nur' für die Texte verantwortlich. Die Komponisten verjüngen Boltons Referenz-Radius, jagen aber Angst ein: Jonas Myrin, 40, hat für Helene Fischer "Weil Liebe Nie Zerbricht" komponiert, außerdem für Patricia Kelly "Unbreakable". Den um die 30-jährigen Justin Jesso kennt man womöglich aus den Charts von DJ Kygos "Stargazing". Er komponierte für das flache "DNA" von den Backstreet Boys einen Song komponiert und sang mit Nico Santos und Stefanie Heinzmann ein kitschiges Stück ein. Jared Lee, ebenfalls um die 30, ist Autor für Jason Derulo.
Die Ergebnisse schwanken zwischen Pathos und Pep. Die Single "Spark Of Light" etwa zeichnet sich in ihrer Dynamik, zarten Melancholie und mit geschmackvollen Keyboard-Loops als Volltreffer aus. Der Track bringt Boltons helle Stimme perfekt zur Geltung und lässt sie strahlen. Auch die Synth-Streicher in "Running Out Of Ways" hinterlassen einen runden Eindruck und heben das Verzweifelte in den Vocals des sich vor Sehnsucht verzehrenden Liebenden sehr gut hervor.
Am anderen Ende der Skala wimmert dagegen triefender Schmalz: "Whatever She Wants". Überlaute Vocals zu getupftem Klavier machen auf Alarm - dabei formt die Angebetete lediglich mit ihrem Mund seinen Namen. Ach ja, und sie erzählt ihm, "love's the only real thing you can hold on to." Real hört sich das aber nicht an, sondern überzogen, schrill, neon-pink und nach Hollywood. Trotz einiger Schauspielrollen schaffte es Bolton sehr selten auf Kino-Soundtracks - der krampfhafte Versuch, nach einem zu klingen, ist zwecklos.
Im am schlechtesten produzierten "Safe" kullern die Tonspuren durcheinander. Jede einzelne soll am lautesten tönen. Wo man da noch hinhören soll, worauf man achten darf, ist ziemlich verwirrend: auf die dringliche Drum Machine oder doch die eiernde Irish Folk-Fiddle? Auf die armseligen Gewitter-Soundeffekte oder den dämlichen Text dazu, "forever and always, when the rain keeps on falling like tears from the sky"? Von dieser CD ließe sich locker das Lexikon der abgegriffensten Romantik-Metaphern abschreiben - oder ein Tutorial zum Abmischen der klischeehaftesten Love-Songs.
Nach dem Motto 'Für-alle-was-dabei' zielen manche Tracks auffällig auf die ästhetischen Gewohnheiten jüngeren Publikums, wenn etwa "Beautiful World ft. Justin Jesso" mit Folktronic-Bausteinen und peitschender Dancepop-Euphorie spielt. Oder wenn "Eyes On You" gefälligen Kulissensound für Terrasse und Balkon liefert, während Bolton den braven Chorknaben mimt, aber doch eher wie ein Kastrat im Wolfsrudel wirkt.
Am Ende bleiben noch drei Balladen, die man an seinem Über-Hit "How Am I Supposed To Live Without You" misst. Diese Schleicher ("Out Of The Ashes", "Home" und "We Could Be") mäandern schwerfällig vor sich hin und eröffnen keine neuen Perspektiven. Kein Wunder wagt man eine Übersetzung von "Home": "Vertrauensvoll durch die Jahre / so vertrauensvoll wie die Sonne jeden Morgen aufgeht / durch Freude und Tränen / wird Liebe genau hier bleiben und uns für immer nah beisammen halten. / Überall ist ein Ort, an dem ich dich finde, wo auch immer. / Das ist zuhause. / Egal, wo dieses Leben uns hinführt / zuhause. / Nichts in dieser Welt wird uns trennen. / Unsere Liebe wird weiter leben, hier in unseren Herzen / überall, wo wir auch sind. / Das ist zuhause."
Mit den beiden Bonus Tracks der Deluxe Edition "One Life" und "Somebody To You" versucht Bolton zum Schluss noch mehr Schwung reinzubringen, aber diese völlig verschiedenen Album-Enden zeigen ein grundlegendes Manko auf: Da will ein Schnulzen-Experte zum Mainstream gehören, und der ist zurzeit mit Dance-Beats unterlegt. Aber irgendwie will er das dann doch nicht. Er probiert es aber.
Diese Beliebigkeit lässt ähnlich wie bei Zuccheros letzten Streichen jegliche Coolness missen. Man biedert sich vermeintlichen Trends an, will aber gleichzeitig das kaufkräftige, ältere Publikum mitziehen, das vor 35 Jahren zu Bolton schmuste. Geschmacksverirrt, obwohl einige Tracks zeigen, dass viel mehr möglich gewesen wäre.
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