laut.de-Biographie
Vokalmatador
"Muss ich verdammt sein zum ewigen unbekannt Sein? Sagt mein Kontostand was aus über die Qualität meiner Punchlines?" Als Teil der aus dem Royal Bunker erwachsenen Schule des Berliner Battle-Rap muss sich Vokalmatador Anfang der 2000er mit den leidigen Realness-Debatten beschäftigen. Dabei gehen die Fähigkeiten des 1973 in West-Berlin geborenen Victor Moreno über dogmatischen Rap hinaus. Im Alter von sechs Jahren lernt er als Mitglied der Schöneberger Sängerknaben den Gesang. In seiner Jugend beginnt er, Gitarre zu spielen, und gründet die Punk-Band Crave Inn.
Vokalmatador landet erst beim Hip Hop, nachdem ihm eine Schulfreundin empfohlen hat, sich Marcus Staigers Royal Bunker anzusehen. "Dann hab' ich da eigentlich alle gesehen, die später in Berlin was gerissen haben", erinnert er sich später gegenüber The Message Magazine, "sprich Kool Savas, Taktloss, die ganze M.O.R.-Clique, die Sekte-Jungs und die Bass-Crew-Boys. Da saß man dann einfach zusammen, einer hat 'nen Beat angemacht und man hat Texte gekickt oder gefreestylet." B-Tight lädt ihn zur Sekte und auf die Alben "Sintflows" und "...Sein Album" ein.
Als sich Aggro Berlin gründet und dem Quartett ein Vertragsangebot unterbreitet, zerbricht Die Sekte, da sie unterschiedliche Meinungen zu einem geplanten Song mit Brixx haben. Vokalmatador hat sie zuvor bereits auf Rhymin Simons Album attackiert. Besagtem Bandkollegen widerstrebt wiederum die Vorstellung, wie Sido und B-Tight "ein Superstar" zu werden. Die ausgeschiedenen Rapper bewegen sich weiter im Untergrund. Vokalmatador tritt auf "Lyrischer Hooligan" und "Bogy & Atzen" von MC Bogy sowie "Tag Der Abrechnung" und drei "Orgi Pörnchen"-Soundtracks von King Orgasmus One auf.
"Klar sehe ich, dass ich momentan viel weiter unten stehe als ein Sido. Andererseits weiß ich auch, dass das Image, das Aggro mir verpasst hätte, mir weniger Freiheiten gelassen hätte, als ich sie heute habe", erzählt er 2005 anlässlich seines ersten Soloalbums der Juice. Das zum Großteil selbst produzierte "Leben Unter Geiern" erscheint über Krasscore Records. Ein halbes Jahr später unterstützt er Rhymin Simon auf "Kingpintin". Abgesehen von einem Wiedersehen auf "Die Sekte" kehrt allmählich Ruhe um Vokalmatador ein, da er sich seinem Bürojob widmen muss, um die Miete zu bezahlen.
Der Berliner Rap ordnet sich unterdessen neu. Frauenarzt feiert Erfolge mit den Atzen, Kool Savas längst im Mainstream etabliert. Vokalmatador sucht darin seinen Platz."Ich kann beides nachvollziehen, wenn man sich einerseits weiterentwickelt und neue Sachen ausprobieren will oder wenn man mit dem Altbewährten weitermacht, das ist auch in Ordnung", erklärt er der Backspin, "Will ich jetzt noch weiter darüber Rappen, wie ich Bitches ficke oder will ich auch nochmal was anderes machen?" Er entscheidet sich dazu, in entspanntere Gefilde abzuwandern.
Erst tritt er als Back-Up von Balbina in Erscheinung. Ab 2012 bewegt er sich im Umfeld von MC Fitti, dem mit "30° Grad" ein viraler Hit gelingt. Vokalmatador begleitet seine Konzerte und Medientermine, ist auf "#Geilon" und "Peace" vertreten. Nur vereinzelt kehrt er auf die "Untergrund-Battle-Hardcore-Schiene" zurück, etwa mit Schwartz und DCVDNS beim "Schulmädchenreport" auf "Der Spermanist" oder neben Rako, Kontra K, Smoky oder Automatikk als Teil der "Blokkhaus Allstars" von Blokkmonsta. Mit "Dritter Frühling" veröffentlicht er zudem eine auf 250 Kopien limitierte EP.
Als sich sein früherer "Punchline-Coach" Rhymin Simon wieder stärker in der Öffentlichkeit zeigt, gründet Vokalmatador mit ihm, Plaetter Pi, She-Karl, Michael Mic und Druss One die Formation Die Säcke. 2015 erscheint die EP "Alles Ist Die Säcke", vier Jahre später folgt "All Eyez On Säcke". Dass er trotz seiner Rückkehr zum rotzigen Rap nicht rückwärtsgewandt ist, betont er 2021 mit "Diese Zeiten", das sich gegen die Nostalgie-Welle stemmt: "Dicker, diese Zeiten sind vorbei. Hör' auf zu heulen, besser, wenn du es begreifst. Ich mochte nie diese Nostalgie. Komm mal klar, es ist nicht 2001."
Für eine ausgedehnte Retrospektive erweist sich die Pandemie auch für den Rapper als zu einschneidend. Sein Vater erkrankt in Ecuador an COVID-19 und verstirbt nach schwerem Verlauf im Sommer. Mit dem Berliner Kneipenchor entsteht ihm zu Ehren "Unsere Tage", den er als seinen "lyrisch und musikalisch anspruchsvollsten Song" bezeichnet. Der Gegenpol erscheint mit "Ohne Dich", das er einer im Lockdown entwickelten Liebe widmet. So bemüht sich Vokalmatador, das Beste aus allem zu ziehen: "Der Weg ist das Ziel. Du musst durch's Leben gehen und so viel mitnehmen, wie du kannst."
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