6. November 2017

"Ich musste jetzt Metal machen"

Interview geführt von

Anneke van Giersbergen zählt zweifellos zu den stärksten Rock- und Metalsängerinnen der aktuellen Szene. Nach zahlreichen Kollaborationen mit unter anderem Devin Townsend und Arjen Lucassen startet die ehemalige The Gathering-Frontfrau nun eine neue Band: VUUR.

Fast schon kindliche Begeisterung liegt in Anneke van Giersbergens Blick, jedesmal wenn sie beim Interview die Worte "Metal" und "Heavy" in den Mund nimmt. Die Niederländerin befindet sich auf Promotour für das VUUR-Debütalbum "In This Moment We Are Free – Cities", mit dem sie vor allem ihren Anhängern in der Metal- und Progszene ein Geschenk machen möchte – und natürlich sich selbst. Zum Konzept hinter der Platte, der Entstehung der Band und welchen Stellenwert diese für ihre Karriere hat, aber auch zu aktuellen gesellschaftlichen Problemen in diesem Zusammenhang gab es einiges zu erzählen.

Alles begann ja mit The Gentle Storm...

Genau. Vor etwa zwei Jahren formte ich mit Arjen [Lucassen] The Gentle Storm. Wir veröffentlichten ein Album und es wurde ehrlich gesagt besser als wir erwartet hätten. Es wurde gut aufgenommen. Du weißt ja, dass er nicht tourt. Aber ich sagte zu ihm: "Ich möchte das unbedingt live aufführen." Ich liebe es, auf Tour zu gehen und ich brauche dafür, eine Band mit Metal-Musikern. Arjen erwiderte: "Ich toure zwar nicht, aber ich helfe dir, die Band zusammenzustellen." Also formten wir eine Live-Band. Arjen hatte vor, nach Gentle Storm ein Ayreon-Album zu machen ("The Source", Anm. d. Red.) und ich wollte mich einem Soloalbum widmen. Auf Tour realisierte ich dann plötzlich: "Holy shit! Ich habe diese tolle Band – Ed, Johan, Joost – sie sind so gut!" Ich wollte schon lange ein Metal- oder Prog-Album aufnehmen, aber irgendwie hatte ich dafür nie Zeit oder die richtigen Leute um mich herum. Ich dachte mir: "Wenn ich so ein Album machen will, dann muss ich es jetzt machen – mit diesen Leuten. Also habe ich sie gefragt und alle haben ja gesagt. Wir fingen an zu schreiben, aufzunehmen, Joost produzierte – und hier sind wir!

Hattest du auch vor, den Gentle Storm-Geist musikalisch zu einem gewissen Grad in VUUR zu bringen?

Nicht wirklich, nein. Auf The Gentle Storm hat einfach doch Arjen einen starken Fingerabdruck hinterlassen. Er brachte einen starken Folk-Einfluss mit – solche Elemente hat VUUR überhaupt nicht. Ich wollte Prog und Metal, dahingehend hängt es schon zusammen, aber mir war wichtig, ein heavy Album zu machen. Es sollte fast "maskulin heavy" werden – maskuliner, Heavy Metal-orientierter Prog, aber mit schönen Elementen, wie schönen Melodien auf Gitarre und im Gesang. Um so diese Balance zwischen Dunkel und Hell zu erreichen. Deswegen wurde es insgesamt wohl ein heavieres Album als The Gentle Storms "The Diary", das ja viele Easy Listening-Passagen, ruhige Passagen in den Songs hatte.

Werdet ihr die Gentle Storm-Songs trotzdem weiterhin live aufführen?

Oh ja! Wir picken uns die heavieren Songs raus. Klar wird der Fokus auf VUUR liegen, aber wir werden auch The Gentle Storm, Devin Townsend und The Gathering spielen.

Der Bandname VUUR ist ja Niederländisch und steht für 'Feuer'. Warum singst du denn nicht auch auf Niederländisch?

Ich dachte darüber nach. Und vielleicht werde ich eines Tages auch noch ein Metal-Album auf Niederländisch aufnehmen. Ich möchte auf jeden Fall ein Album in niederländischer Sprache aufnehmen. Vielleicht wird das auch ein Akustik-Projekt – aber warum eigentlich nicht Metal?

Vor einiger Zeit hast du ja schon auf Niederländisch aufgenommen, nämlich die Musik zum Kindertheater "De Beer Die Geen Beer Was". Könntest du dir so etwas nochmal vorstellen? Vielleicht auch auf Englisch?

Ja, ich liebte das! Und ja, wieso nicht auch mal auf Englisch machen? Wobei natürlich die Sache ist: Es ist für Kinder – also muss es in ihrer jeweiligen Sprache sein. "De Beer De Geen Beer Was" ist ein Buch aus den 70ern. Wir haben Songs dazu geschrieben und daraus ein Theaterstück gebastelt. Ich liebe es, auf Niederländisch zu singen und ich liebe es, für Kinder zu spielen! Sie sind so ein tolles Publikum! Sie sind superehrlich. Wenn du deine Konzentration verlierst und zum Beispiel übers Geschirrspülen nachdenkst, während du ein Lied singst, fangen sie sofort an, sich woanders umzugucken. Das ist verrückt! Wenn du siehst, wie sich die Kinder im Raum umdrehen, weißt du sofort: "Shit, ich muss mich konzentrieren, ich muss in Kontakt mit ihnen bleiben." Du und ich wir würden uns wahrscheinlich denken: "Ja okay, sie ist nicht wirklich bei der Sache, aber seis drum." Kinder stehen einfach auf und laufen davon, wenn du nicht gut bist.

Bevorzugst du Metalheads oder Kinder im Publikum?

(lacht) Ich mag beide, weil sie sich so voneinander unterscheiden. Die Metal- und Prog-Szene gleicht einer Bruderschaft. Die Leute dort sind aufgeschlossen, sie sind konzentriert – sie lassen sich auf lange Songs ein, tauchen richtig in die Musik ein, hören auf die Texte und wollen wissen, was du als nächstes tust. Ich glaube wirklich, dass die Metal- und Prog-Crowd die beste überhaupt ist.

Prominent bist du in erster Linie ja auch in der Metalszene. Dabei hast du einige poppigere Werke hinter dir. Wünschst du dir manchmal, du wärst dafür mehr bekannt?

Nein, ich liebe meinen Platz in der Metalszene! Das ist mir eigentlich schon genug. Und zumindest in Holland habe ich eine gewisse Mainstream-Karriere, trete öfter im Fernsehen auf und die Leute kennen meine Akustiksachen. Dort ist es manchmal tatsächlich sogar umgekehrt: Menschen kennen mich aus dem Fernsehen, wissen aber nicht, dass ich groß in der Metalszene unterwegs bin – weil sie sich im Metal nicht auskennen. Aber klar: Wenn ich in eine Metalkneipe oder auf ein Konzert gehe, erkennt man mich sofort. Beim Einkaufen bin ich dagegen doch recht anonym. Vielleicht kommen mal ein oder zwei Leute auf mich zu, aber das wars. Das ist eigentlich ziemlich witzig, denn weltweit ist die Metal- und Progszene ja riesig – und trotzdem immer nur eine Unterströmung der gesamten Musikszene. Ich mag diese Position. Wer mich nun beim Einkaufen erkennt oder nicht, ist mir herzlich egal. (lacht) Doch es ist schön, von der Metal-Community so viel Respekt entgegengebracht zu bekommen.

Zumal einige Fans dieser Szene sich sicher auch für deine anderen Aktivitäten interessieren.

Auf jeden Fall. Als ich diese Kindershows gespielt habe, über die wir eben gesprochen haben, saßen immer auch Metalheads im Publikum! Ich habe immer irgendwo schwarze T-Shirts erspäht. Sie hatten nichtmal Kinder, sie kamen nur, um die Show zu sehen. (lacht) Bei den Klassik-Sachen, die ich mache ist es genauso. Außerdem arbeite ich manchmal mit niederländischen Popgruppen – das gleiche: überall schwarze T-Shirts! Das ist doch fantastisch oder? Und sie kaufen auch noch die Platte – sogar das Kinderalbum!

Ich habs mir gestern angehört und fand die Musik ziemlich gut, muss ich sagen.

Aw, super! Siehst du? (lacht) Naja, einige werden es wohl auch an ihren kleinen Cousin oder so weitergegeben haben. Aber ich finde so wunderbar, dass Leute, die mich als Künstlerin schätzen, sich immer informieren, was ich gerade mache. Dabei weiß ich genau, dass sie insgeheim doch auf ein Metalalbum hoffen. Auch das trug zur Entstehung VUURs bei, denn letztendlich gefällt es den Leuten – hoffentlich – wenn ich in diese Richtung aktiv bin.

"Die USA und Nordkorea verhalten sich wie Kinder!"

"In This Moment We Are Free – Cities" liegt ein besonderes Titelkonzept zugrunde. Jeder Song trägt neben dem eigentlichen Titel auch den Namen einer Stadt. Was genau steckt dahinter?

Naja, wir reisen eine Menge. In bestimmte Städte kommt man dabei öfter. Und jedesmal, wenn ich eine Stadt betrete, fühle ich bestimmte Dinge. Jede Stadt triggert irgendwas – sei es durch die Umgebung, die Leute oder sonst etwas. Ich schreibe immer Songs, wenn ich reise – wenn ich also in diesen Städten bin. Und schon länger denke ich mir, ich sollte vielleicht mal über diese tollen, großen Städte überall in der Welt schreiben und ein Konzeptalbum daraus machen. Also habe ich damit angefangen. Immer wenn im Flugzeug oder in Hotelzimmern sitze schreibe ich an Lyrics oder mal ein Gedicht. Und dann ergab sich diese Band und ich dachte: "Wenn ich dieses Städtekonzept machen will, dann sollte ich es mit Metalmusik umsetzen."

Warum das denn?

In Metal und Prog muss man keine Kompromisse eingehen. Du kannst ausufernde Songs machen – niemanden kümmert es, wenn ein Stück sieben Minuten dauert. Und es geht immerhin um große, epische Städte. So kann ich in meinen Lyrics poetisch sein. In diesem Genre geht einfach alles. Also brachte ich das zusammen.

Ich schätze, es ist auch ein Ziel, mit der Band in allen besungenen Städten zu spielen?

Ja, wir werden zu all diesen Orten zurückkehren. Ichs selbst war aber natürlich schon überall, sonst könnte ich ja nicht darüber schreiben.

Was fehlt, sind die (ost)asiatischen Städte.

Das stimmt. Wir sind nie dort. Das Östlichste, wo wir je gespielt haben ist Beirut. Oder vielleicht Moskau. Ich würde liebend gern mal nach Japan fliegen. Oder auch Australien. Aus irgendeinem Grund ist das aber noch nie passiert.

Planst du, das Konzept auf dem nächsten Album fortzuführen?

Ich denke zumindest darüber nach. Schließlich gibt es ja noch eine Menge Orte, über die ich schreiben könnte. Und das Konzept bedeutet einen schier bodenlosen Inspirationspool.

Der Opener heißt "My Champion – Berlin". Was ist Berlin für dich und wie übersetzt du das in die Musik?

Berlin ist in meinen Augen eine sehr stolze Stadt. Und wie viele andere große Städte verfügt Berlin über eine reichhaltige Geschichte. Der sich wiederholende Aufstieg und Fall einer Stadt macht sie zu dem, was sie heute ist. Lyrisch beschäftige ich mich mit der Stadt als eine Figur, die nach einer Niederlage Worte der Verzweiflung äußert: "Wirst du mir helfen, wieder auf die Beine zu kommen?" Es geht um das Gefühl nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch im Song über Rotterdam gehts um den Zweiten Weltkrieg – allerdings steht im Text dessen Ausbruch erst kurz bevor. Wenn Städte durch Krieg zerstört werden, braucht es eine ungeheure Leistung der dort lebenden Menschen, um sie wieder aufzubauen. Ich finde es faszinierend, wie das funktioniert. Berlin ist heute so eine starke und wunderschöne Stadt, reich an Kunst und Musik. Das ist fantastisch. Dabei ist es noch nicht lange her, dass hier alles zerbrochen war. Und genauso in Frankreich und Holland. Rotterdam zum Beispiel war komplett zerbombt. Unsere Eltern kannten diese Verwüstung noch und wir sollten sie nicht vergessen. Heute haben wir eine gute Verbindung und arbeiten zusammen und das ist gut. Leute sind seltsam. Sie tun manchmal so schreckliche Dinge ...

... und das ja auch heutzutage.

Die USA und Nordkorea verhalten sich gerade wie Kinder! Sie schreien sich an und spielen dabei mit Millionen von Leben!

Bis einer von beiden zuschlägt...

Ja, das ist absurd, wenn man drüber nachdenkt oder? Aber genauso sind Menschen in der Lage zu sagen: "Okay, wenn die Regierung mir nicht weiterhilft, dann mache ich es eben selbst." Gemeinschaften, die sich bilden, um sich gegenseitig zu helfen und Positives zu bewirken – auch das ist menschlich! Es ist verrückt, wie viel man über solche Dinge schreiben kann. In poetischem Sinne natürlich; ich möchte keine Geschichtsvorlesungen halten. Unsere Geschichte kennen wir ja, dafür gehen wir schließlich zur Schule. Aber ich kann auf künstlerische Weise darüber dichten.

Das Gemeinschaftselement findet sich auch in "Reunite! – Paris" wieder. Ist der Song vom Bataclan-Attentat inspiriert?

Ja. Wir sehen Paris immer als die romantische Stadt. Dort ist so viel los und im Sommer ist es einfach ein wunderschöner Ort. Aber wie in jeder anderen Stadt gilt: Das Leben ist hart, wenn du dort lebst. Es kann schwierig sein, es ist nicht immer alles gut und sicher. Aber nach den Angriffen hat man auch wieder gesehen, was das in den Leuten auslöst: An der Oberfläche steht etwas sehr Negatives – doch darunter lässt sich wieder das feststellen, worüber wir eben gesprochen haben: die Menschen helfen einander! Sie schließen sich zusammen und tolle Dinge entstehen daraus. Darauf sollten wir uns konzentrieren. In den Nachrichten hörst du immer nur: "Das ist Schlechtes passiert, das sind Arschlöcher, die machen dies und jenes falsch." Fast nie kommt: "Schaut euch diese Gemeinschaft an! Seht, wie diese Leute zusammenkommen!" Das versuche ich im "Paris"-Text auszudrücken. Wir sollten uns vereinen und Stärke auf positive Weise ausstrahlen.

Ist das Album damit auch ein Statement für die Globalisierung? Gerade das ermöglicht heutzutage ja das einfache Reisen.

Absolut. The world is ours, but we are from the world. Grenzen haben wir irgendwann mal erfunden – vor ein paar Jahren oder Jahrhunderten. Aber warum? Ich glaube, Reisen macht dich aufgeschlossen. Ich wohne in einem kleinen Dorf und dort gibt es Leute, die dort niemals rausgehen oder zumindest nie einen Radius von 100 Kilometer drum herum verlassen. Einige verhalten sich rassistisch und sagen Dinge über Kulturen, die sie gar nicht kennen. Wenn sie diese Kulturen besuchen würden, würden sie erkennen, dass auch Leute in der Türkei oder Marokko sehr einladend sind. Sie haben eine tolle Kultur und leben ihr Leben genauso wie du und ich. Aber manchmal müssen sie wegrennen, weil ihr Land den Bach runtergeht. Wenn du reist, wirst du demgegenüber offen. Du wirst toleranter und hilfsbereiter gegenüber anderen Menschen. Wir alle sollten auf Reisen gehen. Die Kids heutzutage unternehmen Field Trips, schauen mal nach Polen oder Spanien – sie sehen sich um! Das ist großartig. Die Generationen unserer Eltern und Großeltern hatten nicht die Zeit und auch nicht die Möglichkeiten zu reisen. Das ist schade. Ich glaube, unsere Generation und die unserer Kinder wird eine tolerantere Weltsicht vertreten.

Für "In This Moment We Are Free – Cities" hast du tatsächlich mit Menschen aus der ganzen Welt zusammengearbeitet. Zum Beispiel trugen Mark Holcomb (Periphery), Eva Holopainen (Amorphis) und Daniel Cardoso (Anathema) zum Songwriting bei.

Das ist richtig. Sie kommen alle aus verschiedenen Ecken der Erde.

Wie lief denn das Songwriting generell ab? Wie viel kam von dir, wie viel von anderen?

Die Basis legte ich gemeinsam mit Joost van den Broek, unserem Produzenten. Esa, Mark und Daniel sind gute Freunde, ich stehe ständig in Kontakt mit ihnen – über WhatsApp, Facebook und wenn wir auf Tour in der Gegend sind, treffen wir uns. Ich hab dann einfach mal zu ihnen gesagt: "Hey, ich arbeite an einem Album – habt ihr vielleicht ein paar Riffs oder wollt ihr sonst irgendwas mit mir machen? Ein Gitarrensolo vielleicht?" Na klar! Esa, Daniel und Mark kommen ja aus ganz verschiedenen Bereichen des Metal-/Prog-Spektrums. Mark ist Djent-Gitarrist, Esa ist dieser Heavy Metal-Typ ... du weißt schon. Als Mark für mich schrieb, kam er mit epischen Melodien an, die mich so inspirierten! Ein Riff hat er mir per Handyvideo geschickt, weil er gerade auf dem Sprung zur nächsten Tour war – total roh, er schrubbt ohne Amp auf seiner Gitarre rum. Er versprach, das richtig aufzunehmen, wenn er wieder zurück wäre, wollte mir das aber unbedingt sofort zeigen. Warte, ich hab' das glaube ich sogar noch auf dem Handy – ich zeigs dir kurz.

Auf Annekes Smartphone-Bildschirm erscheint ein kopfloser Mark Holcomb, der konzentriert ruhige Arpeggios spielt.

Schon in diesem Clip hörte ich den epischen Song, der später draus werden sollte: "Freedom – Rio". Tatsächlich schrieb ich Lyrics und Vocalmelodie zu genau diesem Video. Dann ging ich damit zu Joost und unser Gitarrist spielte es für uns zum Arbeiten. Als Mark von seiner Tour zurückkam, konnte ich ihm schon das fertige Stück vorspielen. (lacht)

Bei Esa war das ganz anders. Ich meinte zu ihm: "Schick mir einfach mal was per E-Mail, wenn du eine Idee hast." Und plötzlich bringt er mir fünf Songs! Hatte er natürlich auch schon im Homestudio aufgenommen. Zwei davon habe ich genommen und mit Joost überarbeitet. Wir wechselten mal die Tonart und haben Kleinigkeiten verändert, aber es sind immer noch Esas Riffs und sein melodischer Fingerabruck.

Teilweise hast du das schon beantwortet, trotzdem: Wie viel von VUUR machst eigentlich du aus und wie viel die Band als Kollektiv?

Joost und ich haben wie gesagt das Songwriting übernommen und auch unsere beiden Gitarristen waren daran beteiligt. Von Jord [Otto] stammt zum Beispiel die Idee zu "My Champion – Berlin" – einem meiner Lieblingssongs. Mit Joost zusammen habe ich schließlich Demotapes erstellt, bevor die Band hinzukam, die Stücke lernte und aufnahm. Und letztendlich wird alles ja erst beim Recording zum richtigen Song. Joost und ich hatten noch Drumcomputer und schrubbten stümperhaft auf den Instrumenten herum. Wenn Ed Warby am Schlagzeug sitzt, ist das nochmal ein ganz anderes Level.

"Devin Townsend kennt meine Stimme sehr genau"

Du hast vorhin erwähnt, dass du nach The Gentle Storm eigentlich wieder ein Soloalbum machen wolltest. Warum ist es letztendlich doch ein Bandprojekt – vor allem auch mit einem Bandnamen statt deinem eigenen– geworden?

Naja, um Metal zu spielen brauchst du eben eine Band. Und ich habe VUUR bewusst einen Namen gegeben, weil es mit all den Dingen, die ich in letzter Zeit gemacht habe, ziemlich verwirrend wird. Dieses "Label" ist nun dafür da, den Heavy-Kram zu machen. Unter meinem eigenen Namen kann ich alles andere verwirklichen – etwa ein Kindertheater oder eine Akustikshow; das ruhige Zeug eben. Das funktioniert alles parallel, aber so ist es differenzierter. Ich kam vor einer Weile an einen Punkt, an dem ich körperlich wirklich erschöpft war und das Gefühl hatte, ich müsste allem ein wenig mehr Struktur geben. Und ich glaube, das Metalalbum ist gerade jetzt sehr wichtig für meine Karriere – ich musste meinen Fokus einfach darauf legen. Deswegen und natürlich auch wegen der tollen Musiker, die mir zur Seite stehen, verdient es einen Namen. Aber klar: Letztenendes ist VUUR meine Idee, meine Vision, mein Konzept, meine Musiker, mein Alles.

Einer deiner prominentesten musikalischen Begleiter der letzten Jahre handhabt das ja so ähnlich: Devin Townsend. Einerseits betreibt er das Devin Townsend Project, um eine Konstante zu haben, andererseits tobt er sich darum herum mit diversen anderen Projekten aus.

Sehr richtig. Er kann im Grunde alles machen, aber stellt klar, was was ist. Wenn er heute sagt, dass er für DTP komponiert, weißt du ungefähr, was dabei herauskommen wird. Das gleiche gilt für VUUR: Nehmen wir mal an, ich schreibe ein Heavy Metal-Album auf Niederländisch. Auch das würde passen, weil es genauso düster sein kann. Auch wir lassen uns Freiheiten offen – wir können unter diesem Bandnamen alles machen, was heavy ist.

Ich würde sagen, der Sound eures Debüts lässt auch die Tür für ruhigere Passagen offen.

Das stimmt. Aber ich mag die Energie von Heavy Music. Und wie gesagt: Ruhige Sachen kann ich auch alleine machen. Wobei ich Ferry [Duijens], unseren anderen Gitarrist, eh überall hin mitnehme, haha. Ich arbeite schon seit 2011 mit ihm und wir machen auch viel Akustisches zusammen.

Das heißt, du planst, all das parallel laufen zu lassen.

Ja, genau.

Im vergangenen Jahr warst du längst nicht nur mit VUUR beschäftigt. Auf dem jüngsten Árstíðir-Album "Verloren Verleden" bist du zu hören, kürzlich hast du mit Ruud Jolie (Within Temptation) an seinem For All We Know-Projekt gearbeitet und Danny Cavanagh (Anathema) veröffentlich demnächst sein Soloalbum "Monochrome", das ebenfalls deinen Gesang enthält. Wie bringst du das alles unter einen Hut?

(lacht) Mit Árstíðir arbeitete ich an diesem Klassik-Projekt, ja. Das erschien zwar letztes Jahr, aber ich glaube die Aufnahmesessions liegen schon wieder fast zwei zurück. Ruud arbeitete an einem neuen Album für sein Soloprojekt und fragte mich, ob ich nicht mitwirken wolle. Mit ihm habe ich vor einigen Monaten aufgenommen. Und das Einsingen der Vocals für Danny Cavanagh liegt auch schon mindestens ein halbes Jahr zurück. Ich hatte das schon wieder total vergessen und plötzlich teilt er mit, dass er sie veröffentlichen will! (lacht) Das erscheint jetzt zwar alles auf einmal, aber die Aufnahmen dafür liegen jeweils schon eine ganze Weile zurück.

Liegt noch was in der Pipeline?

Nicht viel. In Holland werde ich bald mit einem Orchester auftreten. Aber nach zwei Tagen ist das schon wieder vorbei. Ich will mich aktuell vor allem auf VUUR und die anstehende Tour konzentrieren.

Wie kommst du eigentlich an all diese verschiedenen Projekte? In den letzten paar Jahren warst du ja quasi überall.

Ja, ich weiß! (lacht)

Suchst du selbst danach oder kriegst du einfach dauernd Angebote?

Ja, die Leute fragen mich. Es ist ziemlich verrückt. Tatsächlich sage ich sehr oft nein. Es ist ein Segen, dass so viele mich bei ihren Alben, Projekten oder Live-Performances dabei haben wollen. Ab und zu starte ich auch selbst etwas, wie zum Beispiel The Sirens (Anneke tat sich dafür mit Liv Kristine und Kari Rueslåtten zusammen; Anm. d. Red.). Und oft ist es nicht gerade harte Arbeit. Das mit Danny zum Beispiel, wo ich ja nur auf drei Songs singe: Ich habe mein Homestudio, da setze ich mich abends ein bisschen rein. Das ist super.

Arbeitest du lieber an eigenen Projekten oder bevorzugst du Führung von Leuten wie Devin Townsend oder Arjen?

Ich mag beides, weil es eben sehr unterschiedlich ausfällt. Devin zum Beispiel fragt: "Kannst du mir für diesen Song das und das und das singen, bitte?"

Er gibt wirklich alle Melodien vor oder?

Ja. Er weiß sehr genau, was er will. Und er kennt meine Stimme sehr genau und weiß, was ich singen kann. Er schreibt genau das, was ich für ihn liefern kann. Ich muss es dann nur noch umsetzen. Das ist super und ich lerne eine Menge dabei. Ich liebe seine Songs und ich liebe es, sie zu singen. Aber genauso gern schreibe ich meine eigene Songs, gehe meiner eigenen Vision nach. Du schaffst ja im Grunde etwas aus dem Nichts heraus. Das ist toll.

Was war für dich bisher das herausfordernde Projekt?

Ich würde tatsächlich VUUR sagen, weil ich mich selbst dafür sehr unter Druck gesetzt habe. Ich wollte, dass es sehr, sehr gut wird. Manchmal entsteht ein Album, weil einem gerade danach ist, diese Art von Musik zu machen, aber diesmal ...

... war die Vision zuerst da und du musstest ihr irgendwie gerecht werden?

Ja! Ich wusste, es würde heavy werden. Und ich wollte dabei keine Kompromisse eingehen. Darüber habe ich auch mit Joost gesprochen. Mir war wichtig, dass nicht irgendwann die Plattenfirma dazwischenfunkt und mir sagt: "Kürze doch diesen Song bitte ein bisschen, damit wir ihn im Radio spielen können." Letztendlich vertreten alle Menschen um dich herum eine Meinung – Bandmitglieder eingeschlossen. Wenn die Idee passt – schön und gut. Aber andere Leute können trotzdem andere Vorstellungen davon haben, in welche Richtung es gehen soll, in welche Richtung deine künstlerische Äußerung sich wenden soll. Wir hatten einige Schlüsselwörter: Düster, heavy, energetisch, schön und kompromisslos. Es sollte lange Soli geben und wundervoll episches Zeug. Damit haben wir losgelegt und es durchgezogen.

Zum Abschluss noch etwas anderes: Ende August verstarb die Autorin Louise Hay, woraufhin du auf Facebook einen kurzen Nachruf gepostet hast. Du sagtest, sie hätte dein Leben verändert. Inwiefern?

Ich stieß vor etwa 25 Jahren auf sie. Sie ist eine dieser Personen, die 'die Kunst zu leben' gefunden haben. Manchmal ist das Alltagsleben einfach hart und du fragst dich: "Wer bin ich? Wozu bin ich hier?" Diese Fragen habe ich mir schon immer gestellt, vor allem als ich jung war. Damals war ich deutlich bedrückter als heute. Ich bin zwar von Natur aus eine sehr positiv eingestellt, aber ich fand mich in Phasen wieder, in denen ich einfach nicht mehr weiterwusste. Ihre Bücher haben mich viel gelehrt. Ihre zentrale These ist: Wenn du deine Gedanken in eine positive Richtung lenkst, wirst du auch dorthin gelangen. Wenn du denkst: "Ich kriege nichts auf die Reihe, alles was ich anfasse, geht den Bach runter, niemand mag mich, sie hassen mich, ich bin schlecht in meinem Job...", dann wird genau das passieren. Du materialisierst es gewissermaßen, indem du Energie darauf verwendest, es zu denken.

Auch wenn du vielleicht zunächst nicht daran glaubst, dir aber trotzdem am Morgen sagst: "Anneke, du bist es wert, heute haust du richtig rein! Heute klappt das!", stehen die Chancen gut, dass es so läuft. Es ist ein simples, spirituelles Gesetz und wenn du dich ernsthaft darauf einlässt, funktioniert es. Aber du musst das üben! Anfänglich war es sehr weird, mir zu sagen: "Hey, du bist okay". Denn ich war definitiv nicht okay. Und das denke ich auch heute noch ab und zu. Am Ende eines Tages denke ich oft: "Das lief nicht so gut.". Aber gleichzeitig eben auch: "Morgen kriegst du das besser hin." Wenn ich heute einen guten Gig gespielt habe, will ich, dass der morgige besser wird. Louise Hays Bücher haben mir dahingehend sehr geholfen – mit einfachen Mitteln! Man denkt immer sofort, man müsste sich in Therapie begeben – was definitiv richtig ist! –, aber manchmal geht es auch wesentlich einfacher.

Gab es noch weitere Leute, die einen solchen Einfluss auf dich hatten?

Ja, ich war nämlich tatsächlich auch in Therapie bei Leuten, die einen ähnlichen Ansatz wie Louise Hay verfolgten. Die Bücher Deepak Chopras habe ich ebenfalls gelesen. Du musst dir einfach eine positive Einstellung bewahren, sonst ist es eine Qual hier auf Erden zu sein. Warum sollte es eine Qual sein? Du musst dich rauskämpfen! Mach Musik!

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2 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Sehr sympathische Frau, die diesen Eindruck auch in eurem Interview wieder galant zu unterstreichen weiß, aber leider fusionieren ihre Stimme und die Musik leider gar nicht wie in meiner Vorstellung erhofft...

    Lebende Legende durch das Triple in den 90ern mit The Gathering (denen im Eröffnungsabsatz leider das letzte "g" abhanden gekommen ist) und ich werde VUUR sicher mehr als 2 Durchläufe gönnen, weil ich ja selber unbedingt will, dass es noch zündet, aber das YT-Material lässt mich weitgehend kalt.

    Vielleicht sollte ich drauf hoffen, dass sie mal von Leuten wie Aaron Turner, Mike Vennart oder Cult of Luna angefragt wird und Bock drauf hat. Generell denke ich, dass Post Metal dem Vibe ihrer musikalischen Hochphase deutlich näher käme ohne wie ein bemühter The Gathering-Abklatsch zu wirken. Vielleicht gehören die von mir Genannten auch alle zu den von ihr beschriebenen Abgelehnten. Die Hoffnung stirbt aber zuletzt, dass sie irgendwann doch noch an ne Post Rock/Metal-Fraktion gerät.

  • Vor 7 Jahren

    Die Frau ist stimmlich doch leider sehr festgefahren, wie man deutlich am Übermaß der Townsend-Kollaborationen gemerkt hat.