laut.de-Kritik
Technik, die begeistert - in zerstörerischem Ausmaß.
Review von Yan VogelArjen Lucassen spricht "Es werde Licht" und lüftet auf "The Source" das Geheimnis um die Vorgeschichte der Forever-Saga. Das Prequel zu "01011001" beschreibt den Überlebenskampf der Menschen auf dem Planeten Alpha und deren Flucht auf den Planeten Y, wo sie in der Liquid Eternity-Soße unsterblich, aber emotionslos dahinvegetieren. "The Source" nennt diese Flüssigkeit nur bei anderem Namen.
In grauer Vorzeit angesiedelt, plagen sich die Vorfahren der Menschheit mit denselben Problemen, die uns heute beschäftigen. Geschichte wiederholt sich, das Wachstums-Pendel schlägt mit den Geißeln Krieg, Umweltzerstörung und blindem Technik-Glauben hart zurück.
Die alles überwachende künstliche Intelligenz namens 'The Frame' kommt zu dem Entschluss, die Wurzel allen Übels zu beseitigen, nämlich die Bewohner des Planeten Alpha. Technik, die begeistert - und zerstörerische Ausmaße annimmt. Eine kleine Gruppe schickt sich an, dem drohenden Untergang zu entfliehen und bricht auf zu einem neuen Sonnensystem, um dort den Planeten Y zu besiedeln.
Stellte "The Theory Of Everything" gewissermaßen die Abkehr vom Höher-schneller-weiter-Prinzip dar und wartete mit abgespecktem Personal, einer irdischen Story und deutlichen Seventies Prog-Referenzen auf, geht der holländische Hüne mit "The Source" wieder in die Vollen. Als Prequel konzipiert, tauchen in textlicher und musikalischer Hinsicht entsprechend viele Querverweise aus dem Ayreon-Kosmos auf, deren Entschlüsselung viele Posts auf der Facebook-Seite generieren dürfte.
Das Songwriting fällt extrem linear aus. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern die Schönheit einer Melodie und die Brachialität einer Passage, die Lucassen entsprechend songorientiert behandelt. Größtenteils regieren die Gitarren, wobei die für den Sound unverzichtbaren Keyboards für Riff- und Melodien-Dopplungen sorgen. Der Hörer wähnt sich streckenweise im Star One-Universum und auf der "Universal Migrator Part II"-Zeitreise.
Lucassen fährt sämtliche Schwermetalle des Periodensystems auf und kredenzt seine unverkennbare Mischung aus Prog Metal, Speed Metal, Hardrock und Power Metal. Einige balladeske Parts und folkige Steptanz-Einlagen sorgen neben dosierten klassischen Spielereien und Orientalismen für willkommene Abwechslung. Exemplarisch hierfür steht der C-Teil in "Deathcry Of A Race", in dem Floor Jansen (Nightwish) und Simone Simons (Epica) die Opern-Diven mimen und Zaher Zorgati (Myrath) den Muezzin gibt.
Die Riege an Gastmusikern lässt jedem Rock und Metal-Fan das Wasser im Munde zusammenlaufen. Das Who is Who ist gewohnt gekonnt in Szene gesetzt. Tobias Sammet (Edguy, Avantasia) tritt als cockrockender Kapitän auf, Russel Allen (Symphony X) als stimmgewaltiger Präsi, während James LaBrie (Dream Theater) als Historiker die Story mit wesentlich weniger Kitsch als auf "The Astonishing" stimmlich begleitet. Der Oberhammer ist Mike Mills (Toehider) als Betriebssystem TH 1, der bereits auf "The Theory Of Everything" und der Live Adaption von "The Human Equation" die Kinnladen zum Herunterklappen brachte. Die Vocal-Layer im Stile eines Freddie Mercury oder Devin Townsend geraten zu Highlights.
Stellenweise agieren die Sänger deckungsgleich mit ihren Stammformationen. Hansi Kürsch intoniert den Refrain von "Planet Y Is Alive" wie eine Speed Metal-Nummer aus dem Blind Guardian-Fundus. Tommy Rogers Einsätze fallen wie die elegischen Parts des letzten Between The Buried And Me-Geniestreichs "Coma Ecliptic" aus. Leider hält er sich mit seiner extremen Gesangsstimme zurück.
Lucassen tritt als Perfektionist und Kontrollfreak wie aus dem Lehrbuch auf. Zwar gibt er einige Soli an Könner wie Paul Gilbert (Mr. Big, Racer X) und Guthrie Govan (The Aristocrats, Steven Wilson) ab, behält aber ansonsten bei jeder Note die Oberhand. Als Kritiker kann man ihm spitzfindig vorwerfen, dass ihm die Ideen ausgehen, da sowohl die Story als auch Musik und Sounds mit zahlreichen bekannten Motiven aufwarten. Den Kniff, das Ganze als Prequel zu konzipieren, lässt man ihm noch einmal durchgehen. Beim nächsten Projekt sollte er dennoch aufpassen, dass in der perfekt getakteten Megamaschine nicht die Seele verloren geht.
2 Kommentare mit 2 Antworten
„Universal Migrator II“? Herr Vogel, da muss ich widersprechen, das Album kupfert eher bei „Into the Electric Castle“ ab. Man merkt das Lucassen Bock auf ein klassisches Ayreon Album hatte nachdem er mit TToE quasi die Metal Oper ausgereizt hat. Als bekennender Fan der Migrator Reihe oder eben Electric Castle geht mir das Album runter wie Öl. Vor allem die verschiedenen Sänger und wie sie miteinander agieren, die Mischung aus Prog, Heavy und Folk und natürlich Lucassens Gespür dafür bei dem Zuhörer Bilder im Kopf entstehen zu lassen machen das Album zu einem der besten des Jahres bisher.
Eigentlich war ja „Forward into the Past“ als Album des Jahres fest aber Ayreon machen mir es hier echt schwer, das Album ist durchweg stark, die aufgebotenen Sänger über jeden Zweifel erhaben und Lucassen hat bisher noch nie enttäuscht. Es gibt keine Entwicklung? Wen interessiert, solange dabei Lieder wie „Star of Sirrah“ bei rauskommen. Sowas kann man nicht oft genug kopieren. Ich geb jetzt mal ne 4,9 einfach weil ich mir die 5 dann doch für Skyclad aufhebe.
Für 'ne 5 bei Skyclad müsste Martin Walkyier zurückkehren - und das wird wohl leider nicht passieren. Die beiden Alben mit Kevin Ridley sind ganz nett, können aber nicht an alte Glanztaten anschließen. Meine Erwartungshaltung bezüglich der neuen ist also eher niedrig.
Walkyier ist natürlich nicht zu ersetzten, aber sowohl "A Semblance of Normality" als auch "In the...All Together" sind sehr starke Alben, vor allem das letztere. Auch hat die Single einen sehr guten Eindruck gemacht. Ich vertraue Skyclad da blind.
Wenn die Kommentarfunktion irgendwann gesperrt werden sollte, sind (nun ja) Menschen wie ich schuld. Ich mag vielleicht über einen höheren IQ als 90 % der anderen Nutzer hier verfügen (zumindest in meinen Augen ), aber dafür bin ich ziemlich unmenschlich.