laut.de-Kritik

Von gute-Laune-Rap immer noch keine Spur.

Review von

Eine ganze Dekade ist es jetzt her, dass Amewu mit "Leidkultur" von sich reden machte. Die emotionale Wucht, mit der der Berliner kunstvoll über Depression und die Schatten im Hirn reimte, hinterließ bei denen, die durch Caspers "XOXO" sentimental angerissen waren, mächtigen Eindruck. Das Publikum schien bereit für emotionale Nacktheit - Amewu war es jedoch nicht.

Er zog sich erstmal zurück. Hier und da ein Track, ein Interview, ein Statement, dann auch mal eine Sammlung an Songs aus den vergangenen Jahren. Nach aktiver musikalischer Schaffensphase suchte man bei Amewu vergebens. Bis jetzt zumindest.

Es scheint, als wäre der Leidensdruck beim Rapper und Schauspieler - der Rap sowieso als Bewältigungsventil und nicht als Gelddruckmaschine versteht - nun wieder recht groß. Und wer könnte es ihm verübeln? In einer Zeit, in der hinten und vorn, oben und unten schwer voneinander zu unterscheiden sind; in der der Wunsch nach Solidarität und gleichen Rechten für alle maximalem Egoismus und Verschwörungswahn gegenübersteht und sich angestaubte Systeme, die schon längst der Vergangenheit angehören sollten, mit eiserner Kralle an ihren Machtzentren festhalten - wer möchte es da einem schwarzen Deutschen, oder überhaupt irgendwem vorhalten, in Anbetracht der Lage die rosarote Brille zu schreddern?

Ich nicht. Mal ganz abgesehen davon, dass Amewu noch nie für hoffnungsvollen Gute-Laune-Rap bekannt war, verstehe ich jede*n, der oder die gerade nach dem Aufstehen am liebsten in einem tiefen, dunklen Loch versinken will. Amewu hat mit "Haben oder Sein" die musikalische Ausgestaltung dieses Abgrunds geschaffen. Zwischen phlegmatischen Trap-Beats, warmen Jazz-Samples mit trockenen Drums und bleischweren Synth-Wänden rappt sich Amewu Geschwüre aus dem Leib. Kapitalismuskritik, Rassismuserfahrungen, Kritik an der gesellschaftlichen Doppelmoral, persönliche emotionale Zerrissenheit, Depression, Suizidgedanken, absolute Hoffnungslosigkeit und imaginäre Rap-Gegner - all das findet sich auf "Haben oder Sein", verpackt in kunstvoll und versiert rhythmisch gerappten Zeilen. So weit, so szenisch.

Auf konzeptioneller Ebene liegt hier jedoch das Problem des Albums: all diese Themen kommen quasi zeitgleich vor. Ist es teilweise sowieso schon eine Herausforderung, Amewus Doubletime akustisch zu folgen, wird der inhaltliche Nachvollzug des soeben Gehörten durch die ständigen thematischen Sprünge nahezu unmöglich. Egal wie ambitioniert Zuhörer*innen sind - man kommt schlicht nicht mit. So folgen in "Lisas Migräne" beispielsweise auf gesellschaftskritische Zeilen philosophische Fragen und Zweifel an dem eigenen Selbst, nur um dann die Nicht-Existenz von Wahrheit zu beschwören:

"Wir leben in einer Scheinwelt voller Kompromisse / schreib deine Ideale auf und streich sie langsam von der Liste"

"Wenn alles einen Sinn hat, warum haben wir dann fünf? Und was von dem, was all die Stimmen gerade sagen stimmt?"

"Fragen stellen ist toll, wenns einen wirklich interessiert / Antworten enttäuschen oft und wirken kompliziert / Die Wahrheit darf nicht wahr sein, deshalb wird sie kontrolliert / von wem? / von jedem, der das versucht, vielleicht sogar von dir"

Auch "Hadouken", "Kenne Meine Fehler" oder "Plastikstrand" zeichnen ein ebenso verworrenes und deswegen unklares Bild aus fehlender Selbstliebe, Wut auf die Gesellschaft und Rap-Battle-Ästhetik. In einigen wenigen Songs auf "Haben oder Sein" gelingt Amewu die thematische Reduktion. "Alles Opfer" beispielsweise, in dem ein anschauliches Bild gezeichnet wird, wie wir als Gesellschaft, aber auch als Familienmitglieder oder Partner*innen Traumata einfach weitergeben, statt sie zu verarbeiten. Oder "Erste Zeilen", in dem er so intensiv nachfühlbar macht, wie sich Depression oder depressive Schübe anfühlen. Hier hört man Amewu gern zu, entdeckt den begnadeten Geschichtenerzähler, der in ihm steckt. Doch leider sind diese Lichtblicke selten.

Stattdessen zieht einen der schlammig-trübe Strudel aus Wut auf die Anderen und Unverständnis gegenüber sich selbst über den Verlauf des Albums mit nach unten. Man fühlt sich zu nah dran an den wilden Gedankenstrudeln des Erzählers. Man weiß nicht so recht, wie das Gehörte zu verarbeiten oder gar einzuordnen ist. Als dann mit "Blut" der letzte Song des Albums erklingt, den Amewu bereits 2019 veröffentlichte, der so eine Art pseudo-positives Licht auf die Situation werfen soll, fühlt man sich nach den zwölf Runden Giftschlamm-Werfen nur noch verwirrter.

Amewu ist und bleibt trotz allem ein begnadeter Lyriker. In den klaren Momenten von "Haben oder Sein" wird das mehr als deutlich. Leider gehen diese in den Wirren der thematischen Sprünge etwas unter. Nur, um das nochmal klarzustellen: Dass diese thematischen Sprünge und Verworrenheiten existieren, ist per se nicht das Problem - Amewu betonte in der Vergangenheit regelmäßig, dass er Musik primär für sich selbst mache.

Im Prinzip machen genau diese Vertraktheiten das Album zu einem noch deutlicheren Abbild von Depression, denn: Wer depressiv ist oder sich in einer depressiven Phase befindet, denkt in der Regel nicht klar, sondern springt oftmals diffus zwischen Emotionen und Gedanken hin und her, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

Nichtsdestotrotz stehe ich, als Hörerin und Autorin dieses Textes, der Frage, welches Ziel das Album verfolgt, etwas ratlos gegenüber. Vielleicht offenbart sich der eigentliche Sinn des Albums aber auch erst, wenn man sich in derselben Situation wie Amewu befindet. Denn eine anschaulichere Beschreibung für das Gefühl am Rande der Verzweiflung wird man wohl nur schwer finden.

Trackliste

  1. 1. Amewuga
  2. 2. Alles Opfer
  3. 3. Lisas Migräne
  4. 4. Erste Zeilen
  5. 5. Hadouken
  6. 6. Fliegen
  7. 7. Haben Oder Sein
  8. 8. Kenne Meine Fehler
  9. 9. Freier Himmel
  10. 10. Plastikstrand
  11. 11. Schloss
  12. 12. Verbranntes Meer
  13. 13. Blut

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11 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    "Ist es teilweise sowieso schon eine Herausforderung, Amewus Doubletime akustisch zu folgen, wird der inhaltliche Nachvollzug des soeben Gehörten durch die ständigen thematischen Sprünge nahezu unmöglich. Egal wie ambitioniert Zuhörer*innen sind - man kommt schlicht nicht mit."

    Also ich konnte ihm sogar beim ersten Hören schon sehr gut folgen, man muss allerdings mit seiner Art des Rappens vertraut sein und sein Gehör diesbezüglich etwas "trainiert" haben. Das man gedanklich, während des Hörens, nicht bei jeder Zeile unmittelbar hinterher kommt (was die Sinnhaftigkeit betrifft), ist für mich sogar etwas Positives, da es den Wiederspielwert deutlich erhöht und zum Nachdenken anregt. Die Aussage "Egal wie ambitioniert Zuhörer*innen sind - man kommt schlicht nicht mit." halte ich insgesamt für etwas überzogen. Amewu rappt zudem zu jeder Zeit klar verständlich und sehr sauber.

  • Vor 2 Jahren

    Kann der Kritik in der Rezension nicht beistimmen. Finde den Inhalt auch nicht verworren noch unklar. Für mich ist es eine Art "Stream of consciousness"-Album mit hohem Wiederspielwert (da interessante Gedanken und technisch anspruchsvolle Zeilen) was sich mit dem Zeitgeist auseinandersetzt (deshalb eigentlich auch nur verzweifelt und z.T. ratlos klingen kann).

    • Vor 2 Jahren

      so ist das, finde ich auch gar nicht nachvollziehbar.
      Was soll ein Album denn für ein bestimmtes Ziel verfolgen?
      Dieses hier regt mehr zum Nachdenken und immer wieder Hören ein, aufgrund des Inhalts und der Art zu Rappen, als 80-90 Prozent der anderen aktuellen Deutschrap Alben. Und die Beats sind auch noch sehr geil...
      Natürlich 5 von 5, das Jahr beginnt echt verheißungsvoll mit dem Schinken hier und OG Keemo.

    • Vor 2 Jahren

      (Will mir jemand die Vinyl abkaufen, hab sie vor lauter Vorfreude aus Versehen 2 mal bestellt :ninja: )

  • Vor 2 Jahren

    Wie kann eine amewu platte 2022, drei punkte bekommen?

  • Vor 2 Jahren

    Bin da bei Dismak, Ninja und Squalle. Gutes Album, die Review kann ich nicht so richtig nachvollziehen. Finds jetzt auch nicht so depressiv. Wie immer würde mir ein Representer noch Spaß machen, aber es ist auf jeden Fall das beste Concsous-Rap-Album seit Cuck von Negroman,

  • Vor 2 Jahren

    Ich war beim ersten Hören arg gelangweilt und hab dann doch lieber wieder Keemo gehört.

  • Vor 7 Monaten

    Ich glaube und das scheint sich auch durch die Rezension und die Punktevergabe zu bestätigen, dass Mainstream-Outlets wie laut.de einfach der falsche Ort sind um Künstler wie Amewu in einer Rezension gerecht zu werden.

    "Haben oder Sein" ist eines der besten HipHop- und Rap-Alben seines Jahres und wer das schon zu verworren und komplex findet wird auch nicht glücklich, wenn er sich noch intensiver mit diesem musikalischen Subgenre Abseits der Charts beschäftigt.

    Schon alleine "XOXO" in der Review zu erwähnen, das musikalisch, inhaltlich und vor allem auch kulturell kaum Überschneidungen zu dem Schaffen Amewus hat, weil es sich einfach in ganz anderen, viel offensichtlicheren und massentauglicheren Spähren bewegt zeugt ein wenig vom Überfordertsein mit dem vorliegenden Produkt.