laut.de-Kritik

Zwei Männer, ein Sakko, null Zweifel.

Review von

Sie sind wieder da. Natürlich. Die Amigos – zwei Männer, ein Sakko, null Zweifel. Schlager-Rentner im Partnerlook, treue Lieferanten des musikalischen Sedativums für alle, die bei Florian Silbereisen schon in Dauerschock verfallen. "Lebe Jetzt" heißt das neue Werk – und es klingt exakt so, wie man es sich vorstellt: ein prahlerisches Comeback à la "Odysseus Kehrt Heim". Ob das heroisch wirkt? Kaum. Wer beim Albumtitel denkt, das klinge nach Aufbruch oder Lebendigkeit, hat die Amigos noch nie gehört.

Schon nach dem Einstieg bringt "Nur Für Dich Bin Ich Geboren" die bekannte Mischung aus Pathos, Polyester und Pressluftbass. Wenn man den Song als ironischen Spaß betrachtet – der er nicht ist – macht das auf absurde Weise sogar Spaß. Leider meinen es die Amigos todernst. Und genau das ist ihr größter Gag.

Beim Titeltrack "Lebe Jetzt" wirkt die Produktion, als hätte jemand einen ZDF Fernsehgarten-Mitschnitt durch ein Toastbrot gezogen. Karl-Heinz klingt dabei wie frisch vom Frühschoppen am Keyboard eingeschlafen – irgendwo zwischen Promille und Predigt. So schlecht produziert, dass es schon wieder raffiniert wirkt: Wer den Klang eines alten Yamaha-Keyboards mit eingebautem Herzschmerz vermisst hat, wird hier nostalgisch zu Boden gerissen. "Wie Die Rolling Stones" – Bescheidenheit ist der Amigos zweiter Vorname. Das Resultat: Erstaunlich amateurhaft produziert – so, dass man sich fragt, ob nicht jeder die Songs selbst besser hinbekommt. Oder ob man etwa nie wieder arbeiten muss, wenn Geld so leicht zu verdienen ist.

Doch bevor man zu kritisch wird, lohnt ein Blick in den Pressetext zur Platte – ein eigenes Kapitel in der Disziplin Selbstvermarktung. "Die Amigos sind Schlager-Punks, haben den Rock'n'Roll im Blut. Was sich keiner zu sagen traut, das sprechen sie aus". Man weiß nicht, ob man lachen oder der PR-Abteilung eine Medaille verleihen soll.

"Anfangs außerhalb ihrer Fankreise belächelt, haben sich Karl-Heinz und Bernd Ulrich mit den Jahren breiten Respekt erarbeitet und viele Steine ins Rollen gebracht". Belächelt ihr noch oder lacht ihr schon? "Was glaubst du, wie die Leute toben, wenn wir diese Lieder spielen?" Die Antwort lautet vermutlich: gar nicht. Oder nur innerlich. Und auch das eher mit Scham als mit Ekstase.

"Verlorenes Gold (Für Doris)" ist eine Liebeserklärung an eine offenbar verschwundene Frau namens Doris – entweder eine Ex oder eine Metapher für den verlorenen Schlüssel zur Realität. Auf jeden Fall ein Song, bei dem man selbst langsam beginnt, an Doris zu denken. Oder an die Fernbedienung.

"Pettycoat Und Rock'n'Roll" ist der musikalische Beweis dafür, dass es möglich ist, das Lebensgefühl der 50er mit der emotionalen Dynamik eines Amigos zu verbinden.

Wirklich unangenehm wird es bei "Sweet Loreen", wenn vom "kurzen Rock" und heißen Sommerabenden gesungen wird. Nicht, weil Schlager nicht auch mal flirten darf – sondern weil die Texte klingen, als würden die Amigos in der dritten Person über sich selbst reden. Ein bisschen mehr Altersmilde, ein bisschen weniger Ü60-Blick in Richtung Teenager wäre schön gewesen.

Sprachlich endgültig jenseits der Schmerzgrenze angekommen ist man bei "Ich Lebe Nach Gefühl": "Wenn ich aus der Schule kam. Sprach mit den Möwen wie mit Freunden". Man fragt sich unweigerlich, was schlimmer ist: der Satz oder der Gedanke, dass er ernst gemeint ist.

"Wie Napoleon" könnte als Beweisstück bei einer Anzeige wegen Stalking dienen. Und der "Hitmix 2025"? Geht über fünf Minuten. Warum, bleibt ein Mysterium. Dem Titel alle Ehre gemacht hätten 0 Sekunden.

Die Produktion? Klingt wie ein Open Air-Konzert im Wartezimmer. Man hört synthetische Trommeln, bei denen selbst Windows 95-Sounds modern wirken. Alles ist so überproduziert und gleichzeitig so leer, dass man fast annehmen muss: Das ist Kunst. Oder ein riesengroßes Missverständnis.

Was bleibt, ist die Erkenntnis: Die Amigos sind nicht einfach eine Band – sie sind ein musikalisches Paralleluniversum, in dem man 17 Songs aufnehmen kann, ohne auch nur einen interessanten Moment zu erzeugen.

Aber irgendwie ist das alles auch zu ehrlich, zu stur, zu konsequent, um es komplett zu hassen. Objektiv ist das schlechte Musik – aber sie ist so schlecht, dass sie fast schon wieder interessant wird. "Lebe Jetzt" ist wie der Ballermann-Schlager schlechthin – miese Musik, die so unfassbar schlecht ist, dass sie wieder schmerzhaft genial wird.

Trackliste

  1. 1. Odysseus Kehrt Heim
  2. 2. Nur Für Dich Bin Ich Geboren
  3. 3. Weil Du
  4. 4. Lebe Jetzt
  5. 5. Wie Die Rolling Stones
  6. 6. Verlorenes Gold (Für Doris)
  7. 7. Schmetterling Der Nacht
  8. 8. Pettycoat Und Rock'n'Roll
  9. 9. Rote Rosen Im Schnee
  10. 10. Sweet Loreen
  11. 11. Ich Lebe Nach Gefühl
  12. 12. Insel Der Geister
  13. 13. Wie Napoleon
  14. 14. Madonna
  15. 15. Hitmix 2025
  16. 16. Wir Wollten Mal Durchs Feuer Gehen
  17. 17. Genau Wie Damals

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Amigos

Die Amigos zählen zu den dienstältesten Institutionen des volkstümlichen Schlagers. Ihre Songs sprühen vor Lebensfreude. Die einfachen, aber effektiven …

11 Kommentare mit einer Antwort