laut.de-Kritik
Anarchisch, elegisch, brachial.
Review von Magnus HesseMan erblicket einen gähnenden Hund und ein kreischendes Mädchen, noch ehe man einen Ton gehört hat. Ohne die leiseste Ahnung, wie dieser Schnappschuss zu Stande kam, lässt sich doch eine Dreiviertelstunde später konstatieren, dass die beiden Gemütszustände die jeweiligen Hälften der Platte einigermaßen treffend zusammenfassen.
Am Anfang war der Schrei, nur dass hier keine Stimmbänder, sondern Gitarrensaiten am Anschlag schwingen. Die nordirischen Postrocker ASIWYFA ziehen zu Beginn von "The Endless Simmering" nämlich in den Krieg - zumindest erwecken sie dieses Bild, wenn sie ganze Armeen wütender Gitarren losstürmen lassen. Mal tremoliert, mal mit brachialen Soundwänden, aber immer mit dem Messer zwischen den Zähnen.
Haben sich die kleinteiligen, etüdenreifen Riff-Variationen erst einmal in einer Art Refrain entladen, gibt es kein Halten mehr. Das mag auch daran liegen, dass es keinen Gesang gibt, an dem sich die Instrumentalisten festhalten oder andere Parameter, die sie einschränkten. Im Gegenteil: Hier scheint die pure Gitarren-Anarchie zu herrschen. ASIWYFA wissen, wie man Instrumente sprechen lässt.
Bereits "Three Triangles" stellt klar, dass es hier nicht um elegische, sich ewig aufschwingende Postrock-Geschichten geht, wie man sie allzu oft hört, sondern dass Math-Frickler am Werk sind, die ihre wahre Freude an einem Sieben-Achtel-Takt haben. Ihre Wut im Bauch führt zu Single-Hymnen wie "A Slow Unfolding Of Wings". Trotzdem fällt der Song mit seiner klaren Struktur samt Headbanger-Chorus aus dem Schema. Denn danach wird wieder geschräbbelt, bis der Arzt kommt.
Barsch stellen sich einem Breaks in den Weg, Doppel-, ach was, Trippelriffs türmen sich, weisen kurz den Weg, bevor auch dieser sich als Sackgasse entpuppt und der Song eine weitere Wendung nimmt. Überhaupt wird da so ziemlich alles zerteilt, was einen Song zusammenhält, wie eine bandgewordene Schreddermaschine. Dennoch schaffen die Herren ein ständiges Spiel aus Spannungsaufbau und Auflösung. In "Dying Giants" gipfelt das (mal wieder) in einem Gitarren-Wall, diesmal von weltzerstörerischer Wucht, bis sich aus dem dunkelsten Dickicht in der letzten Minute des längsten Stücks samtig weiche Streicher erheben und alles verklären.
Nach der musikalischen Adaption eines Roland-Emmerich-Endzeit-Streifens inklusive läuterndem Finale stimmen die Nordiren ab "All I Need Is Space" wieder etwas lebensbejahendere Töne an: Nicht ganz so verschachtelt, aber gleichermaßen verspielt, etwas mehr Dur und weniger Drama. Und doch stehen den Virtuosen die dystopischen, disharmonischen Klänge besser. Auch ohne die auf Albumlänge etwas selbstdarstellerischen Fingerbrecher-Soli, die in "Mullally" kulminieren.
"The Endless Shimmering" ist eine chirurgische Meisterleistung. Aus musikalisch-intellektueller Sicht beeindruckend, emotional wünscht man den Kompositionen manchmal aber eine etwas längere Leine. Denn genügend Melodien zum Verweilen haben sie ja.
4 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
hab echt meine zeit gebraucht mit diesem album. es erreicht manchmal echt die frickeligkeit, den groove und die durchschlagskraft, die punk-attitüde der frühen ASIWYFA, verliert sich aber manchmal in sehr vorhersehbaren strukturen, und ab der zweiten hälfte geht ihnen für meinen anspruch zu stark der saft aus, stattdessen steigt das pop-o-meter in gefährliche, weil pathetische höhen.
no pun intended.
Gerade ein Ticket für nächstes Jahr gekauft. Ich mag die Platte ja inzwischen echt gerne. Sie hat wahrscheinlich die beste Produktion aller ASIWYFA-Alben und ein paar absolute Highlights und Geheimtips drauf. "I'll Share A Life" zum Beispiel:
https://youtu.be/Esmm8Fqa_II
Falscher Link, hier der richtige:
https://youtu.be/16pNeuAjj2Y