laut.de-Kritik
So erfrischend unernst war Rock'n'Roll lange nicht mehr.
Review von Mathias MöllerIch muss zugeben, obwohl mich meine Freundin regelmäßig in Museen schleppt, wusste ich mit dem Begriff der Art Brut erstmal nicht viel anzufangen. Wikipedia verrät, dass es sich um eine Art unbestimmten, willkürlichen Kunstbegriff handelt, der etwas mit "naiver" Kunst oder "Outsider Art" zu tun hat. Das hat Sinn, Rock'n'Roll ist bisweilen ja auch ein bisschen naiv, bestenfalls rebellisch, auf jeden Fall auch eine Kunst. Ob sich diese fünf Köpfe, beheimatet in London, solche Gedanken gemacht haben, kann bezweifelt werden. Aber: sie rocken, und das sehr unterhaltsam.
Zeitweise sehr brit-lastig, dann wieder mit Anleihen an die experimentierfreudigen Clash, dann wieder leicht noisig, dass es dem enttäuschten Mclusky-Fan ein Grinsen ins Gesicht malt. Aber das Hauptaugenmerk, oder besser - Hauptohrenmerk, liegt bei den Texten. Mit britischer tongue-in-cheek-Attitüde, die mitunter an den textlichen Genius von Bands wie Carter USM oder Sultans Of Ping erinnert, augenzwinkern sich Art Brut durch das Album. Verpflichten sie sich auf ihrer Homepage noch dem Erreichen von Weltfrieden, so verraten sie in "Formed A Band" ihren Masterplan: sie werden mit ihrer Musik Israelis und Palästinenser vereinen, einen Song schreiben der so universell wird wie "Happy Birthday". Viel Glück, Jungs!
Doch es wird noch viel geiler: "My Little Brother" beobachtet das Mannwerden des kleinen Bruders durch Rock'n'Roll, "Emily Kane" ehrt auf poprockende Weise rührend die erste Liebe. Doch spätestens, wenn Sänger Eddie Argos bis zur Sekunde aufzählt, wie lange er seine erste Liebe nicht mehr gesehen hat ("10 years, 9 months, 3 weeks, 4 days, 6 hours, 13 minutes, 5 seconds") und fordert: "I want school kids on busses singing your name", kann man sich das Grinsen nicht mehr verkneifen. So erfrischend unernst war Rock'n'Roll schon lange nicht mehr.
Leider verliert das Album mit dem Thema Erektionsstörungen ein wenig an Schwung. Es gibt wohl auch Dinge, die Art Brut nicht richtig lustig machen können. "Good Weekend" erstaunt dann auf einmal wieder mit einem gewissen Indie-Hitpotential. Die Begeisterung über eine neue Liebe, das ständige verschicken von SMS, das immer läutende Telefon, darüber zu singen, das ist naive Kunst! Leider kommen zwischendurch immer wieder mal Songs, die dem Hörer nur ein müdes Lächeln abzuringen vermögen.
Doch nicht jeder Witz kann sitzen, das ist klar, und vielleicht wollen Art Brut ja auch gar keine witzige Band sein. Egal, "Moving To L.A." setzt nochmal ein Highlight, die bloße Erwähnung des Namens Axl Rose verbreitet ja schon Heiterkeit. Art Brut erfinden sicher kein bahnbrechend neues Genre, auch wenn es nicht leicht ist, sie irgendwo einzuordnen. Musikalisch bieten sie, dazu muss man kein Nahrungsopportunist sein, eher gute Hausmannskost, und überzeugen textlich auf fast voller Länge. Sie haben auch Recht, wenn sie proklamieren: "No more songs about sex and drugs and rock & roll it's boring". Und das ersparen sie dem Hörer zum Glück über weite Strecken.
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