laut.de-Kritik
Afrotrap als trojanisches Pferd für jede Menge Knowledge.
Review von Dominik Lippe"Wie konnten sie vergessen? Wir konnten nie vergessen. Alles ist verbunden, noch nicht alles überwunden." BSMG nehmen sich einer Vielzahl weitestgehend verdrängter heißer Eisen an. Angefangen bei der Kolonialzeit bis zu heutigen Ungerechtigkeiten setzen Megaloh und Musa vor allem das europäisch-afrikanische Verhältnis ins Zentrum ihrer Songs.
Ghanaian Stallions Produktionen orientieren sich unterdessen am zeitgemäßen Afrotrap-Sound, den bereits RAF Camora und Bonez MC gewinnbringend ins Deutsche adaptierten. Diese Beats vermitteln den bleischweren Themen die dringend benötigte musikalische Leichtigkeit.
Natürlich findet sich die dauerpräsente Debatte zum Umgang mit Geflüchteten wieder. BSMG weisen darauf hin, dass die bisherige internationale Migration lediglich die Ouvertüre darstelle: "Sie wollen uns zerstören, doch wie? Wir kommen in Millionen an die Grenze zu Festung Europas. Szenen wie bei 'World War Z', denn wir sind zu viele."
Spätestens mit den zu erwartenden Folgen des Klimawandels dürfte das Horror-Szenario der AfD Wirklichkeit werden. Deren erklärtes Ziel besteht bekanntermaßen darin, "unsere Werte" gegen die einfallenden Hottentotten zu verteidigen. Aber um welche Werte könnte es sich dabei schon handeln? "Wie viele Stämme, zerrissen durch willkürliche Grenzen dazwischen? Wie viele Sprachen, für immer verloren? Subtraktion nennen sie Addition. Im Namen der Demokratie, der Werte des Abendlandes und der Tradition."
Auf diese Scheinheiligkeit des Westens zielen Megaloh und Musa immer wieder ab: "Die Zivilisierten der Erde im Wettbewerb, um sich einen Platz zu erkämpfen. Im Jagen, Misshandeln, Berauben, Ermorden, Verachten und Schlachten von Menschen. Sie zeigten einander, wie progressiv, kultiviert und was für bessere Menschen sie waren, indem sie den anderen das Menschsein absprachen, sich selbst damit eigentlich die Menschlichkeit nahmen. Im Völkermord an den Herero und Nama, gestohlene Schädel in deutschen Museen."
Insbesondere der Umgang mit den Herero und Nama unterstreicht schmerzlich die Versäumnisse des deutschen Staates. Während der Bundestag im Zuge der Armenien-Resolution die Türkei öffentlichkeitswirksam an den Pranger gestellt hat, weigerten sich die Bundesregierungen bis 2016, den Genozid im heutigen Namibia als solchen zu bezeichnen.
Nebenbei rücken BSMG einen blinden Fleck der europäischen Kulturgeschichte ins Blickfeld: "Gestern ist vergeben, aber deshalb nicht vergessen. Hier die Besserwisser reden, aber bessert sich der Westen? Sind nicht Rassentheoretiker dieselben wie die Aufklärer? Luther, Montesquieu, Kant, Locke, Friedrich Hegel."
Tatsächlich übte sich ein bedeutender Philosoph wie Immanuel Kant nebenbei in der Rassenlehre und konstatierte dabei: "Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen." Für Hegel stellte der "Neger […] den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar." Ob die grenzwertigen Äußerungen dieser Persönlichkeiten die nachträgliche Beurteilung eintrüben, bietet zumindest einigen Diskussionsstoff.
Bei aller Vergangenheitsbewältigung und düsterer Zustandsbeschreibung vermitteln BSMG glücklicherweise auch eine positive Aufbruchstimmung. Immerhin lautet das einleitende Credo: "Wir schaffen mehr gemeinsam." BSMG beruft sich dabei immer wieder auf identitätsstiftende Vorbilder. So widmen sie Leichtathlet "Jesse Owens", einem Goldmedaillengewinner von 1936, einen Song oder loben afrikanische und afrikanischstämmige Fußballer mit dem Beitrag "Imami".
"Lang Lebe Afrika" setzt den politischen Helden des Kontinents ein leuchtendes musikalisches Denkmal. Von der Antiapartheidsaktivistin Miriam Makeba bis zu den Politikerinnen Winnie Mandela und Ellen Johnson Sirleaf handelt es sich dabei interessanterweise vor allem um Heldinnen.
BSMG räumen mit "Platz An Der Sonne" dem vergessenen Kontinent seinen verdienten Platz ein. Versteckt im musikalischen trojanischen Pferd Afrotrap vermitteln Megaloh und Musa mehr Knowledge für ein bildungsaffines Publikum als der Rest der Szene zusammengenommen: ein beachtliches Beispiel dafür, was Hip Hop noch immer zu leisten im Stande ist.
6 Kommentare mit einer Antwort
Probs für Fonz.
Album ist leider kaum hörbar, hat einen ganz unangenehmen Vibe.
Ist das son Ding, wie NAS mit seinem Distant Relatives Album damals wo so komische Africa Tracks drauf waren, obwohl der Typ nie in Afrika war und keine Ahnung von dem Leben dort hat?
Hammeralbum
Dann doch lieber OTW und Konsorten.
Sobald es inhaltlich anspruchsvoller wird, gehen hier alle kacken... und freuen sich bestimmt schon auf die 2 anabolen Affen
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Ach ja 2/5 ein "derkanneigentlichmehr" Mitleidspunkt