laut.de-Kritik
Geknebelt, geschändet, verraten und verkauft: armer deutscher Schlager!
Review von Dani Fromm"Bin verdammt viel zu lang durch die Hölle gegang'n." Dem möchte ich mich nach dem zweifelhaften Genuss dieses Albums in vollem Umfang anschließen. "Glücksgefühle"? Dass ich nicht sehr verzweifelt lache!
Wobei ... so unzutreffend, wie der Titel im ersten Moment erscheint, kommt er einem bei zweimaligem Überdenken gar nicht mehr vor. Ja, ich glaube tatsächlich, dass dieses Album "Glücksgefühle" auslöst - bei allen, die sich an dieser erbärmlich billigen Produktion eine goldene Nase verdienen werden.
Daran, dass sich diese Platte wie geschnitten Brot verkaufen wird, besteht wohl keinerlei Zweifel. DSDS-Gewinner und Schlager lassen sich dem Volk hierzulande schließlich immer mühelos unterjubeln. Im Raum steht allerdings - in riesigen, blinkenden Lettern - die Frage: Warum?
Beatrice Egli, das wurde sie während der kompletten zehnten "Superstar"-Staffel nicht müde zu behaupten, liebt den deutschen Schlager. Ich auch. Deswegen tut es mir auch in der Seele weh, mit anzusehen, wie Dieter Bohlen und Konsorten das Genre mit dümmlichsten Texten knebeln, nur um es dann wieder und wieder mit dem gleichen Bummsbeat zu vergewaltigen.
Im Kreis um diese hässliche Szenerie steht, geifernd und gaffend, das ZDF-Fernsehgarten-Publikum und klatscht anfeuernd mit. Man möchte sich schützend vor den armen Schlager werfen, dem unwürdigen, ekelhaften Treiben Einhalt gebieten, das geschundene Genre der herzlosen Meute entreißen. Wie kann man solches gut heißen? Ich versteh' es wirklich, wirklich nicht.
Auch, wenn Andrea Berg, Helene Fischer und nun auch Beatrice Egli, respektive die Strippenzieher im Hintergrund der eisern strahlenden Interpretinnen, diesen Eindruck wie eine Seuche verbreiten: Eigentlich lebt der Schlager von Herz und Seele, von unbedingter Hingabe, von witzigen, rührenden, traurigen Geschichten, von guten Kompositionen und ihrer handwerklich gekonnten Umsetzung.
Nichts davon findet sich auf "Glücksgefühle". Stattdessen setzt es - mit einer einzigen Ausnahme im langsamen Walzertakt - immer den gleichen Mitklatsch-Vierviertel-Takt. Immer die gleichen schäbigen Synthies von der Resterampe. Kein Tropfen Herzblut, kein Funken Seele, keine einzige zündende Idee.
Die Melodien schrauben sich ins Ohr - weil sie andere längst dort hintransportiert haben. So klaut "Mein Herz" schamlos die "Fischer Von St. Juan", "Flieg Nicht So Nah Ans Licht" bedient sich abwechselnd bei "Twist In My Sobriety" und "Joana", und der wilde, wilde Westen fängt gleich hinter Hamburg bei Truck Stop an, reicht aber problemlos bis in "Ja Wenn Du Denkst ..." hinein.
Beatrice Egli singt sauber, sicher, solide. Ihre wahre Leistung besteht aber darin, dass ihr ob des hanebüchenen Blödsinns, den sie am laufenden Meter von sich gibt, das Formationstänzergrinsen nicht aus dem Gesicht rutscht. "Ich bin immer peinlich berührt von diesen Texten", kommentierte Casting-Juror Mateo. Er hatte allerdings immer nur einen, zwei, maximal drei solcher Nummern am Stück zu beurteilen. Auf Albumlänge weichen die Texte das Hirn vollends auf. Obacht beim Kopfschütteln! Die grauen Zellen schwappen möglicherweise zu den Ohren hinaus.
"Das Leben schreibt schon genug Negativschlagzeilen", tönte Beatrice in einem Interview. "Warum dann nicht wenigstens in der Musik einfach mal so tun, als wäre die Welt heil?" Aha. Beatrice findet also "lustig und positiv", in zwei von drei Nummern das betrogene, sitzen gelassene, trauernde, aber natürlich unbeirrt freudig auf den nächsten Herzbruch zurennende Weibchen zu geben?
Klaro! "Ich denke nie an morgen, ich schau' niemals zurück, ich kenne keine Sorgen, ich lache mich ins Glück." Mit dieser Einstellung kann man sich das Lächeln natürlich in die Visage zementieren lassen. Dass das Herz dann abwechselnd bricht, Trauer trägt, vor Kummer weint oder in Scherben liegt ... scheiß drauf!
Beatrice' zweifelsohne hochgradig professioneller Vortrag zeigt keinerlei Regung. Nirgends. Völlig unerheblich also, ob sie von "1000 Phantasien", die "sieben Sünden wert" sein sollen, singt, vom "Wahnsinn", den sie angeblich will, "jeden Tag", oder von nymphomanischen Anfällen ("Ich wills tausendmal, nur mit dir"): Jede Anzüglichkeit bleibt zopfig, bieder, kochentrocken und steril. "Ich will einfach mehr, ich will wahre Gefühle!" Ja. Ich auch.
109 Kommentare
laut.de hat ja voll was gegen deutsche musik und so!
Welcher Witzbold hat den 5 Punkete gegeben? ^^
dba
OK, ich kenne nur sein Moder Talking Kram, den Rest den Du aufgezählt hast nicht. Danke für die Begründung.
Baudi
Sagt mal, bin ich der einzige, der die Hintergrund akkorde aus "Mein Herz" in "I promised myself" von Nick Kamen schon mal gehört hat?
@sedo23 (« Sagt mal, bin ich der einzige, der die Hintergrund akkorde aus "Mein Herz" in "I promised myself" von Nick Kamen schon mal gehört hat? »):
Kenne beides nicht, aber wenns keine so ganz extravagante Progression ist, kann so was auch schon mal unbeabsichtigt vorkommen. Hab mal beim Jammen aus Versehen "Shine On You Crazy Diamond" komplett durch gespielt und erst hinterher erfahren, dass Pink Floyd mir da zuvor kamen.