laut.de-Kritik

Ein tief fühlendes, aber nie kitschiges Meisterwerks.

Review von

Normale Alben macht Zach Condon aka Beirut scheinbar nicht mehr. Das famose "Hadsel" war in einer norwegischen Kirche und Einsamkeit aufgenommen, nun kommt "A Study Of Losses" um die Ecke. Das Album ist zwar teilweise auch in Norwegen aufgenommen, aber atmet einen völlig anderen Geist. Das liegt zum einen an seinem Zweck – "A Study Of Losses" ist auch als Auftragsarbeit für den schwedischen Zirkus Kompani Giraff (Übersetzung unnötig) entstanden und wird stark beeinflusst von den Streichquartetten und Arrangements der Cellistin und "No No No"-Kollaborateurin Clarice Jensen.

Was das bedeutet, hören wir schon im zweiten Stück "Forest Encyclopedia", reicher instrumentiert war Beirut seit "March Of The Zapotec/ Holland" nicht mehr. Condon hatte schon seit "Elephant Gun" immer Angst, sein Zirkuskind-Image nicht loszuwerden. Vielleicht brauchte es den Neuanfang "Hadsel", um den Mut zu besitzen, nun ausgerechnet ein Zirkusalbum zu machen. Wobei "reich" nicht überschäumend bedeutet, sondern lebendig und detailreich. Das verträumte Stück entführt in ein völlig fremdes, faszinierendes Reich, ständig hat man den Eindruck, einen Blick in eine Fantasie zu werfen, von der man immer mehr sehen will.

Das Album bzw. das dazugehörige Zirkusstück handelt von zweierlei Strängen: Zum einen von einem Mann (auf dem Mond?), der besessen ist vom Verlust, den seine Angst lähmt und gleichzeitig antreibt. Zum anderen lose basierend auch auf "Verzeichnis Einiger Verluste", dem Raabe-Preis ausgezeichneten und meiner Meinung nach guten, aber zu sehr im Kunstliteraturbetriebsgewichse verankerten Roman der deutschen Autorin Judith Schalansky.

Den ersten Strang sollen das vor allem die nach Mondmeeren benannten instrumentalen Stücke transportieren; das gelingt. Anders als die ebenfalls instrumental und Richtung Weltraum zeigenden, aber klassischer nach Beirut klingende Opener "Disappearances And Losses" (aber auch "Mare Tranquillitatis", "Mare Serenitatis" und "Mare Crisium") strahlen "Oceanus Procellarum", "Mare Imbrium" und "Mare Nectaris" eine Soundtrack-Atmosphäre aus. Beiden Arten von Instrumentalstücken ist gemein, wie hochqualitativ sie sind und wie schnell und unbewusst sie den Hörer in eine einsame Mondlandschaft entführen. Als EP wären diese Instrumental-Lieder bereits herausragend, sie übererfüllen aber insbesondere ihren Zweck auf dem Album als atmosphärische Szenensetzer.

Den zweiten Strang schultern die klassischeren Lieder mit Gesang, "Villa Sacchetti" ist der nächste nach dem oben genannten tollen zweiten Song. Wie alle anderer dieser Stücke bezieht sich der Titel auf kulturhistorisch relevante verlorene Güter (hier eine Villa außerhalb Roms), wie Schalansky sie in ihrem Buch behandelt. Typisch für Condon dienen diese Dinge dann aber eher als Startbasis für die von ihm auf höchstem Niveau bekannten Wehklagen und Elegien von großer sprachlicher Schönheit. "Villa Sacchetti" zieht betrunken seine Kreise durch latinische Weinreben mit selbst im Bandwerk-Vergleich besonders gelungenen Sing- und Chorpassagen vor zartem Mandolinen- oder Ukulelenspiel.

"Garbo's Face" beginnt tiefer und elektronischer, die "Hadsel"-Orgel grüßt zumindest aus der Ferne in diesem sehnsüchtigen Song, wenn Zach ewig lang seufzt "Are Youuuuu Waiiiitiiiiing?". Der sich aufdrängende Verdacht, dass "A Study Of Losses" alle Stärken vereint, die Condon über die Jahre angesammelt hat, drängt sich durch "Tuanaki Atoll" nur noch weiter auf, das sich schleppt, bis die Trompete ihm zärtlich aufhilft. Condon und Jensen haben immer nur einzelne Helfer bei den Aufnahmen hinzugezogen, Jensen selbst ist ja auch "nur" eine exzellente Assistentin. Das merkt man im Höchstpersönlichen dieser Platte, das unglaublich schön ist, aber auch etwas im fehlenden Dialog. Das stößt bei Condon nicht sauer auf, als wandelnder Selbstzweifel bietet er sich selbst genug Reibung, nur wird es ihm nach diesem Meisterwerk schwerfallen, auf diesem Niveau weiterzumachen. Festere/gleichberechtigtere Partner wären vielleicht eine Möglichkeit.

"Guericke's Unicorn" bezeichnet Condon als modulares Experiment, das nicht zum Rest des Albums passe. Damit hat er recht, es liegt aber mehr an einer ein wenig lieblosen Produktion des Stücks, durch das aber nur noch mehr auffällt, wie eine nur sehr ordentliche Nummer hier auffällt. Das formvollendet jammernde "Sappho's Poems" findet rasch wieder in die Spur, der folgende "Ghost Train" fuhr seit den Gorillaz nicht mehr so schön zu den Sternen. "Caspian Tiger" reiht sich samt seiner Harmonika, seinem Cembalo(-Sound ?) und der Vielzahl kleiner, dunkler Bläser in die Riege von Kronjuwelen an Songs ein. Die letzten dieser Tracks sind das entschlossene, bassgetriebene "Mani's 7 Books", das seinen Weg wogend findet und das wieder auf die exzellente Mehrstimmigkeit setzende "Moon Voyager", quasi das Verbindungsstück der Erzählstränge eines intellektuellen, nie verkopften, stets tief fühlenden, nie kitschigen Meisterwerks.

Trackliste

  1. 1. Disappearances And Losses
  2. 2. Forest Encyclopedia
  3. 3. Oceanus Procellarum
  4. 4. Villa Sacchetti
  5. 5. Mare Crisium
  6. 6. Garbo's Face
  7. 7. Mare Imbrium
  8. 8. Tuanaki Atoll
  9. 9. Mare Serenitatis
  10. 10. Guericke's Unicorn
  11. 11. Mare Humorum
  12. 12. Sappho's Poems
  13. 13. Ghost Train
  14. 14. Caspian Tiger
  15. 15. Mani's 7 Books
  16. 16. Moon Voyager
  17. 17. Mare Nectaris
  18. 18. Mare Tranquillitatis

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