laut.de-Kritik
Der mit der Stille tanzt.
Review von Magnus HesseAuf sein überaus erfolgreiches und mehrfach prämiertes Debüt "Every Kingdom" von 2011 lässt der gehypte Brite "I Forget Where We Were" folgen. Darauf spielt der 27-Jährige mit seinem Verbündeten, der Stille, mit der er sich immer wieder den Raum teilt und darin seine Arrangements einbettet. Auf den morschen Stelzen von Akustik- und Slide-Gitarre wandert Howards Stimme. Flageolet-Facetten koexistieren neben kernigen Delay-Gitarren, synthetischen Tupfern und Streicherflächen.
Durch dieses feinverästelte Dickicht scheint Ben Howards introvertierter Gesang erhellend hindurch und klagt weh, ohne dabei weinerlich in Selbstmitleid zu baden. "Small Things" und "I Forget Where We Were" beweisen, dass seelische Tragik sich auch zu Pomp aufschwingen und mit Chris Bonds mehr als begleitendem Schlagzeugspiel das Innerlichste aus dem stillen Herzkämmerlein nach außen ins Scheinwerferlicht tragen kann. Der Mann an den Drums zeichnete gemeinsam mit Howard auch für die Produktion der zehn Tracks in Devon verantwortlich.
Es folgen abgespecktere Einlagen, in denen der von seinem Label als "Akustikgitarren-Genie" titulierte Sänger seine technischen Finessen in flotten Zupfmustern aufführt. Atmosphäre möchte man "In Dreams" ja nicht absprechen, doch ans Eingemachte geht es bei dieser Song-Girlande nicht. Als Negativ-Entwurf zur breit gefächerten Orchestrierung soll die Etüde wohl mit Trillern und Schnörkeln kompensierend wirken.
"Time Is Dancing" nimmt wieder den Faden auf und erinnert in geschmirgelt rauer Schale an Bon Ivers gleichnamiges Album. Hier steigt einem förmlich der Duft von dichten Nadelwäldern, Laub und Disteln aus der südenglischen Heimat des Musikers in die Nase.
"Evergreen" strapaziert das Zeit-Raum-Kontinuum aber noch effektvoller und hält den Atem im Downtempo gebannt an. Tonnen an Schwermut schultert Howard in den Zeilen "Looking around I see memories (what it was oh what it was). There in the crowd you said something but I can't remember what."
Nicht nur in "End Of The Affair" durchschneidet das Justin Vernonsche Unisono von spartanischer Gitarre und Stoßgesang die schwere Luft mit einem dicken Kloß im Hals. Im Gegensatz zu anderen kurzlebigeren C-Teilen, die irgendwo versickern, türmt sich hier am Ende alles urgewaltig und progressiv neu auf und lässt kurz sogar From Monument To Masses anklingen.
"Conrad" bedarf als blasses Interludium kaum einer Erwähnung, stiehlt sich aber mit gut sechs Minuten "u-hu-u-hu" einen gehörigen Batzen Spieldauer. Ganz im Gegenteil zu "All Is Now Harmed", das sich zwar auch renitent im eigenen Saft suhlt, aber mit pathetischem Dauer-Crescendo vorwärts schaufelt - ohne schließlich auf der anderen Seite des Tunnels anzugelangen.
Das fulminante Treiben ebbt schließlich etwas halbherzig mit einem fade-out und ohne Ausbruch ab: die Katharsis ist somit futsch. Und ein bisschen trifft das auch auf "I Forget Where We Were" im Ganzen zu, das nach der Exposition gefühlt direkt zu Reprisen und Coda übergeht, ohne wirklich aus sich heraus zu kommen. Dennoch zeigt der Sunnyboy, dass man sogar als selbsternanntes "Klischee" nicht selbiges bedienen muss und macht einen großen Schritt raus aus dem Schatten, in dem sich all die Träumer tummeln, die sich das mittlerweile fast schon unsägliche Singer-/Songwriter-Etikett umhängen.
8 Kommentare mit 4 Antworten
Das hier liest sich eigentlich wie eine 4-Sterne-Rezension. Und ich denke, das hat dieses Album auch verdient. Schade finde ich, dass sich der Autor nur von Song zu Song hangelt und nicht das Album als Ganzes, als Gesamtkunstwerk sieht. Meiner Meinung nach hat Ben Howard eine fantastische Entwicklung mit diesem zweiten Album genommen, wie hier auch erwähnt wurde: "Dennoch zeigt der Sunnyboy, dass man sogar als selbsternanntes "Klischee" nicht selbiges bedienen muss und macht einen großen Schritt raus aus dem Schatten..."
Die Songs klingen live fantastisch. Sein Gitarrenspiel ist einfach phänomenal und die Schlagzeugbegleitung von Chris Bond ist von einem anderen Stern.
Ich gebe zu, ein paar Songs kommen beim ersten-Mal-Hören nicht richtig durch - wer die Platte allerdings nochmal anschmeißt, wird jeden Song darauf lieben.
Schließe mich dem Vorredner an. Das Album hat mindestens 4 Sterne verdient. Im Gegensatz zum ersten Album wirkt Ben Howard noch ausgereifter und facettenreicher. Tolles Album, was von Mal zu Mal wächst.
Naja, "von einem anderen Stern" halte ich zwar für maßlos übertrieben, aber das Album hört sich doch überraschend iteressant an. Live ist er wirklich sehr gut, "Every Kingdom" gefiel mir am Anfang sehr gut, wurde auf Dauer aber auch ziemlich langweilig. Ich bin gespannt wie es sich mit diesem ALbum langfristig verhält, aber man kann schon raushören, dass er einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht hat.
“Every Kingdom“ war schon klasse, hier hat er sich meiner Meinung nach noch einmal gesteigert. Vor allem diese atmosphärisch noch dichtere und leicht unheimliche Grundstimmung des Albums macht jeden einzelnen Song unheimlich intensiv. Wie Tinco gesagt hat, der richtige Einsatz von Reverb wirkt hier Wunder.
Eines meiner Alben des Jahres 2014.
also der opener ist schon cool
ALso nach mehrmaligem hören muss ich sagen es ist ne nette Platte, aber eins stört mich wirklich. Ich finde die Lyrics ziemlich nichtssagend und clichéhaft. Wirklich schade...