laut.de-Kritik
Die 17-jährige Emo-Prinzessin aus der Traumfabrik übernimmt.
Review von Yannik GölzEs ist lange her, dass hierzulande ein Popstar der ursprünglichen Definition des Begriffs tatsächlich gerecht geworden ist. Aber Billie Eilish erschien wie aus dem Nichts. Während sie eigentlich schon in der Vorbereitung eines Debütalbums steckt, nutzt sie den rapide wachsenden internationalen Hype noch einmal aus und schiebt eine "Japan Version" ihrer ersten EP "Don't Smile At Me" nach, die mit drei Remixes extra und stilvollem neuen Artwork aufwartet. Gute Gelegenheit auch für uns, noch einmal über das Projekt zu sprechen. Denn als es 2017 auf den Markt kam, wurde es glatt übersehen. Ups.
Dabei liefert "Don't Smile At Me" alle Gründe dafür, warum Billie das nächste große Ding sein könnte. Bis zum Rand voll kompetentes Songwriting, unorthodoxe Pop-Ideen und ein Swagger, der so brilliant zwischen edgy Teenager und Urban Outfitters-Chic tänzelt, dass es eigentlich mehr als einmal hochnotpeinlich oder konstruiert klingen müsste. Tut es aber nicht.
Billie blüht in ihrem Charakter so authentisch auf, dass man ihr alle Angstiness und alle jugendliche Überheblichkeit verzeiht. Die Lines sind aber auch prägnant formuliert: "My boy is an ugly crier but he is such a pretty liar, and by that I mean he say he'd change" ("My Boy"). "If we were meant to be, we would have been by now" ("Watch"). "And I hate to do this to you on your birthday / happy birthday, by the way" ("Party Favor").
Das Talent, mit kurzen Vignetten aus intensiven Beziehungen und dramatischen Dialogen lebhafte Bilder zu zeichnen, vermittelt auch die Delivery, der Sass und der alltägliche Tonfall. Dazu eine Unterkühltheit, die Songs wie "Party Favor" oder "Ocean Eyes" textlich markant machen, auch wenn gerade dieser Mittelteil zu den weniger aufregenden Episoden der Produktion gehört. Man spürt, dass sie hier ein wenig darauf schielte, sich selbst als die coole, junge Lana Del Rey anzubieten, die all die Vintage-Ikonographie zugunsten von Odd Future-Chic aus dem Fenster wirft.
Auch kein unvernünftiger Plan, vor allem dann, wenn die Musik sich mal zutraut, ein bisschen härtere Gangarten aufzuziehen. Bestes Beispiel: "Bellyache" donnert im Refrain mit unendlich tanzbaren Synth-Bässen los und sorgt für eins der Pop-Highlights der EP. Auch "Copycat" überzeugt mit ungewöhnlichen elektronischen Experimenten, die zwar nicht so catchy wie "Bellyache" geraten, aber in ihrer Härte zumindest den ersten Tyler The Creator-Projekte ein bisschen Tribut zollen. Noch experimenteller gerät lediglich "&burn", der Vince Staples-unterstützte Schlusstrack, der trotz Billies gespenstischer Chorus-Melodie wohl allen voran um die Gunst von Internet-Musiknerds werben dürfte.
Auch die Ballade "Idontwannabeyouanymore" überzeugt komplett. Zwar ist das Piano-Drum-Computer-Arrangement nicht gerade bahnbrechend, aber der Minimalismus, der auf Billies hohes Register im fantastischen Refrain hintextet, zündet durch die Bank. "If teardrops could be bottled, there would be swimming pools filled with models" ist eine von diesen Lines, bei denen Teenage-Melodrama und Pop-Surrealismus perfekt zueinander finden.
Dieses Level an musikalischer Finesse und Selbstreflektion halten nicht alle Balladen auf "Don't Smile At Me". Besonders die Auseinandersetzung mit depressiven Phasen und mangelndem Selbstwert ("Idontwannabeyouanymore") sollte erst auf kommenden Projekten substanziell weiter erkundet werden. Tracks wie "My Boy", "Party Favor" und "Hostage" nutzen Episoden aus dem Teenagerleben, um Billies Persona effektiv in Szene zu setzen, spielen es musikalisch aber etwas zu sicher aus. Da hilft es, dass diese Version mit "Lovely" und "Bitches Broken Heart" zwei Songs aus dem "13 Reasons Why"-Soundtrack enthält, die an dieser Front schon ein wenig weiterdenken, aber noch nicht an die Intensität von "You Should See Me In A Crown" oder "When The Party's Over" heranreichen.
Auch die drei Remixes der "Japanese Version" sind nicht mehr als ein nettes Gimmick. Der Marian Hill-Remix von "Bellyache" kommt erfrischend, ersetzt das Original aber nicht. Da geht Sofi Tukker mit dem Remix zu "Copycat" kreativer zur Sache, die Dance-Pop-Sounds stehen für sich als effektive Neuinterpretation des Songs, passt aber wie TroyBois EDM-Trap-Remix von "My Boy" nicht zu hundert Prozent ins EP-Gesamtbild.
Es ist also nettes Backenfutter, ihre Debüt-EP auf Albumlänge aufzupusten, für die kohärente LP-Erfahrung müssen wir uns dann noch ein wenig gedulden. Bis dahin bleibt die 17-Jährige das Liebeskind von Lana Del Rey und Lil Peep. Und damit in dieser Ära wohl der Popstar, um sie alle zu knechten.
1 Kommentar
Ihre unreflektiertes "mimimi die Erwachsenen machen die Welt kaputt" Geseiere kann leider nicht den Eindruck lindern, dass die Musik super ist. Gerade "Ocean Eyes" lässt die Tränen des Brathahns über sein fettiges Gesicht kullern.