laut.de-Kritik
Die Geschichte eines Aufbruchs in fünf Kapiteln.
Review von Dominik LippeBereits mit seinen ersten Songs zeigte sich Blinker als kluger Beobachter seiner Generation. In "Herr Doktor" schildert er wie seine Altersgruppe durch einen Nebel der Depression watet. "Und wieder renn' ich nachts durch die Stadt, weil mir irgendwas fehlt, irgendwas", charakterisiert er als exemplarischer Vertreter die Orientierungs- und Ziellosigkeit der Millennials. Mit seiner Debüt-EP "Blicke" lässt der Sänger nun die Passivität hinter sich und schildert über fünf Anspielstationen die Geschichte eines Aufbruchs.
"Luft, ich brauch' Luft, ich erstick' in dem Haus", schreckt Blinker angesichts der Erkenntnis auf, in einem spießbürgerlichen Dasein gefangen zu sein. "Wichtig ist jetzt das Kuchenrezept und wo die Karriere so bleibt. Wartet die Freundin daheim? Welches Semester ich sei?" In einem Milieu, das das Leben als Strichliste begreift, die es abzuarbeiten gilt, wird Scheitern konsequent mit "Liebesentzug" bestraft. Für die auf diese Weise Geknechteten kann dies nicht folgenlos bleiben: "Keinem fällt auf, dass meine Schwester nicht nur seit gestern Psychopharmaka braucht".
In Wahrheit bedeutet diese Lebensweise lediglich eine Verdrängung der eigenen Unzulänglichkeiten ("Fang an zu kehr'n, es ist noch Platz unter dem Teppich"). "Wir brauchen hier dringend 'nen ganzen verdammten Orkan", bringt Blinker seinen persönlichen Umsturz auf den Punkt, der ebenso gut auf die ganze Gesellschaft bezogen werden könnte, in der es "Nie mehr CDU" zu mehr als nur einem Hashtag bringen müsste. Gelungen spiegelt sich auch in der Musik der ersten Single "Luft" die getriebene Suche nach dem Exit-Schild.
Sobald er es findet, heißt es "Strecke Machen". Die Autotür schließt, Blinker setzt selbigen und gleitet radiotauglich vor sich hin: "Und wir schießen mit Fernlicht. Jedes Schild, das es trifft, führt weg von der Stadt, die uns stumm gemacht hat". Doch da ihm der eigene Background, wie er es selbst einmal nannte, "so schrecklich bourgeois in den Knochen" stecke, wagt der freiheitsliebende Sänger nicht den vollständigen Kontrollverlust ohne Netz und doppelten Boden: "Ich glaub', ganz kurz bevor die Kontrolle verloren ist, reißen wir das Lenkrad nochmal um".
Wer den Aufbruch wagt, nimmt ohnehin Entbehrungen in Kauf: "Wir sind broke und wir kennen's nur so". Angekommen in der Hauptstadt blickt Blinker in "Broke" verwundert auf das Leben aus der Parallelwelt der Rich Kids: "Was kostet die Welt? Für sie nichts. Jede Hand ein Getränk, sie sind rich". Ohne scharf zu urteilen, quittiert er seine Beobachtungen mit einem Seitenhieb in Richtung RIN und Yung Hurn: "Es ist Mittwoch, und ich kaufe nichts. Es ist Donnerstag, und ich kaufe nichts. Es ist Freitag, in den Bars hängen die gottverdammten Kids".
Doch so fremdartig das Big City Life vorerst wirken mag, so deutlich offenbart sich die bereits vollzogene Entfremdung beim ersten Heimatbesuch: "Wenn du von deinem neuen Großstadtleben so erzählst, dann leuchten deine Augen bis zur Spree. Noch vor vier Wochen kannt' ich dich. Keine Ahnung, wer du jetzt bist". Trotz der vermittelten Distanz ruft Blinker eine fast vertrauensvolle Atmosphäre hervor. Der geflüsterte Vortrag zeugt davon, dass der Bruch zwischen den beiden Protagonisten weniger tief ist, als von ihm behauptet.
"Du musst Rippen brechen, um mein Herz zu berühren", gibt er sich im abschließenden Song in unglaubwürdiger Weise unnahbar. Vielmehr zeigen sich sowohl die Kunstfigur Blinker als auch der musikalische Anteil von "Blicke" leicht zugänglich. Bereits die Vorabsingle "Luft" fiel trotz der inhaltlichen Rahmensprengung sehr eingängig aus. Zudem beweist der gebürtige Stuttgarter etwa in "Broke" ein gutes Ohr für einprägsame Refrains. Hinzu kommt seine Stimme, die trotz ihres Wiedererkennungswerts den von Radiosendern gefürchteten Umschaltimpuls nicht übermäßig steigert.
Blinker veranstaltet auf seinem Debüt keinen überbordenden musikalischen Zirkus, sondern singt ruhige Lieder über die unruhigen Zeiten der Adoleszenz. Wie in einem guten Coming-of-Age-Film wirkt er niemals kindlich, sondern durchgehend reflektiert. Es handelt sich um private Songs, in denen stets auch eine politische Komponente mitschwingt. Oder wie "Blicke" von seinem Label Jive Germany ebenso vage wie treffend charakterisiert wird: "Es sind keine großen Politsongs und doch sind sie irgendwie politisch".
2 Kommentare
brenner - blinker - auspuff
"Und wieder renn' ich nachts durch die Stadt, weil mir irgendwas fehlt, irgendwas", charakterisiert er als exemplarischer Vertreter die Orientierungs- und Ziellosigkeit der Millenials".
Es ist halt nicht halb so deep wie deine Worte es klingen lassen wollen.