laut.de-Kritik
Italo-Disco-Erneuerer drängen in den Indie-Club.
Review von Hardy Funk"Kill For Love" beginnt überraschend mit einem, und das ist gar nicht so einfach, gelungenen, berührenden Cover des Neil Young-Klassikers "Into the Black". Eine Rock-Hymne also, mit den längst in die Rock'n'Roll-Mythologie eingegangenen Zeilen "Rock'n'Roll is here to stay" und "It's better to burn out than to fade away", ein Toast auf den toten Johnny Rotten.
Was wollen die Italo-House-Sprösslinge denn bitte damit? Sie wollen sich in eine Rock-Historie einschreiben, als Pop/Rock-Act wahrgenommen werden. Und Pop/Rock, das heißt seit einigen Jahren ja erfreulicherweise ganz selbstverständlich Pop/Rock/Elektro, und deswegen dürfen sich am Ende auch noch ein paar elektronische Sounds in den Song schieben. Jetzt habe ich ganz vergessen, den verhuschten, glasklaren, so sweeten wie sexy Gesang von Ruth Radelet zu erwähnen, der dem Song erst seinen ganz besonderen Zauber verleiht.
Die vierte Platte der Chromatics besteht eigentlich aus zwei Alben: Einer großartigen Sammlung Popsongs und einem gelungenen Soundtrack. Ersteres ist weit mehr als nur ein weiteres Update der Italo-Disco-Spielart des stilprägenden Italians Do It Better-Labels, sondern eben eine Pop-Platte, deshalb ja auch die Gitarre auf dem Cover. Der Soundtrack wäre das Richtige für einen poetischen Film Gus van Sants, für atmosphärische und assoziative Bilder. Beides zusammen ergibt ein sehr gutes Album, aber nicht die Wahnsinnsscheibe, die es mit ein paar Liedern weniger geworden wäre. Aber Schritt für Schritt.
Auf das Neil Young-Cover folgt "Kill For Love", und gleich mit den ersten zittrigen Synthie-Sounds meldet sich die charakteristische Produktion des Chromatics- und Italians Do It Better-Masterminds Johnny Jewel zurück. Wie soll man das beschreiben? Butterweich? Ja, aber auch crispy wie frisch gebratener Bacon. Ein richtig großer Song jedenfalls, auch wegen der an den richtigen Stellen einsetzenden Synthie-Streicher. Und dem Gesang Radelets, again.
Auf diesem hohen Niveau geht es weiter: "Back From The Grave", "Lady" und "These Streets Will Never Look the Same" begeistern ohne wenn und aber: Das sind tatsächlich alles Singles! Immer wieder lässt Disco-Queen Donna Summer grüßen, allerdings klingt Radelets Stimme etwas zurückgenommener als die Summers, verletzlicher auch. Und immer wieder lässt die Chicago-House-Legende Mr Fingers grüßen, wenn auch Jewels Produktionen etwas weicher daher kommen. Natürlich prägt nicht allein die Produktion Jewels diesen charakteristischen Sound. Die dezent verhallte Gitarre Adam Millers und die Joy Division-Drums Nat Walkers tun ihr Übriges.
Thematisch geht's um die großen Gefühle. Klar, hier wird schließlich für Liebe getötet. In "Back From The Grave" hat Radelet all ihre Liebsten verloren und wünscht sich selbst den Tod: "When I look at the sky/ Well I wish I was gone/ Because mother you're gone and father you're gone/ Lover you're gone and other you're gone". In "Lady" wird geschmachtet, dass die Bude wackelt: "If I could only call you my lady/ Baby I could be your man/ Wise men they say/ Only fools fall in love/ Why do we fall in love?/ If you could only feel the flame/ From the candle I burn for you/ Lady if you want me to come back/ I'll come running back to you". Kitschig, richtig schmalzig darf es dabei ruhig zugehen, schließlich sind wir hier in der Disco und nicht im Befindlichkeits-Wunderland leidender Künstlermythen.
Gut – wenn auch nicht so gut wie der Gesang Radelets – steht den Chromatics-Songs auch ein dezent eingesetzter Autotune-Effekt, wie "These Streets Will Never Look The Same" oder "Running From The Sun" zeigen. Mit "Broken Mirrors" gibt es ein erstes Innehalten, ein Instrumentalstück, ein Soundscape, das nach ziemlich laschen zweieinhalb Minuten mit dem Einsetzen eines knackigen Pink Floyd-Synthies doch noch so etwas wie Spannung aufbaut. Das erinnert entfernt an den Wahnsinn von "Tick Of The Clock" (das u.a. den Soundtrack zu "Drive" krönte), erreicht allerdings lange nicht dessen Klasse. Mit "Candy" folgt eine sehnsüchtige Ballade, mit ähnlich schmalzigen Lyrics wie zuvor: "Candy, please don't let them in your heart/ Because they'll try to put out every fire you start". Im wunderschön zerbrechlichen "Candy Says" besang Lou Reed einst die Andy Warhol-Muse Candy Darling, auf "Kill For Love" ist auch sie längst zur überzeitlichen Pop-Figur geworden. Ganz großes Kino.
Danach baut das Album allerdings endgültig ab. Es kommen noch zwei weitere Instrumentals ("The Eleventh Hour", "Dust To Dust"), die eigentlich nichts sagen, was "Broken Mirrors" nicht schon gesagt hätte: Irgendwas von einer zeitlichen Ausdehnung des Raumes, über die Erzeugung von Stimmungen auf einem Zeitstrahl. Und es kommen noch zwei etwas andere Insturmentals, von denen eines ganz interessant ("There’s A Light Out On The Horizon") und das andere ziemlich langweilig ist (der 14-minütige Schluss-Song "No Escape").
Kurz blitzt die Grandesse der Band noch einmal beim knisternden "At Your Door" und ein bisschen auch bei der zarten Ballade "Birds Of Paradise" auf. Aber so richtig wird das nichts mehr. Einen sehr gelungenen Soundtrack haben die Chromatics da aus der Hüfte geschüttelt, aber mit dem Pop-Album der ersten 40 Minuten will das nicht so richtig zusammenpassen. Ich meckere hier natürlich auf hohem Niveau. Man muss 90minütige Alben ja nicht bis zum Ende durchhören, man muss heutzutage ja überhaupt keine Alben mehr hören. Man stellt sich einfach seine eigenen Alben zusammen. Das sollte man mit "Kill For Love" trotz allem nicht machen, sonst verbaut man sich die Chance, dass man nach dem hundertsten Hören vielleicht doch auf einmal begreift, wie alles gemeint war, und wie großartig es insgesamt vielleicht doch ist.
Chromatics jedenfalls haben ein sehr gutes Album gemacht, wohl das beste bisher, und das heißt einiges. Es wird nicht lange dauern, bis ich es hundert Mal gehört habe.
2 Kommentare
Kritik her! Das beste Album 2012, bis jetzt.
Aufregung des Jahres. Die Platte wird jedes mal verschoben !