laut.de-Kritik
Vom Hair Metal zum Swamp Blues.
Review von Alexander CordasEs war einiges los im Jahre des Herrn 1990. Deutsche in Ost und West feiern im Herbst die Wiedervereinigung und stießen bierselig noch einmal auf den Gewinn der Fußball-WM im Juli an, als Loddar und seine Kumpane den Pokal mal wieder nach Teutonien brachten.
Musikalisch erlebt die traditionelle Hartwurst-Sparte ihren vorerst letzten Frühling. Speziell die in den Achtzigern groß gewordenen Kapellen aus dem Glam-Metal sahnten noch einmal groß ab. Ein Jahr später erschienen "Temple Of The Dog" "Nevermind" und "Ten", damit hatte sich die große Karriere vieler Bands aus diesem Metier dann erledigt. Die Kids ließen ihr Taschengeld lieber bei Nirvana und Co. liegen, die große Zeit des Metal war erst einmal vorbei.
Zu den Vertretern dieser Spezies gehörten auch die 1983 in Pennsylvania gegründeten Cinderella um den Frontmann und Hauptsongwriter Tom Keifer. Sie strebten nach größeren Meriten, und nach einigem Holpern und Stolpern stand 1986 das Debüt "Night Songs" in den Läden. Künstlerisch kaum von Belang, traf die Scheibe aber den Nerv der Zeit, vor allem in den USA, wo ein Faible für übertriebene Inszenierungen zum Understatement gehört. Satte drei Millionen Mal ging das Ding, das vor lauter Haarspray und Spandex kaum selbständig laufen konnte, über die Ladentheken. Auch der stilistisch breiter gefächerte Nachfolger "Long Cold Winter" hielt das kommerzielle Niveau.
Der Blues hielt Einzug ins Soundgewand. Das stand der Band ausgezeichnet und wirkte zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt, zumal kommerzielle Aspekte kaum ausschlaggebend für die Verwendung waren. Wer hörte damals schon Blues? Eben das war Tom Keifer egal, und so trieb er die eingeschlagene Richtung weiter voran und erweiterte das Klang-Spektrum für das dritte Album um Country, Funk, Soul und sogar Gospel-Einflüsse. Das ganze im Quadrat mit Rock'n'Roll und Hardrock verrührt ergibt "Heartbreak Station", das Highlight des Bandkataloges.
Zwei offensichtliche Aerosmith-Referenzen hält das Album parat, die erste sogleich mit dem Opener "The More Things Change", wenn der Bottleneck über die Saiten rauscht. Den groovenden Hardrock flankiert ein schön tief trötendes Saxofon, das man hier nicht zum letzten Mal hört. "Love's Got Me Doin' Time" schwingt danach derbe die Funk-Keule samt Wah Wah, zudem spendiert Schlagzeuger Fred Coury der Bridge einen effektvollen Off Beat.
Mit dem folgenden "Shelter Me" sollte dann endgültig klar sein, dass Cinderella mit den Kollegen der Dreiwettertaft-Fraktion musikalisch nichts mehr verbindet. Maultrommel, Lap Steel- und Akustik-Gitarre verbinden sich mit einem weiblichen Gospel-Chor, um zusammen gen Kirche zu schlurfen und dort dem Gott des Rock'n'Roll zu huldigen. Klingt ein wenig nach Rolling Stones? Oh ja, aber im besten Wortsinne. Der Text nimmt die Piefigkeit und Doppelmoral der USA aufs Korn, Tipper Gore und ihr PMRC-Gerümpel erfahren sogar eine namentliche Nennung. Fade Outs sind eigentlich eine Erfindung des Teufels, aber hier steht das mit dem Allmächt'gen in Verbindung. Amen!
Der Titeltrack bedient als Herzschmerz-Ballade die Feuerzeug-Fraktion und macht seine Sache äußerst gut. Das Streicher-Arrangement hierzu (wie auch beim Kehraus "Winds Of Change") stammt aus der Feder von Led Zeppelin-Emeritus John Paul Jones.
Ein weiteres absolutes Highlight markiert "One For Rock & Roll". Vom Setting her klingt das eher wie ein gut abgestimmter Jam. Akustik-Klampfe, eine Westerngitarre jault im Hintergrund, ehe die Dynamik Fahrt aufnimmt und sich der Track zu einem veritablen Stomper entwickelt. Die Nummer erzählt eine Coming Of Age-Geschichte und mündet in eine Liebeserklärung an die Musik im Allgemeinen und den Rock'n'Roll im Besonderen. Herzergreifend schön. Wie weit sich Cinderella vom Hair-Metal entfernt haben, beweist auch "Dead Man's Road" mit der allgegenwärtigen Slide-Gitarre und einem Mandoloncello. Swamp Blues in seiner schönsten Form.
Das Motto 'Alles wird gut' beschwört Tom im finalen "Winds Of Change" herauf. Eigentlich ein gelungener Abschluss, wenn das Schicksal für die Musiker noch ein paar Knüppel zwischen die Beine parat hatte. Nach dem Beginn des Irak-Krieges 1991 sagten zahlreiche US-Bands aus Furcht vor Anschlägen ihre Touren ab. So auch Cinderella. Stimmliche Probleme von Tom Keifer, die aufkommende Grunge-Welle und interne Streitigkeiten führten dazu, dass die Band nach diesem Highlight keinen Fuß mehr auf den Boden bekam. Das letzte Studio-Album "Still Climbing" von 1994 war dann nur noch das letzte Zucken einer Formation, die das Potenzial dazu hatte, mehr als nur eine Randnotiz in der Musikgeschichte zu sein.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.


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