laut.de-Kritik
Lyrics mit Tiefe, viel Negativität, düsteren Visionen und reichlich Missmut.
Review von Nkechi UzomaCity Nord sind schon lange im Hip Hop dabei und haben es nun endlich vollbracht, ihr Debut-Album an den Start zu bringen. Passend zum Titel des Werkes bittet eine säuselnd erotische Introstimme, sich nicht anzuschnallen, zu rauchen usw., fast wie eine richtige Stewardess, nur im Umkehrschluss. Das jedoch nur nebenbei, denn "Nachtflug" kann auch einen Rundflug bedeuten, und zwar durch die Seele und Gedankengänge des Mainrapper XL und seiner Kumpanen. Direkt hinein in die dunklen Welten und die Visionen, die XL mehr als direkt und offen auf der Platte raus haut. Größtenteils Lyrics mit Tiefe und viel Negativität, düsteren Visionen und reichlich Missmut.
Einer der wenigen Ausfälle ist "Alarm", der zwar einen äußerst fetten Beat mit beachtlichem Mitgehfaktor hat, jedoch textlich einen totalen Absturz darstellt. Ein Selbstlob auf die dicken, tickenden Raps von City Nord beschrieben u.a. durch den Bau von Bomben. Viel zu zweideutig: einige Metaphern gehen komplett an der intendierten Bedeutung vorbei: "Wir basteln Bomben, hantieren mit TNT da unten in den Katakomben" ist weder lustig noch sehr kreativ. Schwach auch der Rundumdiss-Track "Alle Rechte Vorbehalten". Es wäre nicht nötig gewesen, auf andere Künstler negativ hinzuweisen, das hat immer einen bitteren Nachgeschmack, passend allerdings die Referenz auf die allgemeingültigen Verpflichtungen im deutschen HipHop wie Baggys, Joints und Hardcore-Gepose. Interessant ist auch die Zeile: "MC steht in Deutschland für Middle Class...", ob dies jedoch auch selbstbezogen ist, bleibt unerwähnt. Raptechnisch schwächeln City Nord dank XLs extrem nasaler, konstant unveränderter Stimme. Die trampelt mit fortschreitender Laufzeit unangenehm auf den Nerven herum. Auf Dauer ist dieses Organ schlichtweg unerträglich.
Wieder machen die Lyrics einiges wett. Da wird gesellschaftskritisch getextet und angeprangert. So ist z.B. "Plastik" ein Track über die Falschheit, Künstlichkeit, Anonymität, Heuchlerei, das omnipräsente Selbstmitleid und die "riesigen" Probleme im Wohlstandsstaat Deutschland. Das ist in ein lyrisches Gesamtwerk geformt, wie zum Beispiel: "Wann merkt ihr endlich, dass das Leben keine Seifenoper ist, auch wenn ihr in einem der reichsten Länder Europas sitzt." Schade nur, dass die in "Plastik" Angesprochenen sich diese Lyrics wahrscheinlich kaum anhören werden. Interessanten Text bietet auch "Doppelgänger" mit Mr. Schnabel im Feature, wobei die Erzählerstimme ganz zu Beginn schon alles sagt, was wichtig ist. Ein paar Einstiegsätze mit Tiefgang wie im Bilderbuch. "License To Chill", "Something Special" und "Aussteiger", sind ebenfalls mehr als hörenswert. "Aussteiger" erzählt schöne Geschichten über Hanfplantagen in Manhattan, Leben in Phantasien und über das Aussteigen generell.
Musikalisch gehen City Nord im Gegensatz zu den meisten Compadres im deutschen Hip Hop andere Wege. Sie legen nämlich viel Wert auf Gebrauch von Instrumenten. So hört sich schon der erste Track "Herzlich Willkommen" durch die Akustikgitarren und das leichte spanische Flair sehr nach den Orishas an. Daneben offeriert City Nord stellenweise gitarrenlastige Akustikmusik, Trompeten und Abstecher in den Funk. So hat "Raucherpause" am Schluss zuerst ein extensives Trompetensolo, das sich dann mit Akustikgitarre vermischt und zum sanften Hip Hop-Beat sehr melodisch rüber kommt.
Meistens jedoch schwankt "Nachtflug 126" zwischen instrumentell-orientierten Beats und Musik einerseits und den typischen maschinellen, technisch schlagenden Beats und Hooks zum Kopfnicken und zum Dancefloor-Schwoof andererseits.
Noch keine Kommentare