laut.de-Kritik
Eröffnet neue Blickwinkel, doch landet im Dilemma.
Review von Markus SeibelAuf ihrem neuen Album "Destination" nehmen uns Crematory mit auf einen nostalgischen Streifzug in die Neunziger. Die Band selbst beschreibt ihren Stil als "Electro-Gothic", was der präsentierten Musik im Großen und Ganzen schon immer gerecht wurde. Obwohl die Deutschen in ihrer Spielart klar Szenevorreiter sind, haben sie gerade deshalb einen gänzlich eigenen Sound kreiert, der in all seiner Basslastigkeit kaum düsterer geraten könnte und für diese Art von Natur-Gothic eigentlich auch sehr gut passt. Dabei erschaffen sie trotz einfach gehaltenem Riffing in Kombination mit vielschichtig verwendeten Keys eine sehr eigene Atmosphäre, in der man sich verlieren kann.
Obwohl nicht jede Nummer gleichermaßen packend arrangiert und umgesetzt ist, gibt es mit "Welt Aus Glas", dem Titeltrack "Destination" oder dem coolen "Deep In The Silence" ein paar echt ansprechende Songs, die das Album grundsätzlich sehr interessant gestalten. Eigentlich alles echt gute Kompositionen, aber die Schnitte zwischen den Stücken sind zu krass, es fehlt der Fluss, der die einzelnen Elemente miteinander verbindet. Im Ergebnis heißt das: Crematory präsentieren hier zwölf Stücke, in deren Klangbild Synthesizer und Groove vorherrschen und eindeutig bestimmen. Erstere sorgen für den Rhythmus, letzterer zieht die marginal wogenden Wellen ins stehende Gewässer und bildet die grobe Klangfarbe heraus.
Dass die dargebotene Spielart in sich eine gewisse Monotonie birgt, liefert dabei einen der Streitpunkte, die die Hörerschaft entzweien: Nicht jeder Track zieht mit seinen mantraartigen Beschwörungen des Gothics gleichermaßen in seinen Bann. So verlieren "My Girlfriend's Girlfriend", "My Own Private God" oder "Days Without Sun" im Verlauf vor allem in den langgezogenen Parts an Individualität und Überzeugungskraft. Da bleibt noch genug Potenzial für Luft nach oben.
Am Mikrofon agiert nach wie vor Markus Jüllich mit einem breiten Spektrum: seltener genauso sensibel zerbrechlich, wie es die Songstrukturen weismachen könnten, häufiger im harschen, aber mitfühlenden Kontrast zur Musik. Trotz des auf Albumlänge neuen, durchaus gelungenen Ansatzes, hat der siebzehnte Streich der Wesener eine entscheidende Schwäche: Alle neuen Stücke schwimmen vom Teint her im selben Fahrwasser.
Crematorys neues Album als spannend zu bezeichnen, wirkt in Anbetracht der dargebotenen Musik etwas deplatziert. "Destination" besitzt aber eine gewisse Magie, die in ihrer Ursprünglich- und Bösartigkeit dem Großteil der Songs innewohnt und ihnen eine auf ihre Art abstoßende Faszination verleiht. Das fällt ohne metallische Trademarks womöglich noch stärker auf, lässt sich aber auch nicht ganz so einfach wegwischen. Seis drum: Hörer, die bei Kapellen wie Lake Of Tears und Konsorten den minimalistischen Gothic-Doom-Sog in seiner Bedrohlichkeit wertschätzen, können gern reinhören.
Noch keine Kommentare