laut.de-Kritik

Der vierte Schuss, der endlich saß.

Review von

Es war der vierte Schuss, und der sollte sitzen. Zwar hatten Deep Purple bereits mit ihrer ersten Single "Hush" 1968 die US-Top Ten geknackt, doch hatten sie anschließend immer weniger Erfolg. Live boten sie harten, verschnörkelten Rock, im Studio schalteten sie aber mehrere Gänge runter. Das sollte sich ändern.

Nachdem sie im Sommer 1969 Ian Gillan als Sänger und Roger Glover als Bassisten verpflichtet hatten, setzte sich erst einmal Organist Jon Lord durch, der die Band ursprünglich gegründet hatte, und zwang seine Mitstreiter zu einem Auftritt mit dem Royal Philharmonic Orchestra, um sein "Concerto For Group And Orchestra" aufzuführen. Der Mitschnitt dazu erschien im Dezember.

Nun war der Weg frei für das, was sich Gitarrist Ritchie Blackmore schon länger vorstellte: Ein Album, das die Live-Energie der Band auch im Studio einfing. Die Sterne standen günstig: Mit Gillan hatten sie nun eine der mächtigsten Stimmen jener Jahre im Kader, außerdem hatten Led Zeppelin mit ihren ersten zwei Alben und Black Sabbath mit ihrem Debüt gezeigt, dass es auch für härtere Töne ein dankbares Publikum gab.

Kein Wunder also, dass das Album nicht behutsam beginnt, sondern mit einer Fingerübung Blackmores, die kein Riff ist, sondern eher das Einheizen des Publikums, wenige Augenblicke bevor die Lichter angehen: Vollgas und bei voller Lautstärke. Passend zum Titel des Openers, der an sich schon eine Ansage ist: "Speed King".

Nachdem auch Glover und Schlagzeuger Ian Paice kurz mitmischen, verstummen alle und lassen Lord ran, der ein kurzes, kirchlich anmutendes Orgel-Intermezzo einstreut. Doch es ist nur eine kurze Verschnaufpause, bevor Gillan sein schillerndes Organ anwirft und die Band mit vereinten Kräften losstürmt. In den knapp sechs Minuten bringen sie noch ein Duell zwischen Lord und Blackmore sowie das unverzichtbare Gitarrensolo unter.

Ein monumentaler Track, der ein ebensolches Cover rechtfertigt. Ironie spielte vermutlich keine Rolle, als man sich entschied, die Antlitze verschiedener US-Präsidenten am Mount Rushmore mit denen der Bandmitglieder zu ersetzen. Die Collage erscheint in der heutigen Photoshop-Zeit eher stümperhaft, doch die Botschaft kommt rüber.

"Bloodsucker" fällt vergleichsweise simpler aus. Etwas langsamer gespielt und mit ein paar Noten weniger hätte der Track durchaus auch von Black Sabbath stammen können. Doch er ist kaum mehr als eine Fußnote, folgt auf ihn doch das beste Stück in Deep Purples Schaffen. Mit "Child In Time" bewiesen die beteiligten Musiker ihr ganzes Können. Von leise zu laut zu leise zu laut, ohne Brüche, ohne zusammengesetzt zu wirken.

Dabei entstand die Idee eher nebenbei. Während Lord "Bombay Calling" von "It's A Beautiful Day" vor sich hin dudelte, improvisierte Gillan einen Text über den Untergang der Menschheit und Kugeln, die durch die Luft schwirren. Zunächst zärtlich verträumt, dann seine Todesangst aus der Seele kreischend. Der Rest der Band musste nichts weiter tun, als zehn Minuten lang mitzuhalten. Selbstverständlich schüttelte sich Blackmore ein Mördersolo aus dem Ärmel und baute eine Passage ein, in der er sich mit Gillan bei späteren Konzerten duellieren konnte. Lange Zeit der Höhepunkt eines jeden DP-Gigs.

Eine epische erste LP-Seite, der eine eher durchschnittliche zweite folgt. "Flight Of The Rat" bietet ein Riff, das selbst einem Minimalisten wie Malcolm Young zu simpel gewesen wäre. Anlass für die Instrumentalisten, sich um so mehr auszutoben, samt langer Soli von Blackmore und Lord. Auch Schlagzeuger Paice darf sich zum Schluss einbringen. Zwar erreicht er nicht die Genialität von Led Zeppelins John Bonham, doch erwies er sich stets als Fels in der Brandung. Nicht zuletzt, weil er das einzige Mitglied ist, das bei allen Bandbesetzungen an Bord blieb.

Das stellenweise wieder an Black Sabbath erinnernde "Into The Fire" war lange fester Bestandteil der Livesetlist, "Living Wreck" und "Hard Lovin' Man" bieten zum Abschluss wieder schnelleren Rock'n'Roll. Ganz zum Schluss wandert Blackmores Gitarre schwindelerregend von einem Lautsprecher zum anderen und wieder zurück.

Trotz allem ein Bombenalbum. Mit einem Makel versehen, zumindest aus Sicht der damaligen Label-Verantwortlichen: Es fehlte die berüchtigte Single. Rasch nahmen Deep Purple noch "Black Night" auf, das es nicht mehr auf die LP schaffte, dafür aber auf Platz zwei der britischen Charts, in denen sie bislang keinen Stich gemacht hatten.

Nach einer Mammut-Tour waren sie dann tatsächlich eine der weltweit angesagtesten Bands. Ihr bekanntestes Stück lieferten sie 1972 mit "Smoke On The Water" auf dem Album "Machine Head" ab, doch so aus einem Guss und so spielfreudig hat die Band nie mehr geklungen. Der vierte Schuss hatte gesessen. Wait for the ricochet.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Speed King
  2. 2. Bloodsucker
  3. 3. Child In Time
  4. 4. Flight of the Rat
  5. 5. Into the Fire
  6. 6. Living Wreck
  7. 7. Hard Lovin' Man

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8 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 9 Jahren

    Da ich am lautesten nach einem Deep Purple Meilenstein geschrien ist es wohl meine Pflicht, die Kommentarspalte zu entjungfern. "In Rock" ist ne gute Wahl, wobei ich persönlich "Machine Head" vorgezogen hätte (aber sicher nicht wegen 'Smoke On The Water').

    Die Review selbst wirkt für nen Meilenstein seltsam reserviert. 'Bloodsucker' ist ein richtiges Brett und einer der besten Deep Purple Tracks überhaupt, und die zweite Seite muss man in ner Meilenstein-Review eigentlich auch nicht schlecht, bzw. durchschnittlich reden. Trotzdem danke, nech.

  • Vor 9 Jahren

    überfällig. Geiles Ding!

    Living Wreck mein Highlight! Bloodsucker und Child in Time sind natürlich extrem übergeilo!

    Klasse Auswahl für mich genau richtig.

  • Vor 9 Jahren

    Made in Japan hätte ich geiler gefunden. Das ist nämlich mein lieblings Live Rock Album überhaupt. Das In Rock aber trotzdem n zeitloses Brett ist, ist Fakt. Gehe mit der positiven Meinung über "Bloodsucker" d'accord, sehr geiler Song.