laut.de-Kritik
Post-Punk bleibt stabil.
Review von Rinko HeidrichPost-Punk bleibt stabil. Eben im Mainstream angekommen, dann wieder aus dem Fokus, aber immer da. Und plötzlich braucht es nur ein paar Kids und alles ist wieder so spannend wie Ende der 70er oder in den Nullerjahren, als man das Genre plötzlich als Pop-Ereignis feiert. Auch Dry Cleaning bleiben natürlich die Enkel der Young Marble Giants mit ihrem lakonischen Sprechgesang. An denen versuchten sich über die Jahre nicht wenige Bands, aber ohne Charisma geht bei den Trittbrettfahrern eben nicht viel. Ein Glück, dass Florence Shaw nicht viel Lust auf College verspürt und dadurch wie eine Reinkarnation von "Daria" wirkt, der bis heute kultisch verehrten Streberin aus der gleichnamigen Zeichentrick-Serie der 90er Jahre.
Wie schon auf dem Debüt sprechsingt sie auch auf "Stumpwork" ihre Lyrics mit felsenfest-unbeeindruckter Nonchalance. Immer eine Augenbraue hochgehoben, im Gesicht kaum eine Emotion ablesbar. Sowas kann impulsive Menschen zur Weißglut treiben. Wie diese Sorte Mensch, die bei Durchsagen am Bahnhof ein kaum wahrnehmbares Seufzen ausstoßen und wieder auf ihr Kindle schauen. Auf ein entgeistertes "Ja nervt Sie das nicht auch?" kommt nur ein Schulterzucken.
Genau das kommt in "Gary Ashby" durch. Gary war eine real existierende Schildkröte, die den ständigen Streit im Haus Shaw nicht mehr aushielt und eines Tages die Flucht ergriff. Florence seufzt ihrem kleinen Gefährten hinterher und beschreibt die gemeinsamen glücklichen Tage, als er mit seinen kleinen Beinchen eine Alufolie als Fußball benutzte. Ein bisschen Wehmut, aber das Leben geht weiter. Gary wahrscheinlich auch. Ein Seelenverwandter, der einfach seinen Salat fraß und sämtlichen Blödsinn an seinem dicken Panzer abprallen ließ. So geruhsam wie die Londoner Band eben. Sie sitzen nur da, kommentieren vieles mit einem lapidaren "Uhm" oder "Huh?". Manchmal schon so verlangsamt, dass auch Gary mit seinem Zeitlupen-Tempo wie ein pfeilschneller Gepard anmutet.
Es geht viel um Beharrlichkeit. Ein deutsches Wort, das in Verbindung mit den ekligen Haar-Resten auf dem Albumcover noch einmal eine andere Bedeutung bekommt. Oder um Abstumpfung wie in "Conservative Hell", was natürlich besser zu der Intention des Wortes "Stumpwork" passt. Ein Leben in der öden Alltagsschleife, in der man jeden Tag seine Hausarbeit verrichtet und mit den Jahren in Gleichgültigkeit versinkt. Eine bittere Anklage oder eine donnernde Wut gegen das System schimmert dennoch nicht durch. Das Leben dieser Hausfrau und ihren verlorenen Träumen steht komplett für sich und bedarf keiner Schadenfreude.
Seine unterkühlte Unaufgeregtheit zwischen Post-Punk und Dream-Pop macht das zweite Album von Dry Cleaning zwar nicht zum kommerziellen Hochereignis der Saison, wird aber trotzdem viele ach so trendy Alben aus dem Jahr 2022 überdauern. "Stumpwork" ist ein exzentrischer Freund, der einem erst langsam ans Herz wächst und dann für lange Zeit im Leben bleibt. Denn "Stumpwork" bietet viele kleine Dinge, die erst nach und nach auffallen. Ein verlorenes Funksignal in "Icebergs", das ganz langsam im Slowcore-Jazz endet. Oder ein absolut unerwartetes Psychedelika-Funk-Riff in "Hot Penny Day". Und trotzdem bleibt der Puls immer in Regionen, die weit weg von der anschwellenden Halsschlagader unserer nervösen Zeit bleiben. Trockene Humorbehandlung statt geifernder Spucke aus dem Hals der viel zu Lauten. Es wird Zeit, diese Lässigkeit wieder neu zu erlernen.
4 Kommentare mit einer Antwort
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Ich rätsle noch sehr, was für seltsame, fremdschämige Verdrahtungen zur Assoziation zwischen "Beharrlichkeit" und "behaart sein" geführt haben mögen. Die Musik ist jedenfalls cool und putzig für den Moment. Vielleicht bleibt ja was haften, wie das Schamharr auf der Seife.
Fand ich erst gut aber nach 2-3 songs nervt mich der “lakonische Sprechgesang” nur noch. Ich bin übrigens nicht impulsiv.
und das Cover ist ja schlimm. Erste Assoziation - da hat sich jemand mit Kernseife ordentlich die Kerfte bearbeitet.
Absolutes Ekel-Cover, aber irgendwie auch künstlerisch...Beuys-Style oder sowas.