laut.de-Kritik
Vier Engländerinnen und die fröhliche Wissenschaft.
Review von Philipp GässleinMan stelle sich vor, Carla Bruni würde wild orgelnd aus philosophischen Texten vortragen, während sich ein Haufen durchgeknallter Weiber im Hintergrund alle Mühe gibt, zu klingen wie Genesis in glanzvollen Zeiten. Keine einfache Vorstellung. Electrelane setzen noch einen drauf: Von Song zu Song wildern sie ungehemmt im Musiksektor herum, verwursten alles von Krautrock bis zu Gospels, von Chris Martin bis zu Ray Manzarek.
Der Opener "Gone Under Sea" rockt einen Ave Maria-Text auf französisch, die erste Singleauskopplung "On Parade" geht auf den Skandalroman "The Well Of Loneliness" von Radclyffe Hall zurück. Bei "The Valley" vertonte Sängerin Verity Susman ein Siegfried Sassoon Gedicht zu einem mehrstimmigen Choral irgendwo zwischen Motown und Gospel, für dessen Umsetzung der Chicago A Capella Chor verpflichtet wurde. Wie weit sich diese Band von jeglichen Konventionen abkapselt, zeigen die Stücke "Take The Bit Between Your Teeth" und "Oh Sombra!". Bei ersterem weben die vier Mädels einen sentimentalen, melodischen Gesang in eine mitreißende Rock'n'Roll Rhythmik ein. Bei letzterem gibt Varity Susman ein Gedicht des spanischen Dichters Juan Boscón zum Besten, wobei es vollkommen gleichgültig scheint, dass die Tonlage viel zu hoch für sie ist. Manche nennen das schlechten Gesang - andere nutzen den Begriff "künstlerische Freiheit". Als ob sie damit gerechnet hätte, beweist die Sängerin gleich im folgenden Stück "Enter Laughing", dass sie sich doch leicht in enorme Tonhöhen schrauben und fehlerlose Intervallsprünge hinbekommen kann, wenn sie nur will.
Der Höhepunkt erreicht die Platte bei "This Deed". Die Musik könnte von Coldplay persönlich stammen, der Text ist aus Nietzsches "Die fröhliche Wissenschaft" geklaut, die wunderbaren Harmonien, die dem Hörer sofort unter die Haut gehen, kommen aus der Feder der Band. Dass die Wurzeln der Gruppe aber in der reinen Instrumentalmusik liegen, macht "Love Bilds Up" deutlich. Der Track hat einen ähnlichen Auftakt wie Laid Backs "Bakerman", mündet aber letztendlich statt in einem furiosen Gitarrensolo in einer Orgeleinlage, die selbst den Doors noch zur Ehre gereicht hätte.
Auch "You Make Me Weak At The Knees", das letzte Stück des Albums, benötigt keinen Gesang und verabschiedet den Hörer sanft und etwas wehmütig aus den Fängen der vier Engländerinnen. Zwar befürchtet man unterbewusst, die Damen setzten gleich mit "The silicon chip inside my head..." aus "I Don't Like Mondays" ein, denn exakt daran erinnert der Song. Entscheidend jedoch ist, dass sie es nicht tun.
Kommerziellen Erfolg werden Electrelane mit derartigen musikalischen Experimenten auf Indierockbasis nie haben, das kann man wohl so in den Raum stellen. Sollte Carla Bruni dieses Album jedoch jemals zu Ohren kommen - kann es sein, dass die Chanteuse vor Neid ob solcher innovativer Fähigkeiten erblassen würde?
3 Kommentare
laut.de passt also doch gut auf, was sich in der musikwelt so tut. electrelane hat ein review und ein bandportrait bekommen.
gibts eigentlich noch jemand ausser mir, der sich so in das album verliebt hat. nagut- nicht gerade mainstream tauglich und auch etwas anspruchvoller gestrickt als das meiste andere- aber ich glaube nicht, dass dieses jahr für mich noch ein album kommt, was dieses toppt. und das gleich am anfang des jahres
loe
Zitat (« :Loe: schrieb:
gibts eigentlich noch jemand ausser mir, der sich so in das album verliebt hat. »):
kannste von ausgehen
tja. da stehen wir wohl ziemlich allein da. man gibts sich eben lieber mit franz ferdinand zufrieden hier im forum
loe