laut.de-Kritik
Die Österreicher machen es sich und dem Hörer nicht leicht.
Review von Philipp SchiedelSchon mit ihrer Namensgebung haben es sich die Österreicher nicht gerade leicht gemacht. Der geeignete Punk/Emo-Hörer wird da zuerst von A nach B denken und ihren Sound sofort mit in den randvollen Nachfolgertopf der wunderbaren (und viel zu gering geschätzten) Sunny Day Real Estate werfen. So tat ich es jedenfalls. Ganz falsch liegt man damit nicht (besonders im Bezug auf bestimmte Gesangparts), aber vor den Aufnahmen dieser Platte wurden die Ohren bestimmt öfter bei Snapcase als bei Jeremy Enigk gespitzt. Damit fährt man natürlich auch erst mal einen großen Pluspunkt ein, doch 42 Minuten sind eine lange Zeit um die Punkteverteilung noch einmal genau durchzusprechen.
Auch musikalisch wollen Estate keinen leichten Weg gehen und versuchen definitiv etwas neben der Masse zu schwimmen. Wenn die Band auf die emotionale Seite setzt, geht dieses Anliegen immer auf. Lang gezogener Jammerlappen-Gesang, der zwar nicht so wunderschön näselt wie bei den eingangs genannten Urvätern, sich aber perfekt in die traditionelle Schiene von den üblichen Vertretern auf Relevation Records einreiht. Die Stimme überzeugt. Selbst wenn an den letzten Enden der Stimmbänder gekratzt und in bester Hardcore-Manier von altbekannten zwischenmenschlichen Problemen gebellt wird. Dabei fallen die Jungs mit den gegeelten Haaren und den Nietengürteln zum Glück auch nicht in das Loch der Peinlichkeit, in das jeder zweite HC-Release immer wieder munter hinein stampft. Nur als sie beim letzten Song plötzlich meinen, es nun doch mal in ihrer Muttersprache versuchen zu müssen, beweisen sie eindrucksvoll warum man sich in den zwölf vorherigen auf englisch ausspuckte bzw. -weinte.
Trotzdem verlieren sich Estate oft im Teufel-Komm-Raus-Ansatz ihrer Andersartigkeit, der leider nur selten zündet. Jeder Song ist durchgehend mit einem großen Augenmerk auf Hinhören konstruiert, in denen mitunter sogar wunderbare Melodiebögen ihren Platz finden. Einen waschechten Hit sucht man deswegen auch vergebens. Keine Frage, hier wurde überlegt, umgeworfen und Nächte lang arrangiert. Besonders das Gitarrenspiel ist oft herrlich disharmonisch und noisy durchdacht.
Aber wenn es sich stellenweise so verkrampft anhört, dass man sich nicht ganz sicher ist, ob die Musik nun links, rechts oder doch wieder geradeaus will, endet es zu oft in einem harmlosen Versuch des Ausbrechens, der dann doch nichts Halbes und nichts Ganzes hergibt. Und sobald man versucht, stumpf rumzuböllern, endet das nur noch in einem belanglosen Hardcore-Track, dem schon Ende der 80er die Ideen ausgegangen sind. Das nächste Mal sollte man in Österreich die guten Ideen bitte zu Ende denken.
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