laut.de-Kritik

Eine Artrock-Odyssee durch das Unterbewusstsein.

Review von

"Fireworker" ist eine Verbeugung vor den rauschhaften Zuständen, in denen die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit zu Gunsten des Ersteren längst passiert wurde. Dabei fokussieren sich Gazpacho selten auf den abrupten impulsiven Ausbruch. Vielmehr lenkt der unterbewusste, die Ratio überlistende Instinkt den Menschen in größeren, Generationen überspannenden Bahnen.

Entsprechend kursieren für den vielgestaltigen Taktgeber des Weltgeschehens neben dem schmissigen Albumtitel noch zahlreiche weitere Namen. Einer davon lautet "Space Cowboy", gleichsam Titel des zwanzigminütigen Openers. Elegische, balladeske Schönheiten wechseln mit heroischen Chören der Marke "Carmina Burana". Lang gezogene Zerr-Akkorde illustrieren mit behutsamen Piano-Tupfern das Wirken im Makro- und Mikrokosmos.

Pluckernde, Automatismen-gleiche Elektronik harmoniert mit analogen Glockenspielereien. Leicht jazzige Drum-Patterns interagieren mit Brass-Protzereien wie sie Ritchie Wagner auf seinem grünen Hügel nicht besser inszeniert hätte. Ein Stück, das Artrock zu sinfonischer Größe gedeihen lässt, majestätisch, erhaben, eine kunstvolle, kontrapunktische Vereinigung der Krach- und Klassikebene.

Das darauf folgende "Hourglass" ist nur ein scheinbares Luftholen. Der fiebrige Dämmerzustand bewegt sich in die Peripherie. Verhuschte Klavier-Klänge und verhallte Gesänge gemahnen an den Rausch der ersten zwanzig Minuten. So langsam dämmert es dem letzten Hörer, dass die Norweger auf Albumlänge ihre Version der unendlichen Reise durch den menschlichen Geist mit all seinen Irrwegen, Zirkelschlüssen und Berg und Talfahrten kreieren.

"Sapien" gehört in die Kategorie Endlos-Mega-Ballade wie, um je ein Beispiel älteren und jüngeren Datums zu nennen, "Islands" von King Crimson sowie "In The Passing Light Of Day" von Pain Of Salvation. Bemerkenswert gelingen auch die Hörspiel-Sequenzen, beginnend bei einer naturalistischen Tropfsteinhöhle und endend in einer digitalen Echowelt. Hier tönen keine Sample-Schnäppchen auf dem Flowmarkt. Selbst die Gitarren-dominierten Parts staffiert das Klang-Kollektiv mit Chören, Noise und allerlei Alltagsgeräuschen aus.

Das Sextett hat bereits die Weltformel vertont ("Molok"), historischen und literarischen Ereignissen mit "Soyuz" ein passendes Klanggewand geschneidert und knüpft nun wieder an seine künstlerische Blaupause "Night" an. "Fireworker" spannt den konzeptuellen Schirm über das bisherige Œuvre und entwickelt einen vergleichbaren Sog wie die tiefenpsychologische Tiefseetaucherei von The Ocean auf "Pelagial".

Bei der Beantwortung der Frage, ob denn nun das numinose Wirken magisch oder maliziös, destruktiv oder bindend wirkt, sei auf die aktuellen Outputs von Gazpacho und Haken verwiesen. Während die Briten auf "Virus" das Krach-Fach belegen und schön das Schaurige nach außen drehen, betonen die Norweger bei allen verschlungenen Pfaden, die sie beschreiten, die Harmonie. Wer hat recht? Fest steht: Gazpacho 2020 gelingt eine Artrock-Oddysee durch das Unterbewusstsein.

Trackliste

  1. 1. Space Cowboy
  2. 2. Hourglass
  3. 3. Fireworker
  4. 4. Antique
  5. 5. Sapien

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Gazpacho

Die Norweger Jon-Arne Vilbo (Gitarre) und Thomas Andersen (Keyboard) kennen sich seit der Kindheit an und über die gemeinsame Liebe zur Musik formiert …

1 Kommentar

  • Vor 4 Jahren

    Na ja... die Alben Night, Tick Tock und Missa Antropos fand ich richtig eingängig. Demon war noch ok. Der Rest konnte mich nicht wirklich überzeugen. Auch mit Fireworker tue ich mir schwer. Der Opener ist mit zu überladen und bombastisch, geht mir zu wenig nach vorne. Die drei Folgenden fallen dann stark ab. "Sapien" gefällt mir noch am Besten - allerdings dürfte es nach 10 Min. ... auch fertig sein.