laut.de-Kritik
Mit Energie und Leidenschaft gegen die Trauer.
Review von Sven KabelitzDer erste Eindruck zählt. Dieser ging mit dem Gleis 8-Debüt "Bleibt Das Immer So" gewaltig in die Buxe. Müssen wir überhaupt noch über den Nachfolger "Endlich" sprechen? Ja.
Die beiden ehemaligen Rosenstolz-Mitglieder AnNa R. und Peter Plate finden langsam zu einem Leben nach ihrer Band. Er lässt zum Glück zunehmend die Finger vom Mikro, bleibt im Hintergrund und schreibt lieber für Sarah Connor ("Muttersprache"). Sie kommt mit ihrer neuen Formation endlich in die Spur. Doch der Preis hierfür war viel zu hoch.
Schlagzeuger Manne Uhlig und Saxophonist Lorenz Allacher erkrankten 2014 an Krebs. Während Uhling den Kampf gegen die Krankheit gewann, starb Allacher im Oktober 2014. Anstatt ihn zu ersetzen, rückten Gleis 8 näher zusammen, schöpften aus der Trauer neue Kraft für die Musik. Sie nutzen die Chance des Neuanfangs in der zweiten Runde. Ihr Schlager-Pop zwischen Rosenstolz und Coldplay verfügt plötzlich über die verschiedenen Ebenen und eingängigen Melodien, die dem Erstling noch fehlten. Wenn der Preis für das Zusammenfinden von Gleis 8 und mir allerdings Allachers Tod war, wünschte ich mir für Allachers Familie, Freunde und die drei Musiker von Gleis 8, dass wir hier an dieser Stelle einen Verriss lesen könnten. In solchen Momenten erscheint Musik so unwichtig.
In solchen Momenten erscheint Musik so wichtig. Sie hilft uns wieder zu spüren, zu verkraften und letztlich weist sie uns den Weg zurück in den Alltag. "Endlich" ist nicht das in sich gekehrte Traueralbum. Viel mehr verarbeiten Gleis 8 den Schicksalsschlag zu einem von Melancholie getragenen Ja zum Leben. Bereits der Opener "Alles Auf Anfang" strotzt vor Euphorie und trotziger Jetzt-erst-Recht-Einstellung. "Waren mit dem Teufel trinken / Ohne mit dem Schiff zu sinken / Das nehmen wir alles mit / Und dann alles auf Anfang."
Die Energie des Openers hält die Band größtenteils aufrecht. "Du Bebst" und "Vorbei" setzen noch eine ordentliche Portion Pathos oben drauf, während im Hintergrund die Coldplay'schen "Oh Oh Oh"-Chöre trällern. Ein eigentlich komplett ausgenudeltes Konzept, das hier aber mit Leidenschaft und mitreißenden Melodien vorgetragen wird. Die Sängerin zeigt weitaus mehr Herzblut als auf ihren letzten Veröffentlichungen.
AnNas Stimme und Texte verlinken automatisch zu ihrer Ex-Band, was Fluch und Segen zugleich ist. "Herz Aus" könnte man sofort in die Schublade "kitschige Rosenstolz-Ballade" ablegen. Spätestens mit dem Einsatz der raueren Gitarre und dem rumpelnden Schlagzeug zeigen sich im Arrangement jedoch deutliche Unterschiede. Im tief-tragischen "Dunkelrot", das nur von Klavier und Orchester begleitet wird, gehen diese verloren.
Einen kompletten Griff ins Klo erlauben sich Gleis 8 mit "Engel" aber doch noch. Den Rammstein-Klassiker häuten sie aus seinem Neue Deutsche Härte-Kostüm und packen ihn in eine triste Deutschrock-Pelle. Schnarchnasiger kann eine Neuinterpretation kaum ausfallen.
Natürlich kopiert AnNa R. ihre Texte noch immer munter aus dem Plattitüdenhandbuch. Natürlich findet man auf "Endlich" durchgehend Befindlichkeits-Pop. Aber in diesem so festgefahrenen Umfeld funktioniert das Album gruselig gut. Im Gegensatz zum Debüt haben sich Gleis 8 gefunden, ihre Spannweite vergrößert und ihren Fremdschamfaktor verloren. Nicht endlich, sondern unverhofft.
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