laut.de-Kritik
Mindestens so weit weg von Blur wie die Gorillaz.
Review von Michael SchuhWenn man eines im Rausche der umjubelten Blur-Reunion, der lechzenden Berichte neuer Albumaufnahmen und der Ankündigung der Hyde Park-Show zum Finale der Olympischen Spiele nicht erwartet hätte, dann eine neue Graham Coxon-Soloplatte. Dabei gehört es schon längst zum künstlerischen Credo des Gitarristen, das eigene Ziel lieber im ungeraden Zickzack-Kurs als auf direktem Wege zu suchen.
So dürfte "A+E" nicht nur das komplette Gegenteil des zu erwartenden Blur-Albums darstellen, sondern steht auch sämtlichen Soloalben Coxons diametral gegenüber. Wer angesichts der eingekehrten Harmonie mit Damon Albarn einen verträumten Songzyklus in Dur mit Streichern oder gar einen Gastauftritt erwartet hatte, wird genau so enttäuscht wie Freunde von Coxons straight-melodiösen Punkrock-Brettern ("Happiness In Magazines", "Love Travels At Illegal Speed").
Wie das minimalistische Cover im Stile alter SST-Bands à la Hüsker Dü schon andeutet, versprüht das achte Soloalbum des Briten die lärmige Underground-Noiserock-Attitüde einer Musiker-Generation, die den Weg für Grunge ebnete. Zwar steht der rauhe Opener "Advice" noch in der Tradition ordentlicher Coxon-Granaten, doch schon hier fiepst und rumpelt es ordentlich im Hintergrund.
Dennoch bereitet es einen kaum auf das darauffolgende "City Hall" vor, ein monoton waberndes, mit stur programmiertem Drumcomputer nach vorne peitschendes Experiment, gegen das jeder Neu!-Song als lupenreine Popnummer durchgeht. Coxon singt viereinhalb Minuten lang nur die Zeile "Going down to the City Hall / A billion lights in front of me", was einmal mehr als Beleg für Coxons lebenslange Panik vor seinem Publikum gedeutet werden kann.
"I don't really know what's wrong with me?", stellt er kurz darauf fast schon ernüchternd fest, gönnt dem Song "What'll It Take" aber generös eine weitere Verszeile. Vor allzu große Textprobleme dürften Coxon seine Soloshows jedenfalls nicht stellen. Großartig, wie er die eingängigste Nummer des Albums auf flackernden Synthiebeats aufbaut, eine Dengelgitarre drüberlegt, mantrahaft seine Zeilen wiederholt, mittenrein plötzlich begeistert "Oi" schreit (jippie, "Parklife") und gegen Ende sein dünnes Stimmchen mit der Wut der Verzweiflung gegen den Lärm aus Drums, Gitarren und stechendem Elektronik-Fiepsen stemmt.
Mit Produzent Ben Hillier stand ihm ein Mann zur Seite, auf den wohl ebenfalls kein Mensch getippt hätte, begleitete dieser doch das letzte Blur-Album "Think Tank", über das der Gitarrist 2004 gehässig sagte: "Ich hätte die Computer rausgeworfen und mich auf die Musik konzentriert, anstatt mit Lego-Programmen rumzuspielen."
Acht Jahre später steht das Duo zusammen in einem Studio ohne Kontrollraum, dafür mit einem 80er Jahre-Mischpult, um den Live-Moment einzufangen und dabei die Vorteile alter Technik zu nutzen. Ging mir Hillier auf den letzten zwei Depeche Mode-Alben mit seiner Detailversessenheit für Hunderte Soundschnipsel noch auf die Nerven, funktioniert diese Herangehensweise bei einem Noiserock-Album scheinbar perfekt.
Der Produzent scheint entgegen vieler Kollegen verstanden zu haben, dass die Authentizität einer LoFi-Platte nicht automatisch in eindimensionalem Schrottsound resultieren muss. So setzt er Coxons Noiserock stets in einen wohlklingenden Rahmen, unterstützt die songwriterische Hypnotik der Songs und schafft insgesamt ein ansprechendes Gleichgewicht aus ungestümer Gitarre und nervenanspannenden Störgeräuschen.
Zu den Höhepunkten zählt das doomig-zähe "The Truth", für dessen Gesangslinie sich Coxon mutmaßlich in eine Höhle verzogen hat, die traurige Wave-Ballade "Knife In The Cast" und der dann doch fast schon 60s-mäßige Abschluss "Ohh, Yeh Yeh", zumindest was Coxons tolle Gesangsharmonien betrifft.
Wenn Noel Gallagher sagt, dass Coxon der begabteste Gitarrist seiner Generation ist und Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood "alles prinzipiell gut findet, was Graham spielt", dann muss man mittlerweile nicht mehr an Blur-Alben denken. In diesem Paralleluniversum, das Graham Coxon seine Solokarriere nennt, finden sich längst genau so viele begnadete Momente.
2 Kommentare
eine unglaublich geile platte.
ich hör's lieber als blur.
Sehr abwechslungsreich, sehr frisch, sehr lebendig, sehr gut. Erinnert mich stellenweise an Blurs selbstbetiteltes Album.