laut.de-Kritik
Deutschraps coolster Nebencharakter.
Review von Yannik GölzJetzt kriegen wir es also, das Album, das uns Harry Quintana so lange schuldig blieb. "Blue Sky Szenario" kam im Februar in Eigenregie auf den Markt und exponiert den Rapper zum ersten Mal seit Prinz Harry-Tagen auf ganzer Länge. Vielleicht hilft die Platte, endlich ein paar Fragen zu beantworten. Zum Beispiel: Wie schafft ein Typ es, durch alle Deutschrap-Sedimentschichten respektiert zu werden, über Jahrzehnte Schemen-Präsenz auf das Game auszuüben und dabei nie auch nur ein Video gedreht zu haben? Wie kann er mit LGoony, Kollegah und Prezident rappen, ohne neben irgendeinem davon deplatziert zu wirken? Und vor allem: Wieso hört man von ihm so oft im Superlativ, obwohl er der letzte zu sein scheint, dem es um irgendeinen Superlativ geht?
Auf "Blue Sky Szenario" umgibt ihn eine Aura der Ungreifbarkeit, die sich gegen jedes Schubladendenken sträubt. Es gibt keinen einfachen Sticker, den man Harry K anheften kann, kein Subgenre, keine Strömung, keine Ära. Die Produktion der Platte klingt raum- und zeitlos, manchmal denkt man an die sonnendösigen Sound-Designs des Albert Parisien-Camps, dann hält er wieder mit kopfnickenden G-Funk-Flirts dagegen. Die Platte weigert sich systematisch gegen jeden möglichen Vergleichspunkt, aber dann trifft er auf "Hand Auf Der Bibel" den Nagel doch auf den Kopf: "Denn wenn ich rapp', dann macht für dich auf einmal alles Sinn".
Genau diese Verweigerung, festgenagelt zu werden, macht den Mann so spannend. Mehr als fast jeder andere deutsche Rapper verströmt er auf "Blue Sky Szenario" eine Authentizität, die sich aus Gelassenheit und Selbstkenntnis speist. Er macht sich sein eigenes Genre, mehr atmosphärisch als textlich. Die Welt, die er zeichnet, entsteht aus Gedanken-Requisite, und seine Persona klingt erfrischend unbeschäftigt damit, wie der oder der zu klingen. Harry K klingt eben wie Harry K, und wenn sein Leben aus Hauskauf mit Anfang 30, Skifahren in Kitzbühel und Erinnerung an das Koksen in München besteht, dann kann er das trotzdem klingen lassen, als wären genau das die drei Elemente des Hip Hop.
Dieser Rap-Form angenommene Spießbürger-Zen manifestiert sich vor allem in seiner Stimme. Seine Flows beschäftigen sich nicht damit, imposant oder schnell oder handwerklich extravagant zu sein. Quintana ist ein Großmeister der Delivery, seine markante Stimme fläzt sich in Slow-Motion über die Instrumentals, ein bisschen erinnert er manchmal an die besten Tage des Retrogotts, dessen distanziertes Gepöbel gegen die Szene auch von einem bestmöglichen Outsider-Gefühl lebte. Auf Songs wie "Das Kreuz" oder "Blue Sky Szenario" hämmert er gegen eben diese Szene. Deutschrap wird beobachtet wie ein deutsches Unternehmen, und Harry spricht darüber, als hätte er keine Aktien gekauft. Sein Leben spielt woanders und die Distanz macht seine Spitzen doppelt gefährlich. Denn wer könnte authentischer über Dinge urteilen, als der, dem sie legitim am Arsch vorbei gehen können?
"Blue Sky Szenario" sind aber nicht nur Representer und Punchlines, besonders die zweite Hälfte bremst das Tempo aus und schaltet in einen introspektiven Gang. Motto bleibt, die Dinge nie zu ernst zu nehmen, aber wenn er auf "Nostalgie Inc." Markennamen seiner Kindheit aneinanderreiht und sich den daraus erwachsenen Gefühlen stellt, spürt man, wie sehr wir alle Teil der kommerziellen Nostalgiemaschine geworden sind. Fast hätte er unabsichtlich einen Celo & Abdi-Text geschrieben, würde nicht die butterweiche Blanko Malte-Hook mit der Zeile "Ich weiß es noch wie gestern, ich hab' gesagt, sie kriegt mich nie / Und jetzt steh' ich hier als Teil der Nostalgie-Industrie/" alles resümieren. Die skizzierte Rapvideo-Fantasiefrau auf "Keine Rolle" setzt sich mit Sehnsucht und Wunschbildern auseinander, "Snapshots" dekonstruiert das letzte bisschen Souveränität der Erzähl-Distanz.
Und dann endet es auf "Immer Weiter" doch wieder mit smoothen Representern über das gute Leben. Vielleicht ist das schöne an "Blue Sky Szenario", dass es sich einfach nur an einer Lebensrealität orientiert, nicht an einer Rolle. Kein Luxus-Rap, aber Wohlstands-Rap, mit verdienter Skepsis gegen der Gesellschaft und jeder Industrie, Tagträume über John Gotti und Jürgen Klinsmann, die sich von der Kindheit bis ins Jetzt halten und Rapflows, orientiert an alten wie neuen Helden. Harry Quintana baut mit unaufdringlichsten Mitteln eine eigene Rap-Welt zusammen, die sofort einleuchtet. Dabei wirkt er nahbar, souverän und erzählt es mit der verlässlichen Beiläufigkeit des coolsten Nebencharakters, den Deutschrap je gesehen hat.
8 Kommentare mit 11 Antworten
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Das wurde also aus Prinz Harry. Vom Wohlstand verwahrlost war Bombe.
Da kam mir der Münchner Dialekt auch noch nicht so nervig vor
Megakrasser Rapper.
Was ist denn der Joke daran, diesen Kerl zu hypen?
Hat mit hypen nichts zu tun - er liefert seit ca. 10 Jahren beständig hochwertige Songs ab. Der Output ist zwar immer gering gewesen, aber er ist einfach extrem stilsicher und für mich persönlich gibt es keinen 2. Rapper mit einer so unfassbaren Trefferquote, was einen hohen Replay Value einzelner Songs betrifft. Bei anderen ist es schon hoch gegriffen, wenn mir 20% der Songs extrem gut reingehen, aber bei Harry Quintana sind es gut und gerne 70-80%
an dieser stelle könnte ein diss von derweisehai stehen...
Weiß garnicht, was ich da dissen soll...dieser Harry ist einfach sehr belanglos und verstehe dieses abfeiern halt zu 0%...
https://www.youtube.com/watch?v=F_4428jRq64
https://www.youtube.com/watch?v=TbOOJQdhhVA
https://www.youtube.com/watch?v=GuEN9awwpWs
https://www.youtube.com/watch?v=UUo1aebaadw
https://www.youtube.com/watch?v=pU0mJL0HOsY
Mal als kleiner Querschnitt aus seiner Diskografie (2012-2019) mit sehr verschiedenen Styles... ist halt Geschmacksache, wenn's Dich nicht catched, aber für mich klar einer der besten in Deutschland und er hat es halt geschafft sich, ohne je Marketing betrieben zu haben, eine gewisse Fanbase aufzubauen, die das so sieht
Habe mir das angehört und kann wirklich absolut garnicht nachvollziehen, wieso man ihn für "einen der Besten" halten sollte, aber ok.
Über Geschmack lässt sich halt einfach nicht streiten
ist auch schwer auszudrücken, was den Style für mich so besonders macht... es ist auch eine Kombination aus vielen Kleinigkeiten, aber letztlich geht mir einfach die Art wie er Lines formuliert und delivered extrem gut rein und seine Aussagen in deeperen Songs treffen meine Gedanken oftmals einfach 1-zu-1^^
Exakt das was MenzeL sagt. Ist vielleicht auch so ein "Generationending"?! Harry hat einfach die Lines für die Gen Y. Wirkt authentisch und sympathisch aufgrund seiner eigenen inneren Zerrissenheit. Soll er nun Künstler sein, oder Spießbürger? Er bedient diese Nische einfach gut.
Stimme ich voll zu
DerWeiseHai ist übrigens sehr wahrscheinlich Teil der Generation Y ihr Spaßvögel.
Wollte Nix sagen.
Ist ja kein Ding. Muss ja nicht jeder so fühlen oder sein, trotz gleicher Generation.
An manchen Stellen etwas unrund, aber der Junge ist ur-sympathisch und trifft auch bei mir irgendeinen Nerv. Hat ein gutes Gespür für die richtigen Instrumentals. "Lago Maggiore" ist so ein Track, für den ich wohl jeden anderen Rapper hassen würde, ihm kauf' ichs ab, auch die cheesy Hook.
Der Artikel umschreibt ziemlich genau das, was HQ macht und vor allem: wie er' s macht. Warum er' s so - und nicht anders - macht? Und beim nächsten Mal dann wieder ganz anders? Egal. Alleinstellungsmerkmal (einfach mal so rein(p)dissen, oder einfach auch einmal ganz lazy Sommerfeeling --> Lago Maggiore und Retrovibes versprühen --> Nostalgie Inc. hat er sich selbst gesichert. Danke für den klugen, intensiv beobachtenden und HQ beschreibenden Artikel.