laut.de-Kritik
Norma Desmonds Geist schwebt über dem Sunset Boulevard.
Review von Artur Schulz"I'm lost in yesterday", bekennt Helen Schneider. Folgerichtig begibt sich die gebürtige Amerikanerin auf ihrem neuen Album stilistisch auf eine Zeitreise in die sechziger und siebziger Jahre. Im Gepäck: zwölf handwerklich untadelig komponierte Tracks, bei denen das Charisma der Sängerin die besondere Note darstellt. Für die Texte sorgte Helens Freundin Linda Uruburu, die musikalische Umsetzung übernahm der langjährige Gitarrist Jo Ambros.
Dieser Konstellation entspringt ein in sich runder Longplayer, der besonders die stimmlichen Qualitäten Schneiders in den Vordergrund rückt. "Land Of Dreams And Plenty" führt gleich zu Beginn vor, was den Hörer erwartet: handgemachte Sounds und kleine, aber feine Melodiebögen. "Lightyears Away" umschmeichelt mit viel akustischer Gitarre und dezenten Country-Akzenten, ebenso "One Step Closer" und "Tell Me Why".
"I'll See You Once Again" wiegt sich einerseits in gewinnenden Harmonien, doch hintergründig ist die Nummer als düster angehauchter Mitternachts-Walzer angelegt. Auf "Day By Day" kommen Helens Vorzüge als Stimmungsmalerin besonders vorteilhaft zur Geltung, auch wenn "Collective Memory" Musical-Theatralik links liegen lässt.
Ob als Trösterin, Freundin oder Geliebte: Helen Schneider ist und bleibt gleichermaßen ausdrucksstark wie wandelbar. Ihr Markenzeichen, das stetige Anlanden an unterschiedlichsten künstlerischen Ufern, reflektieren die Songs auf "Collective Memory" entsprechend. Auf "Take Me Away" sucht sie selbst nach Trost, sensibel und verletzlich intonierend. In dem mit dezenter Percussion ausgestatteten Stück schleicht sich erneut ein dunkler Moment ein, wenn Helen mit düsterem Tremolo ihr "Tomorrow" haucht.
Wer Uptempo sucht, muss woanders fündig werden: "Collective Memory" spielt sich rhythmisch in erster Linie zwischen Ballade und Midtempo ab. Eine Platte für aufmerksame Genießer also, ausgestattet mit Exkursen in den Folk, und ohne Scheu in den Wäldern des Pop umherstreifend ("Tell Me Why", "Bring The Winter On", "Dreamtime"). Singer/Songwriter-Fans dürfen ausgiebig in klassisch konzipierten Harmonien schwelgen.
Die Resultate mag man unaufgeregt nennen, stets überzeugt jedoch die Intensität, mit der Helen ihre Interpretationen angeht, erfüllt von Wärme und Sinnlichkeit. Mitunter schleicht sich ein theatralisch anmutender Schlenker in den Gesang ein. Dann schwebt wieder der Geist von Norma Desmond über den Sunset Boulevard, als Referenz an die von ihr so erfolgreich umgesetzte Hauptrolle im gleichnamigen Hollywood-Klassiker.
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