laut.de-Kritik
Der beste Platz ist nicht immer an der Theke.
Review von Markus BrandstetterSitzt Henning Wehland als Letzter an der Bar und hört gar nicht mehr auf zu reden. "Ich bin Rocker, Rapper, Hippie. Ich bin frei", behauptet er. Klar, Mann. Bekannt geworden ist der gebürtige Bonner in den 1990ern als Sänger der H-Blockx. Zu MTVIVA-Blütezeiten, liebe Digital Natives, war das die erfolgreichste Crossover-Band der Bundesrepublik. Se Blöcks verkauften 1994 mit ihrem Debütalbum "Time To Move" respektabel viele Einheiten und veröffentlichten später eine anscheinend ulkige Version von "Ring Of Fire" mit Dr. Ring-Ding.
Danach verirrte sich Henning in die Fänge der Söhne Mannheims und sang fortan bei den lustigen Apokalyptikern rund um den allmächtigen, strahlenden und allerhabenen Xavier Naidoo. Wir haben's nicht kommen sehen, er hat doch immer so schön gegrüßt.
Mittlerweile ist Wehland ein gut vernetzter Mann in Deutschlands Musiklandschaft, arbeitet als Manager von Castingshow-Juroren-Acts wie The BossHoss und singt auch schon mal ein Duett mit der mittlerweile ins deutschsprachige Schlagergeschäft gewechselten Sarah Connor. Jetzt macht Wehland solo und dafür hat er sich eine Formel zurecht gelegt. Paar Gitarren, bisschen Hip Hop-Beats, bisschen tiefer Sprechgesang darüber. Heiliger Everlast, bitte für uns. Heiliger Uncle Kracker, bitte für uns.
"Ich bin Erlebnisbuchbinder", singt er, und hält Rückschau. Bisschen betrunken, bisschen den Blues, bisschen altklug, bisschen abgebrüht, bisschen selbstversunken. "Der alte Mann und das Leergut"", die Kerbe bleibt musikalisch die gleiche, textlich wechselt sich Introspektion mit Sozialkritik ("Das Ende Der Welt"). Ist ja kein Anfänger mehr der Mann und hat genug gesehen und genug Jahre auf dem Buckel, um an der Bar auch mal gepflegt darüber zu philosophieren. Nicht ohne Augenzwinkern, dennoch: Meistens klingen die Stücke ähnlich und austauschbar.
Dann wird Wehland zärtlich und bringt eine Ballade. Das wäre nicht schlimm. Sehr wohl schlimm sind lyrische Arschgeweih-Zeilen wie "Dein Herzschlag ist der beste Beat der Welt" – in der Poesie-Ecke unter Aphorismen und Vergleiche, die Sarah Connor sicher tiefsinnig findet. Wenn wir gerade wieder bei Särra sind: Die hört man auf dem Bonus-Track "Bonnie & Clyde". Als der Unsinn mit dem besten Beat der Welt vorbei ist, kommt "Geister", da hält er wieder mit einem Erwachsenengetränk in der Hand Rückschau, und statt Gitarre übernimmt ein Klavier. Wehland stellt seine Gespenster vor: "Da ist der eine, der hat sich nie getraut, und der andere, der sich sein Leben verbaut". Im Anschluss plätschert es, wenn auch nicht gerade auf niedrigem Niveau, dahin.
Bei "Ich Bin Frei" wird's dann selbstreferenziell: "Jetzt ist es vorbei, jetzt ist es zu spät: Möchtegernmessias und Deutschpoet". Bisschen die eigenen Eier schaukeln. Und dann wieder: "Es ist soweit, ich bin bereit: das ist die Botschaft für den Chef der Musikpolizei. Ich bin Rocker, Rapper, Hippie, ich bin frei, frei frei". Ganz am Ende dann ist er immer noch der Letzte an der Bar: "Ich bin der Erste und das Letzte / Manchmal bin ich einfach cool, und für viele der Gehetzte", singt Wehland. Dann erhebt er sein Glas auf die Pisser und die Disser und Wutbürger und Hater und auf die mit aufrechtem Gang. Und auf Gabi, die Klofrau vom Pissoir.
Am Ende von "Der Letzte An Der Bar" haben wir dann eines erkannt: Der beste Platz ist eben doch nicht immer an der Theke.
5 Kommentare mit 5 Antworten
Das Lied mit Frau Connor ist dermaßen grausam, dass selbst Mark Forsters Gülle im Vergleich wie anspruchsvollster AOR klingt.
4 sterne für hgich.t
2 für Wehland
deutschsprachige Musik muss entweder deine Mama f***en wollen oder einfach nur doof sein (manche nennen es lustig) um hier gut weg zu kommen.
Das dieser Everlast und Uncle Vergleich kommen muss war ja klar (gibt ja auch durchaus Schnittstellen) jedoch dem guten Herrn Wehland die Songwriter Qualitäten absprechen zu wollen wirkt unfreiwillig komisch vor allem im Kontext mit der rezi für hgich.t .. 3,5/5 für 4 reichts nicht ganz
Hat wohl damit zu tun, dass hier verschiedene Menschen mit verschiedenen, subjektiven Meinungen rezensieren und vorher kein Wertekanon erarbeitet wird.
Vortrefflich analysiert, mein Freund. Die deutsche Musiklandschaft verkommt zum Puppentheater für das studentische Gesindel, welches just um diese Zeit damit beschäftigt sein müsste, sich durch das Gewitter aus Plastikbierflaschen zur Kaffeemaschine zu manövrieren.
Ich finde es sehr angenehm, in Ihnen einen Gleichgesinnten gefunden zu haben.
Herzlichst, Ihr mittlerer Rechtsgelehrter
Heirate ihn doch, wenn du ihn so sehr liebst.
Hinterwäldlerhumor. Soisseshalt und ich werden gut daran tun, Ihresgleichen zu ignorieren. Gehe ich in der Annahme recht, Soisseshalt?
Herzlichst, Ihr mittlerer Rechtsgelehrter.
Major-Label-Konsens-Geträller von seiner schlimmsten Sorte. Dahinter stecken garantiert die selben sogenannten Songwriter, die den ganzen anderen Scheiß von Bendzko, Catterfeld bis Forster fabrizieren. Verkauft wird es als persönliches Statement.
Wers glaubt...
Aber ... er ist doch der Letzte an der Bar!
Nächstes Album: Das Zweite im Mülleimer
Braucht keiner.