laut.de-Kritik
Direkt aus dem Herz auf die Beats: Landjugend-Idyll mit Graustufen.
Review von Dani FrommWie lange dauert wohl so ein Heilungsprozess? Wie viele Jahrzehnte müssen vergehen, ehe die beiden Hälften eines geteilten Landes wirklich wieder zusammengewachsen sind? Die deutsch-deutsche Geschichte lehrt: Dreißig Jahre haben nicht gereicht. Die Kluft, die Ost und West trennt, erscheint schwerer zu überbrücken denn je.
Dass hier zwei rappende Jungs aus dem allertiefsten Osten gerade dabei sind, zumindest einen wackeligen Steg über diesen großen Graben zu legen, erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Zunächst, so scheint es, arbeiten sich Albert und Pablo an recht starren Gegensätzen ab. Hier, das Hinterland, wo Freundschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl regieren, man mit dem klapprigen Rad zu den Gestaden der Tollense fahren kann, bisschen baden, bisschen feiern, und hinterher die Dorfstraße entlang zurück, um auf der Terrasse dem Sonnenuntergang entgegenzuchillen ... hach. Heimat, halt, umweht vom flüchtigen Duft der Jugend. Wir hatten ja nix, und es war trotzdem irgendwie gut.
Doch das Paradies ist bedroht, der Westen manifestiert sich in Gestalt reicher Schwaben im Tuareg, einem Heuschreckenschwarm gleich gekommen, um die Eigentumswohnungen und alles andere von Wert oder Interesse aufzukaufen. Im Hinterland zurück bleibt das schale Gefühl, ausverkauft, abgehängt und vergessen worden zu sein. Bei den Zurückgelassenen brodeln Unzufriedenheit und Zorn, Gefühle, die sich gerne auch in testosterontriefendem Gehabe Bahn brechen: "Hinterland Athletik", "Hockstrecksprünge", "Vorpommern bleibt Kampfsport", das alles mariniert in Heimatverbundenheit, garniert mit der konservativsten aller Wunschvorstellungen, "will, dass alles bleibt", und serviert im gleißenden Licht roter Bengalos ... Jesses.
Es fiele wahrlich nicht besonders schwer, dieses Album in den ganz falschen Hals zu bekommen. Oberflächlich betrachtet, beackert die Hinterlandgang mit ihrem Landjugend-Idyll damit nämlich die gleiche Scholle, auf der auch Nationalstolz und Wir-gegen-die-Denke gedeihen. Allzu leicht ließe sich dieser Themenmix von rechter Seite aus vereinnahmen. Kein Wunder also, dass die Abgrenzung etwas expliziter ausfallen muss als anderswo, damit wirklich keinerlei Missverständnisse aufkommen: "Nazis spazieren durch die Stadt", beschreiben Albert und Pablo die Realität in der Kleinstadt Demmin, und brüllen ihnen im nächsten Atemzug entgegen: "Wir geben ihnen hier keinen Platz!"
Die beiden zeigen, dass man sich seiner Heimat durchaus verbunden fühlen kann, ohne die Augen vor ihren Problemen zu verschließen, dass man seine Wurzeln in Ehren halten kann, ohne in dumpfe Deutschtümelei zu verfallen. Bestes, wenn auch keineswegs das einzige Beispiel dafür liefert "Demmin". Gut drei Minuten genügen der Hinterlandgang da, um Krieg, DDR, Mauerfall und was danach kam, in einen Song zu packen: ein schonungsloses, dennoch liebevolles Porträt eines Ortes, an dem Träume sterben.
Den heftigsten Treffer landen sie allerdings mit "13 Jahre", das vordergründig auch wieder mit Kontrasten spielt: Der erste Vers zeichnet eine Kindheit in Armut und emotionaler Vernachlässigung nach, der zweite das privilegierte Gegenteil. Das ganze Bild ergibt sich aber erst in der Kombination. Nur wer beide Seiten sieht, versteht, warum die einen so, die anderen ganz anders auf ein und dieselbe Situation reagieren.
Dass es am "Maschendraht" hin und wieder eher holpert als rund flowt, fällt kaum ins Gewicht. Albert und Pablo wirken beide dermaßen echt und unverbogen, als trieften ihnen die Worte ohne Umweg über die Zunge direkt aus den Herzen auf die Beats. An dieser aufrichtigen Unmittelbarkeit liegt es wahrscheinlich auch, dass ihre doch sehr großzügig eingestreuten Gesangshooks nie peinlich und nur selten minimal kitschig wirken, sondern für emotionale Tiefe sorgen.
Ost-West, Stadt-Land, arm-reich ... was zunächst so schwarz-weiß wirkt wie das Coverartwork, birgt doch viel mehr Graustufen, als der erste Eindruck vermuten lässt. Kategorisches Entweder-Oder tauscht die Hinterlandgang doch recht schnell und ziemlich nachhaltig gegen Sowohl-als-auch. Rap oder Gesang? Melancholisch-atmosphärisch vor sich hinklimpernde Instrumentals oder zur Faust geballte Stimmbänder? Nostalgische Tagträumerei oder Abriss? Politik oder Party? Das einzige, das Albert und Pablo davon nicht im Repertoire führen, scheint das Wörtchen "oder" zu sein.
1 Kommentar mit einer Antwort
Hätte nie gedacht, dass ich das mal schreibe, aber verglichen hiermit dann doch lieber Haiyti. Da ist wenigstens in Ansätzen Talent erkennbar
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.