laut.de-Kritik
Zum 70. gibts nur Lieblingslieder.
Review von Dani FrommRunde Geburtstage verleiten dazu, den Blick rückwärts schweifen und das Erlebte und Geleistete Revue passieren zu lassen. Heute, am 14. Januar, feiert Howard Carpendale sein 70. Wiegenfest. Seine Karriere umspannt locker fünf Dekaden, sein Werk Hunderte von Songs. Da kann das mit dem Rückblick schon ein wenig dauern. Dass eine Jubiläums-Best-Of da das gängige CD-Format sprengt, stand zu erwarten.
Wer allerdings eine ergebene Fangemeinde hinter sich weiß, muss die ganze Sortierarbeit wenigstens nicht alleine erledigen: Um für "Das Beste Von Mir" tatsächlich genau das auszuwählen, das seine Jünger hören wollen, ließen Künstler und Label die Käufer in spe einfach selbst über die Tracklist entscheiden. Ein Online-Voting ermittelte die "Fan-Favoriten", die sich nun auf der ersten Hälfte des Doppelalbums versammeln.
Wenn die Masse abstimmt, verwundert es natürlich kein Stück, dass am Ende auch die massentauglichsten und entsprechend bekanntesten Titel die Nasen vorn hatten. An "Ti Amo", "Deine Spuren Im Sand" oder "... Dann Geh Doch" führt bei dieser Art der Auswahl natürlich kein Weg vorbei. Ohne "Tür An Tür Mit Alice", "Fremde Oder Freunde" und natürlich "Hello Again" käme einem eine Carpendale-Best-Of wohl auch kaum komplett vor.
Ganz offensichtlich stehen des Sängers Gassenhauer aus den 1970er und '80er Jahren bei seinem Hörern weit höher in der Gunst als sein aktuelleres Schaffen: "Nah Am Herzen" und "Worauf Warten Wir" von seinem 2015er-Album "Das Ist Unsere Zeit" bilden, auf ihr Entstehungsjahr bezogen, ziemliche Ausreißer. Abgesehen davon pickten die Fans gerade einmal zwei Songs aus dem aktuellen Jahrtausend. Mit nichts anderem musste man rechnen.
Viel spannender erscheint da doch die Auswahl, die Carpendale selbst traf: "Howards Favoriten" auf Platte Nummer zwei schürfen tiefer und fördern dabei nicht ganz so ausgelullte Songs zutage. Den Exoten markiert hier "Piano In Der Nacht". Das klingt mit seinem (Überraschung!) Piano zwar gruselig nach späten 80ern, darf das aber, da von 1989. Alle anderen Tracks sind jüngeren Datums, die meisten tatsächlich erst in den 2000ern aufgenommen.
Statt "Hello Again" wählt Carpendale das inhaltlich ähnliche, aber weit unbekanntere "Hi", der Schattenzwilling von "Wie Frei Willst Du Sein" trägt den Titel "Vielleicht Niemals". Statt mit dem an "Hotel California" erinnernden "Laura Jane" stellt Carpendale sein Talent zum Geschichtenerzähler in "Beverly" zur Schau. "Willkommen Auf Der Titanic" zählt ebenfalls zu seinen Lieblingen. Carpendale begrüßte mit diesem Lied seinen Sohn Cass im Leben: ein guter Anlass, um sich Gedanken über den Zustand des Planeten zu machen.
Der Horizont reicht nämlich durchaus weiter als bis zum Fenster der einsamen Nachbarin aus "Samstag Nacht", auch nicht nur bis ins nächtliche New York City oder bis nach "Durban, South Africa", wie Carpendales "Space Oddity", "Astronaut", zeigt. Klar bleibt alles Schlager. Der Heimeligkeit des Genres zum Trotz schwingt doch immer wieder der eine oder andere sozial- und gesellschaftskritische Ton mit. Leise, zwar, aber so kommt halt manchmal der Sturm.
Dennoch: Hauptsächlich kreist die Carpendale'sche Welt natürlich um Herzensangelegenheiten. Kein anderer Schlager-Interpret liefert so plastische Beziehungsanalysen ähnlich am laufenden Meter. Ein Großteil der Songs dreht sich um die Liebe. Insbesondere auf den Phasen, in denen Beziehungen sich verändern, gerade erst knospen oder schon langsam ausfaden, liegt seit jeher das Augenmerk. Carpendales Textschreiber fassen auch banale Alltagssituationen in Worte, die der Sänger selbst dann derart gefühlvoll, warmherzig und charmant serviert, dass man als Hörer glaubt, gerade Zeuge intimer zwischenmenschlicher Momente geworden zu sein.
Über die musikalische Ausgestaltung wollen wir heute nicht meckern. Nicht am Geburtstag. Den überfälligen Ausbruch aus dem viel zu oft viel zu dröge inszenierten Poprock-Schlager trau' ich Howard Carpendale auch mit über 70 noch zu. Irgendwann macht er das noch, ganz bestimmt. Alles Gute!
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