laut.de-Kritik
"Tangk" haben wir bei den Gitarren jetzt nicht rausgehört.
Review von Franz MauererNigel Godrich und (erneut) Kenny Beats als Produzenten, neben Band-Gitarrist Mark Bowen, das ist mal eine gewaltige Ansage der Idles. Stehen die beiden doch nicht nur für eine gewaltige Schaffensqualität, sondern insbesondere Godrich für eine musikalische Offenheit, die Bands zwar ihren Charakter belässt, aber sich nicht zufrieden gibt mit Labels und selbst gesteckten Genregrenzen. Wie ihre entfernten Verwandten im Geiste, die Viagra Boys, waren die Bristolians immer dann am interessantesten und besten, wenn sie vom Weg abbogen. Nicht nur das gelang auf der Nabelschau "CRAWLER" gut, auch thematisch entwickelte sich die Band vom Parolenhaften weiter. Nur sind Talbots Traumata mit dem Vorgänger halt auserzählt.
Da trifft es sich gut, dass "TANGK", das das Geräusch von Gitarren beschreiben soll, ein so grundlegend anderes Album ist als all seine Vorgänger und zumindest in einem Teil seiner Songs einen bestimmten Aspekt weitererzählt, der deutlich macht, dass die Faulen wie auch die Viagrajungs allesamt von Nick Cave abstammen: die Spannung. Die ständige reelle Gefahr des Zubeißens, das doch immer ausbleibt, aber gleichwohl glaubwürdig bleibt. Im Opener "IDEA 01" ist Godrich an jeder Ecke zu hören und Bowen als sein Advokat fuchste sich mehr denn je in elektronische Spielereien rein, die er sehr organisch in den Bandsound einbaut und diesen wie auf "Monolith" stellenweise aber neu aufbaut. Es spricht für Talbot, dass er sich darauf einlassen kann und bei diesen Songs nicht weniger mitzieht als bei den klassischeren Idles-Songs.
Klassischer insofern, als dass sie mehr Lärm machen (und als Singles ausgekoppelt wurden), wie der zweite Song "Gift Horse", aber ihre Dynamik in die großen Arenen tragen wollen und dabei den grit, den griffigen Dreck, der diese Band auch immer ausmachte, im selben Song liegenlassen. Beginnt "Gift Horse" noch mit einer markerschütternden, sofort tanzbaren Bassfigur, zu der man in den Wald rennen und schwangere Baal-Figuren schnitzen möchte, so hat der Refrain damit leider gar nichts zu tun, sondern verkommt zum schwachen, radioaffinen Grölen.
Dieser Spalt zwischen den die Fläche suchenden Songs und den progressiveren, interessanteren zeigen die Lyrics gut auf: "Gift Horse" ist ein zielloser Rant, "Dancer" haben Franz Ferdinand mit "Michael" schon vor etlichen Jahren interessanter erzählt, inhaltlich sowieso und musikalisch fehlt trotz LCD Soundsystem und gelungenem Riff Tiefe im Sound. Dagegen ist das tolle, hallende "POP POP POP" mit seinem Schlagwort der Freudenfreude (alle Staatsrechtler atmen ein Mal heiß aus und denken an Kompetenzkompetenz) ein nachhaltig eindrücklicher Song, bei dem man mit dem manchmal entrückt-arroganten, aber ja doch charismatischen Talbot wirklich mitfiebert und sich mitnehmen lassen will auf seine Erzählung.
Albumhighlight "Roy" zeigt endgültig, wo die Reise für diese Band hingehen muss. Alex Turner würde mit Freuden töten für diesen Bastard aus Schifferklavier, Gejaule und zitternden Gitarren, der trotz aller Schichten sehnsüchtiger Pop mit der Faust in der Jackentasche bleibt. An der einen oder anderen Stelle fehlt diese Spannung. Sei es im sanften "A Gospel" oder in der dritten Single "Grace". Die lugt in Richtung tanzbarer Shoegaze. Im rabiaten Punker "Hall & Oates" vermisst man sie ganz einfach und hört lieber das dunkel anschwellende "Jungle". Zu diesem würden Mogli und Balou im Londoner Green Park Pilze nehmen und sich zuraunen "There's tears in the curtain/ Like cameos of how I bleed". Man will mehr davon und jedes Lied ohne sie fühlt sich an wie Verschwendung, selbst das wirklich gute, sich im Refrain erbarmungslos prügelnde "Gratitude".
Mit "TANGK" haben Idles bewiesen, dass es überhaupt keinen Grund für sie gibt, an alten Erfolgsrezepten festzuhalten. Sie sind im Gegenteil in der Lage, neue Einflüsse kompetent und bewusst zu verarbeiten. Das Einzige, was hier gewollt klingt, sind die Reminiszenzen auf den alten Sound, niemals das neue, organische Biest, das die Briten sich hier aus den Rippen schnitten.
2 Kommentare
Die verknüpften YouTube Videos sind interessant.
Gleich noch ein Spanischkurs Babel Abo mit anbieten.
Wo bleibt euer Geschäftssinn?
Also mir haben sie besser gefallen, als sie noch richtig wütend waren. Aber ist trotzdem eine gute Scheibe geworden: https://youtu.be/qqi5dOZQyls