laut.de-Kritik

Dieses Album hat keinen Bildungsauftrag.

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Natürlich heißt Ikkimels Album "Fotze" und natürlich erscheint es am Valentinstag. Wer eine Karriere auf "Krawall & Keta" aufbaut, der kann nicht auf halbem Weg den Schwanz einziehen und sich auf einmal mit Rollkragenpullover zu den Schwiegereltern an den Mittagstisch setzen.

Ikkimels Leitsatz lautet weiterhin Provokation. Insofern liefert uns die Berlinerin auch auf ihrem zweiten Album die erwartbare Mischung aus grellen Beats und plumpen Texten übers Ficken und Feiern, die sie mittlerweile zum landesweiten Phänomen machten.

Da steckt nicht besonders viel artistische Finesse dahinter. Wer hier ein ausgeklügeltes Konzept erwartet, hat sich in der Schlange geirrt. Hier steht man für 30min Berliner Nightlife-Abfuck an, mit allem was dazu gehört: Vorglühen mit "Vodka E", Anruf beim Kokstaxi, Orgasmus auf der Bassbox und Orgie auf dem Clubklo. Porno-Rap halt, nur von einer Frau. Was Im Jahr 2025 in Deutschland mancherorts immer noch für einen mittelschweren Skandal zu reichen scheint. Dabei kann man meiner Meinung nach Ikkimels Musik höchstens vorwerfen, dass sie ihr eigentliches Potential oftmals nur ankratzt.

So stand zum Beispiel der Vibe, dass einem Ikkimel eher Comedy-Sketche verkaufen möchte als eine genuin gute Zeit, ihrer Musik bereits in der Vergangenheit mehr als einmal im Weg, und auch hier finden sich immer noch Spuren davon. "Mütter", "Unisexklo" oder "Baddie (feat. Money Boy)" klingen wie Einspieler aus einem Kebekus-Programm, Biss oder Ernsthaftigkeit sucht man vergebens. Nicht nur weil die fast schon cartoonhaften Bumms-Beats ein äußerst wackliges Fundament darstellen, auch Ikkimel rappt hier amateurhaft in einem fast schon ironischen Tonfall, der nahelegt, dass sie das hier eigentlich gar nicht ernst meint. Als solle man dazu jetzt nicht feiern oder ficken, sondern an aller erster Stelle darüber lachen. Weniger Cardi B und mehr "Warum liegt hier Stroh?"

Glücklicherweise bringen die vielen Deep-Cuts der LP ihre Inhalte deutlich besser an den Mann. Lucy & Suena und Barré, die sich für eine Vielzahl der Songs hier an die Regler stellen, weichen gerade in der ersten Hälfte vom bislang typischen Ikkimel-Kirmestechno-Sound ab und deklinieren einmal die moderne Auf-die-Fresse-Palette durch. Auf "Vodka E" wabert ein Chief Keef-Gedächtnis-Beat aus den Boxen, "Oha" schraubt die BPM mit fettem Phonk nach oben, und Songs wie "Amena" oder "Glitzer Glitzer" finden einen versöhnlichen Kompromiss zwischen Trap und Hyperpop, der dem Rap der Berlinerin deutlich mehr Nachdruck und Ernsthaftigkeit verleiht.

Dabei sollte man ohnehin erwähnen, dass Ikkimel mittlerweile auch ganz ansehnlich rappt. Stellen sich einem bei den Flows von "Mütter" noch die Haare im Nacken auf, klingt das auf "Amena", "Böser Junge" oder "Jetzt Erst Recht" durchaus stimmig. "Männer sind so peinlich, warum sind nicht alle Ikkimel? / Ich brauch' 'n Millionär, der mich bumst auf sei'm Tigerfell": Wenn sie ihren Dirty Talk nicht mit einem Zwinkern an den Man bringt, als fände sie es selbst besonders lustig, dass sie gerade Pimmel gesagt hat, dann schwingt da auch tatsächlich etwas emanzipatorische Wut mit, die dieser Art Musik besser zu Gesicht steht als der Versuch einer Parodie.

Die Frage, ob das jetzt alles feministisch ist, führt an dieser Stelle aber nicht zum Ziel. Es ist auf jeden Fall nicht un-feministisch. Ikkimel bringt das auf "Jetzt Erst Recht" eigentlich selbst sehr schön auf den Punkt. "Und ist Ikkimel jetzt überhaupt noch feministisch? Auf einmal tun die kleinen Pisser so, als wärs ihnen wichtig." Die, die diese Kritik für gewöhnlich am lautstärksten vorbringen, sind dieselben, die sich privat einen Scheißdreck drum kümmern. Dieses Album hat keinen Bildungsauftrag. Man kann das auf musikalischer Ebene (hier und da auch nicht zu unrecht) ziemlich dürftig finden, aber wer den Inhalt eines stupiden Clubalbums genauer unter die Lupe nimmt als die eigenen moralischen Grauzonen, der geht intellektuell wirklich auf dem Zahnfleisch. Man kann sich nicht mit der linken Hand zu Gangbang-Pornos einen runterholen, und mit der rechten den Zeigefinger in Richtung dieses Albums erheben.

Insofern stellt sich vielmehr die Frage, wie gut denn "Fotze" als ein solches Club- und Partyalbum funktioniert. Die Antwort darauf ist allerdings gar nicht mal so einfach. Manche Songs wie das unerträgliche "Drei Fotzen Mit Nem Bombenarsch", dessen "Drei Chinesen Mit Nem Kontrabass"-Parodie sich irgendwo zwischen den Lochis und der Pornhub-Startseite einpendelt, oder die bereits mehrfach erwähnten "Mütter" und "Baddie" machen keinen Spaß. Das ist Musik zum Augenrollen, die man einmal hört und über die Absurdität des Ganzen schmunzelt, und danach nie wieder.

Andere Songs hingegen lösen das exzessive Hedonismus-Versprechen dieser Art Musik erstaunlich gut ein. "Jetzt Erst Recht" und "Wellness" klingen zum Beispiel so, wie Ski Aggu denkt, dass seine Musik es tut. "Glitzer Glitzer", "Amena" und "Böser Junge" entführen gekonnt die Y2K-Ästhetik in den Swingerclub, und "Oha" haut einem einen akustischen Drogencocktail um die Ohren, der einem im Vorbeigehen die Klamotten vom Leib reißt. Sobald die Provokation nicht mehr an vorderster Stelle der Musik steht, geht Ikkimels Konzept, dass dieser Lebensstil Laune macht, plötzlich wie von selbst auf.

Und dann ist da ja noch "Herz Zurück". Der Closer, der beim Blick in den Spiegel nach einem Wochenende Berghain die Kunstfigur nicht mehr wiedererkennt. Da holt Ikkimel auf einmal die Akustik-Gitarre raus und singt eine Kiezballade, die den Kater mit offenen Armen begrüßt. "Und wenn du sagst, du willst mein Herz zurück, sag ich: Ich weiß nicht, wo es ist." Ein fast schon deprimierendes Stück Selbstreflektion, das dieses Album nicht mal gebraucht hätte, auch weil es musikalisch etwas flach ausfällt.

Dennoch setzt es einen Schlusspunkt, der Ikkimel ultimativ als eine Künstlerin etabliert, die allen lachhaften Empörungen, aber auch der berechtigten Kritik zum Trotz Deutschrap unterm Strich gut tut. Es ist nicht so, als würde das Patriarchat von heute auf morgen plötzlich auseinanderfallen, einfach nur weil dieses Album existiert, aber es ist schön, einen Gegenpol zum alltäglichen Schwanzvergleich zu haben, der diesen Rollentausch nicht nur tatsächlich nach Spaß klingen lässt, sondern auch beweist, dass unter all dieser pinken Muskelmasse tatsächlich noch ein Herz schlägt.

Trackliste

  1. 1. Vodka E
  2. 2. Oha (feat. Lil London)
  3. 3. Shemlord
  4. 4. Amena
  5. 5. Mütter (feat. Pintendari)
  6. 6. Unisexklo
  7. 7. Wellness
  8. 8. Jetzt Erst Recht
  9. 9. Glitzer Glitzer
  10. 10. Baddie (feat. Money Boy)
  11. 11. Drei Fotzen Mit Nem Bombenarsch
  12. 12. Böser Junge
  13. 13. Herz Zurück

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10 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor einem Tag

    3 Sterne für diese Kebekus-"Skills"?! Wenn sowas "Deutschrap unterm Strich gut tut", dann ist er quasi klinisch tot, mal sagen. Und das Cover hat was von Majoes Debüt.

    • Vor einem Tag

      Deutschrap ist schon ziemlich am Ende.
      Oder kann mir hier jemand, außerhalb des unermüdlichen Rokko W., irgendeinen Interpreten nennen, den es lohnt zu hören?

    • Vor einem Tag

      Würde BLD nicht ab und zu nen Track für Toddler droppen, wär Deutschrap schon längst mumifiziert.

    • Vor einem Tag

      @fonzy:
      Keemo
      Kuchenmann
      PLH
      OG Lu
      Crew Commune
      Die P
      Kamikazes

    • Vor einem Tag

      Waving the Guns
      Prezident
      Vandalismus
      Morlockk Dilemma
      Hiob (Hoffnung stirbt zuletzt)
      Tom Hengst & Said (jeweils wenn Brenk Sinatra produziert)

      Klinisch tot stimmt trotzdem irgendwie. Das letzte richtig gute Album kam Anfang 23, auch wenn ich bei der Crew Commune Potenzial sehe ;)

    • Vor 23 Stunden

      Grim104
      Soufian
      Kamp
      Döll (manchmal)
      und, und und

    • Vor 23 Stunden

      Hmm, weiß nicht.
      Mir ist es immer wichtig, dass ein Küstler auf Albumlänge funktioniert.
      Morlokk konnte das immer sehr gut, den sehe ich mittlerweile aber über den Zenith und von Hiob wird sicher nichts mehr kommen.
      Keemo und Prezi traue ich das noch zu, wobei das letzte Prezi Tape leider Grütze war und bei Keemo befürchte ich fast, dass er sich auserzählt hat, zumindest was seine persönliche Geschichte angeht, aber Hoffnung ist noch da, je nachdem wie weit er über den Tellerrand gucken kann.
      Presslufthanna, Said, Tom Hengst und Waving the Guns taugen für einzelne Tracks, das reicht mir leider nicht.
      Kuchenmann finde ich arg langweilig und Vandalismus ist mir zu experimentell geworden.
      Den Rest kenne ich nicht, da höre ich gerne mal rein.

  • Vor einem Tag

    ist in einem Jahr hoffentlich wieder weg

  • Vor 19 Stunden

    Die Kommentare spiegeln genau das wieder wofür laut User von außen belächelt werden und das zurecht.