laut.de-Kritik
Manche dieser Nummern können vor Kraft kaum laufen.
Review von Philipp KauseIn den 2000ern zogen Berlin und Leipzig junge Menschen aus Süddeutschland an. Die Mieten günstiger, das Leben hipper - go East! 'Go West' lautete der Ruf für New Yorker Joe Bonamassa, dem die Mieten in der Heimat zu teuer wurden. So brach er einst nach Los Angeles auf. Dort steht die Hollywood Bowl. Mit Symphonieorchester zieht er dort jetzt ein. Und weil schon Jimi Hendrix die Akustik für ein Live-Album zu schätzen wusste, ließ auch Bonamassa seinen Auftritt mitschneiden.
Bisher fand ich immer alles gut, was der elegisch-elektrische Gitarrenheld anpackte. Neben der Unmenge an eigenen Studio-, Cover- und auffallend vielen Live-LPs begrüße ich auch, was er mit Kollegen und Kolleginnen wie Joanne Shaw Taylor und Marc Broussard auf die Beine stellt und wie er sie motiviert. Sein musikalisches Repertoire-Wissen beeindruckt, die Abmischung seiner Scheiben ist ein HiFi-Genuss, es gibt viel zu loben. "Live At The Hollywood Bowl" gehört leider nicht zu seinen Ruhmestaten.
Für die "One Door Overture" sollte man ausgewiesener Fan von Gustav Mahler und Franz Liszt sein. Anderenfalls gerät das Breitwalzen-Intro in den Ohren zur Qual. Die Streicher schmieren die 'Achtung, es ist Klassik! Es ist groß!'-Lackierung um einige Schichten zu dick auf, und es gibt beim Schmieren auch Probleme: Eine Anlaufschwierigkeit, so wie wenn man zu kühl gelagerte Butterblöcke verstreichen will. Das Instrumental-Intro wirkt, wie vieles hier, schulmeisterlich, streng nach Vorschrift des Lehrplans abgearbeitet. Lust auf Blues weckt dieses betont alles richtig machen wollende Abmühen überhaupt nicht.
Für "Curtain Call" recycelt der Blue Notes-Anführer der Pop-Charts Led Zeppelins "Kashmir", jedenfalls die Art, wie man cinematoskopisch klingt, Breitwand-Effekt in den Sound einflößt. Von der überwältigenden Elektrizität, die Led Zep vormachen, verbleibt bei Joe jedoch nur manch beherzter Tusch der Hi-Hat. Wie alle Tracks hier zeigt sich die Nummer durchgehend lärmig und mit ihrer eigenen Größe ringend, kann dann aber vor Kraft kaum laufen.
Gitarren-Soli wandeln sich vom kathartischen Aufschrei, wie man sie sonst bei Hart, Trout, Popovic, Bonamassa und der ganzen Szene gewohnt ist, zu Verzierungen: Hier ein Schlenker im überlangen symphonischen Dickicht, dort ein technischer Beweis eigener Spielfähigkeit in der zu Tode gespielten Endlos-Schleife.
Ein einziges Solo weckt Aufmerksamkeit, indem es wirklich eine Schippe aufs reine Abhaken der Aufgabe drauf legt: In "Prisoner" ab Minute 6:22. Der Mental Health-Titel "Self Inflicted Wounds" rutscht hingegen ins Seichte. Als mieser Kompromiss aus dem Kopfhörerprogramm eines Massagesessels (Menütaste 12B, acht Minuten Lounge mit Bergzauber-Atmosphäre) und der unverbindlichsten aller vorstellbaren Sting-Schnulzen und Clapton-Säuseleien.
Das bestialisch gut georgelte "No Good Place" bietet deutlich mehr Widerhaken. Hier steigt der Anteil an gesangloser Instrumental-Darbietung beträchtlich (und so dolle ist der Gesang ringsherum eh nicht). Trotzdem werde ich den Eindruck nicht los, dass der Wohlklang so sehr selbstverliebt und Selbstzweck ist wie bei mancher Jazzfusion, aber überhaupt keine Geschichte und keine Emotion hinter der Musik steckt.
"Live At The Hollywood Bowl" überträgt den alten Spruch übers Zeitungsgeschäft auf die Rock-Bühne, 'over-newsed, but under-informed'. Vieles tut so, als ob es wichtig wäre und mal mit Flöte, mal mit Hörnern auf spannende Ereignisse hinweist. Doch nie weiß man im Klangstrudel, worum es gerade geht und was wirklich hinter den Stücken steckt. Sie sind Hüllen, teils sentimental ("The Last Matador", "Heartaches"), mal in Soundtrack-tauglicher Wildwest-Romantik ("John Henry"). Langeweile beherrscht hier alles.
Da richtet sogar das Jethro-Tull-Imitat "Ball Peen Hammer" dann nicht mehr viel aus, auch wenn zumindest dieser Song mal kompakt bleibt und nicht ins Übergrößenformat schlüpft. Das noch frische Cover "24 Hour Blues" aus dem letzten Studiowerk mit seinen eleganten Soul-Harmonien sticht als einziges Beispiel für Mitteilungsfreude und einen nicht zu manieriert klingenden, heiß geschmiedeten Selbstläufer heraus.
Für die überwiegend sedierenden Arrangements zeichnen drei Altgediente verantwortlich. Trevor Rabin kennt man von Yes. Er verdient sich seine Brötchen seit langem mit Film- und Serienmusik, zum Beispiel für den ersten Teil der "Exorzist"-Trilogie. Jeff Bova arbeitete in den Eighties als Keyboarder für Cyndi Lauper. In den '90ern produzierte er Celine Dion. David Campbell war Dirigent des Openers auf Leonard Cohens letztem Album. Er kümmerte sich 2022 um die Arrangements auf Beth Harts Led Zeppelin-Album und fügte 2023 die Streicher zu "Hackney Diamonds" von den Stones hinzu. Insgesamt wirken 20 Streicher und 15 Bläser an "Live At The Hollywood Bowl" mit. Der Aufwand war vergebens.
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