laut.de-Kritik

Solider Blues trifft auf Seventies Vibes.

Review von

"Been all the way around the world, there and back again a time or two. That road that leads me home brings me back to the blues." So wie der Protagonist des Openers ist auch Joe Bonamassa selbst mehrmals um die ganze Welt gereist. Doch egal, wohin es ihn verschlägt, er findet immer wieder zum Blues zurück. Die Songs in "Tales Of Time" handeln von all den Dingen, die einen den Blues fühlen lassen. Dazu gehören natürlich der viel besungene Trennungsschmerz ("Known Unknowns"), Krieg ("Curtain Call"), gemeine Leute ("Questions And Answers") und das Vagabundenleben im Allgemeinen ("Notches").

Das Intro zum Opener "Notches" bringt einen Hauch Mystik und eine gewisse Ehrfurcht in die Runde. Mit sanfter Bestimmtheit begleiten Percussion-Klänge ein Zitat aus Khalil Gibrans "Der Prophet", gelesen von Deepak Chopra: "We wanderers, ever seeking the lonelier way, begin no day where we have ended another day; and no sunrise finds us where sunset left us. Even while the earth sleeps we travel (...)". Bonamassas Les Paul meldet sich zu Wort, stimmt ein pentatonisches Riff an, das die Zuhörenden zunächst trügerisch einlullt. Plötzlich steigt der Rest der Band unter lautem Jubel des Publikums ein.

Das Live-Album "Tales Of Time" besteht aus Mitschnitten eines Konzerts im Sommer 2022 in Colorado. Die mitreißende Show fand vor der Kulisse des Red Rocks Amphitheaters in den Ausläufern der Rocky Mountains statt. Die Setlist bestand zum Großteil aus Songs des Studioalbums "Time Clocks" (2021). Zwei Ausnahmen bilden die Tracks "Just 'Cos You Can Don't Mean You Should" und "Evil Mama", die beide auf dem Album "Redemption" (2018) erschienen.

"Tales Of Time" ist ein Hörerlebnis, das häufig mit abwechslungsreicher Dynamik spielt. Mal wird alles still und Bonamassa scheint alleine auf der Bühne zu stehen. Seine cleane E-Gitarre dudelt vor sich hin. Dann steigt wieder die ganze Band ein und lässt die schlichten Kompositionen mit Fulminanz eskalieren. Hier sticht besonders Schlagzeuger Calvin Turner mit seinem selbstbewussten Beat hervor. Mit Hammond-Orgel und überschwänglichen Background-Sängerinnen im Stil von Dylans Shot Of Love-Platte geht Joe mehrmals auf Exkurs in die 70er.

Auch wenn sich Bonamassa hier und da zu klanglichen Experimenten hinreißen lässt, bleibt der gute alte Bluesrock die Substanz, die allen Tracks zugrunde liegt. Wer einmal in Bonamasas Bluesstrom eintaucht, kommt so schnell nicht wieder raus: Keiner der Tracks unterschreitet eine Länge von fünf Minuten, der Durchschnitt liegt deutlich darüber. Mit fast zehn Minuten liegt "Notches" ganz vorn.

Der zweite Track "The Heart That Never Waits" holt das Publikum nach dem zeitintensiven Opener mit einer erfrischenden Hook ("Time Is A Healer") ab. Auf den ermunternden Track folgt das marschierende Intro von "Curtain Call" mit Streichern und einem tighten Schlagzeug-Intro. Bonamassa singt von der Grausamkeit des Krieges, während seine Gitarre einen Sirenenalarm nachahmt: "This is the march of a broken soul".

Die Backgroundsängerinnen Jade MacRae, Danni DeAndrea and Mahalia Barnes laufen in "The Loyal Kind" zu Höchstformen auf. Der Song hat neben Bonamassas shreddender Gitarre und Turners ausdrucksstarken Drums ein mittelalterliches Flöten-Intro zu bieten. Auch das Beginn von "Time Clocks" überrascht mit einem sommerlich-vergnügten Riff. Der melancholische Text bildet jedoch einen Kontrast zur scheinbaren Leichtigkeit: "Hard as hell to get up in the morning."

Im abschließenden Track "Evil Mama" wummert der Bass motorhaft vor sich hin. Während Gitarre, Drums und Hammond-Orgel alles wegfegen, was nicht niet- und nagelfest ist. Das alles könnte etwas besser abgemischt sein. Insbesondere Joes Stimme klingt manchmal etwas dumpf, während einzelne Instrumente entweder in der Masse untergehen oder ungewollt hervorstechen. Der Funke des energetischen Live-Konzerts will überspringen, schafft es in letzter Konsequenz jedoch nicht. Wer den Band-Sound in vollem Umfang genießen will, dem bleibt nur eine Möglichkeit: Tickets kaufen und hingehen.

Trackliste

  1. 1. Notches
  2. 2. The Heart That Never Waits
  3. 3. Curtain Call
  4. 4. Mind's Eye
  5. 5. Questions and Answers
  6. 6. The Loyal Kind
  7. 7. Known Unknowns
  8. 8. Time Clocks
  9. 9. Just 'Cos You Can Don't Mean You Should
  10. 10. Evil Mama

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Hab mit Joe schon immer ein Problem: Ein absolut großartiger Techniker mit hochgradig fundiertem Musik-Wissen - leider merkt man spätestens bei seinem Gesinge, dass man es mit einem selbstzufrieden aufgewachsenen Weißbrötchen ohne den nötigen Spirit zu tun hat.... Beim Gesang scheint langsam das Alter zu helfen und doch: Großartige Musik, die trotzdem wenig bleibende(n) Begeisterung/Eindruck hinterlässt. 3/3