laut.de-Kritik

Endlich wieder Punchlines für die Deleuze-Lesegruppe.

Review von

Ein guter Studentenrapper hasst nichts mehr als Studentenrap. Da führt kein Weg dran vorbei. Auch kluge Brezelbrüder von der Uni wollen rappen, machen sich dann aber üblicherweise schnell damit verrückt, dass es irgendwie inhärent cringe ist, dass sie rappen. Man rappt eben, weil man sich fühlen will, nicht, um seine Privilegien zu checken, schätze ich. Und so landeten bislang viele eigentlich coole Artists irgendwann auf der Pipeline von "depressiver Alkoholiker liebt MF DOOM und verkackt sein Studium"-Rap zu "ich bin Anfang dreißig, alle meine Freunde arbeiten in Agenturen, meine Freundin findet meine alten Texte irgendwie kritisch und deswegen ist alles, was ich mache sehr, sehr, sehr ironisch"-Rap. Unnötig zu sagen, zumeist sind die alten Alben besser.

Der DLTLLY-Sonderling Joseph Steinschleuder hat einen neuen Weg aus diesem Studentenrap-Paradox gefunden. Sein extrem untergründiges zweites Tape mit dem unser Redaktionssystem überfordernden Emoji-Titel ist nicht weniger ironisch und verschämt als andere Studentenrapper. Aber er macht aus der Not eine Tugend und faltet die siebenundzwanzig Schichten Ironie, auf denen er textet, zum Lampenschein der Kugel der Verwirrung zusammen. Heraus kommt irgendetwas zwischen Vintage-Edgar Wasser und dem Nepomuk - und ein Mixtape, das es endlich wieder schafft, wirklich völlig unvorhersehbar zu texten.

Nein, im Ernst, ich könnte diesem Mann die Füße dafür küssen. Denn am Ende des Tages gibt es doch genug Leute, die damals auch den Retrogott geil fanden, die nichts anderes wollen, als dass jemand über guten BoomBap interessant-absurdes Zeug redet. Und doch gibt es so wenig Rapper oder Rapperinnen in diesem Land, bei denen man verlässlich weiß, dass es sich lohnt, in einem Part zuzuhören. Steinschleuder hat dieses Vertrauen mit seinen beiden Tapes eisern verdient. Man sieht nie kommen, wohin seine Bars gehen - und mehr als ein paar Mal wird man eiskalt erwischt.

Er rappt zum Beispiel diese Lines hier: "Ich bin stabiler Mazedonier wie Alexander der Große / Dein Weed ist so scheiße, davon kriegen nicht mal Neunjährige eine Psychose / Manche von euch haben zu viel Deleuze und Guattari gelesen / Bei uns in der Straße arbeitet die Organmafia das der organlose Körper gewesen" - und das rappt er dann über einen Beat, über den sonst Rio Da Yung OG oder Babytron gegangen wären, halb-offbeat und in brachialem Tempo. Aber der Punchlines-or-else-Stil steht ihm wunderschön zu Gesicht.

Ganz ehrlich? Diese ganze Review könnte meinetwegen nur aus Zitaten bestehen und ich glaube, es wäre überzeugend genug, um Joseph eine Chance zu geben - oder dem weit fernzubleiben, je nach Typ. "Mein Opp hat eine schwere Scheidung hinter sich, ich bekam Mitleid und hab' ihn erschossen - Brrrrr". "Ich fahr durch das Land wie ein Noir-Detektiv aber bin nicht Frank Witzel / Du schreibst ein tolles Buch über Klassismus ich les es nicht was interessiert mich Gesindel". "Die Bademeister schlagen Wurzeln in meinem Becken / Apropos: Wer hatte noch einen Crush auf Larry die Krabbe? Sie haben gebadet Unterwasser, du Qualle!". Entschuldigt mich, noch ist kein Deutscher so nah an RxkNephew gekommen und es macht mir Freudentränen.

Trotzdem scheint mir der Retrogott-Vergleich textlich wahrscheinlich der sinnvollste zu sein: Denn auch Joseph hat diese großartige Fähigkeit zur Uneindeutigkeit. Er hängt nebulös verknüpften Gedankengängen nach, kann von einer Punchline auf die andere kommen, plötzlich kurz ehrlich deep werden, nur um einen klugen Gedanken zwei Lines später wieder völlig ins Absurde aufzulösen und sich darüber lustig machen, dass er sich angemaßt hat, etwas klug zu finden. Dabei ist sein Nummer-Eins-Target natürlich die ganze Zeit er selbst, er zeichnet das Klischee-Studenten-Hänger-Leben mit einem Level an Detail, das klar macht, dass er selbst lebt oder gelebt hat. Seine Wut, alles in eine Ebene unter Null zu dekonstruieren, wird dann in den Untertönen regelmäßig ziemlich selbstgehässig und nihilistisch, was um so härter hittet, weil der Ton die ganze Zeit eigentlich albern und beiläufig klingt. Aber insgesamt liefert das Album doch eine ziemlich komplexe Charakterisierung seines Protagonisten.

Nirgends funktioniert das besser als auf dem drittletzten Track "Pudel", auf dem er eine ziemlich authentische Lebensgeschichte erzählt: Vom naturwissenschaftlichen Gymnasium, auf dem sich keiner für Retrogott oder MF DOOM interessiert hat, zu Mixtape-Fantasien mit einem Kumpel, die sich nie realisiert haben. Klingt alles schon nicht glamurös genug, aber es reicht natürlich nicht: Am Ende haut er sich noch einmal selbst in die Pfanne. "Und dass du MF Doom und Retrogott gehört hättest? Digga, du hast 257ers gehört, ich bitte dich, Alter - und wie du das noch so pathetisch vorgetragen hast". Und natürlich hängt immer die größte Angst mit dabei: "Auf der einen Seite will ich auch fame und reich sein / Auf der anderen Seite nicht, ihr versteht, was ich meine / Plus der Weg dahin ist peinlich".

Alles ist peinlich. Joseph Steinschleuder belebt dieses selbstzerstörerische Subgenre des Studentenraps ironischerweise in seinem Defeatism wieder. Aber auch, wenn es alle Selbstzweifel aggressiv thematisiert, auch, wenn es Beat-technisch über den Tellerrand in Richtung Detroit schaut, habe ich doch das Gefühl, dass das Tape mit dem Namen aus tausend Emojis nicht versucht, etwas anderes als Studentenrap zu sein. Es ist ein vierzigminütiges, superseltsames Traktat wirrer, aber guter Gedanken. Es ist eine lange notwendige Verjüngung von Punchlinerap aus den alten, verkrusteten Mustern - und ich bin mir sicher, dass es sich über kurz oder lang als ein Untergrund-Geheimtipp etablieren wird.

Trackliste

  1. 1. Skorpion
  2. 2. Schlange
  3. 3. Rucksack
  4. 4. Detektiv
  5. 5. Wolf
  6. 6. Zombie
  7. 7. Zombieninja
  8. 8. Fischfahne
  9. 9. Nicht Rauchen
  10. 10. Pokal
  11. 11. Symbol 1
  12. 12. Symbol 2
  13. 13. Symbol 3
  14. 14. Pudel
  15. 15. Keks
  16. 16. Opa

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3 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor einem Tag

    Alles schön und gut, aber leider... können wir auch über Stimmfarbe und -einsatz sprechen?

    Das hat bei mir unwillentlich und überraschend stark Zeilen aus "Auf uns ist Verlass" von Curse & Tone aus dem Langzeitgedächtnis ins Bewusstsein gezerrt, und das kann doch nun wirklich niemand wollen...

  • Vor 23 Stunden

    Leider hat der Dudi nicht viel Lungenkapazität.
    Nach jedem zweiten Wort hört man ein „hhhhh“ und das ist genauso abtörnend wie diese hohe Streberstimme. Schade.

  • Vor 18 Stunden

    Hater geben ne 1/5, aber ganz ehrlich alter wenn ihr nur 1 Tag in seinen Schuhen laufen würdet, nur einen Tag sein Leben leben, ihr würdet euch denken: Alter das ist so einfach und angenehm. Digga wie einfach und angenehm kann das Leben sein