laut.de-Kritik
Weit gegangen und doch geblieben.
Review von Benjamin Troll"Schon doll, was man zu dritt für einen Krach veranstalten kann", hörte ich meinen Kumpel und Metal-Connaisseur anerkennend sagen, als er mit erstauntem Kopfnicken dieser Band Kadavar zuhörte, die er eigentlich gar nicht toll finden wollte. Die Berliner hatten gerade ihr bis dato heftigstes Werk "Rough Times" veröffentlicht. Zu referenziell, zu clean, zu hip, lautete die Kritik, die den Wahlberlinern bis dahin oft vorgeworfen wurde, der Album gewordene Kommentar auf die harten Zeiten brüllte bitterböse und unaufhaltsam rollend zurück.
2025 ist die Welt eine andere, auch Kadavar haben sich weiterentwickelt. Gestutzt sind nicht nur Bärte und Haare, sondern auch der Einsatz von übermäßigem Strom im Gitarrensegment. Durch den Einstieg von Odd Couples Jascha
Kreft ist das Trio zum Quartett geworden und wer sich etwas mit dem Katalog des seltsamen Pärchens auskennt, dürfte sich gleich gedacht haben, dass der Mann den Weg vom Proto zum Prog unterstützen würde. War man bereits auf "The Isolation Tapes" in die Welt der Synthies vorgedrungen, sind diese auf "I Just Want To Be A Sound" deutlich prominenter gesetzt.
Auffällig ist vor allem die andere Grundstimmung der Scheibe. Schon das Artwork überrascht mit geradezu überbordendem Farbeinsatz und gibt damit den passenden Vorgeschmack. Weniger dunkel und geheimnisvoll, stattdessen blühend und geradezu euphorisch präsentiert sich die vierte Platte in den ersten Minuten. Moment mal, war das gerade ein Dur-Akkord? Der titelgebende Opener legt eine erfrischende und positive Marschrichtung vor, ohne dabei an gewohnter Kraft einzubüßen. Die interessante neue Ausrichtung der Berliner kommt auch auf Songs wie "Let Me Be A Shadow" oder "Strange Thoughts" zur Geltung. Keine cleanen und braven Synthie-Sounds, sondern mal leiernde, mal raue und krächzende Töne verleihen den Songs eine ungehobelte Stimmung.
Man fühlt sich fast etwas an Indie Pop oder Trip Hop aus den 90ern erinnert. Kombiniert mit teils verschrobenen Rhythmen entwickeln Kadavar auch im neuen Gewand ein eigenständiges Profil. Die Verwurzelung im härteren Segment des Rock hört man dagegen Nummern wie dem eindringlich stampfenden "Hysteria" oder dem treibenden "Regeneration" an. Darauf entwickeln Kadavar ihr bewährtes Rezept dank des ein oder anderen ausgefeilten Details weiter, verzichten aber ein Stück weit auf die Bedrohlichkeit früherer Nummern.
Etwas Schmackes für die großen Bühnen liefert Gitarrist und Sänger Lupus mit "Scar On My Guitar", einer Ode an seinen viel geschundenen Sechssaiter. Dem Text nach zu urteilen, hat das gute Stück in all den Jahren einiges mitmachen müssen, sein musikalisches Denkmal erweist sich mit eingängigem Pop-Appeal und einem der seltenen Soli als absolut würdig. Den Bogen zurück zum beinahe meditativen Vorgänger-Werk "The Isolation Tapes" schlägt der Vierer mit der Entdeckung repetitiver Synthie-Patterns. "Sunday Mornings" ist eine kleine, feine Ballade mit Sounds und Rhythmik, die auf einem Björk-Album nicht fehl am Platz gewesen wäre. "Truth" wischt nicht nur lyrisch die Tränen der Vergangenheit weg, sondern klingt auch durch die akustisch verbreitete Aufbruchstimmung wie eine friedvolle Abrechnung mit früheren Geschichten.
Das grandiose "Star" macht mit hallbeladenem Klang und Lupus' mehrstimmigem Gesang dem Label Space Rock alle Ehre. Den Kreis schließen Kadavar mit dem Opus "Until The End", einer Ode an die Zeit der großen Experimente. Die hier aufgebaute, undurchdringliche Soundwand löst sich in ein sanftes Zwischenspiel auf, um im Grande Finale noch einmal das Eröffnungsthema zu zitieren. Die späten Beatles hätten ihre helle Freude gehabt.
Kadavar liefern mit "I Just Want To Be A Sound" einen harten Richtungswechsel, der einigen alten Fans sicherlich vor den Kopf stoßen dürfte. Dabei verlieren sie den bisher gegangenen Weg nicht aus den Augen. Wer sich traut, den Kopf still zu halten und den neuen Pfaden zu folgen, wird mit einer außergewöhnlichen Scheibe belohnt, die endgültig beweist, dass Kadavar mehr sind als eine x-beliebige Retro-Stoner-Band.
2 Kommentare
eine rezession (kenner wissen) zu lesen und danach in keinster weise mir vorstellen kann, wie die band klingt, macht sehr gut deutlich, was ich für laut.de empfinde... nämlich innige liebe
:♥
Gefällt tatsächlich. Nur den meisten Fans von denen wohl absolut nicht. Die punkigen Momente jucken eher wenig, aber an manchen Stellen kommen sie rüber wie eine moderne Hawkwind-Inkarnation. Das macht den Kitsch wieder gut.