laut.de-Kritik

Ist das die multikulturelle Girlgroup-Revolution?

Review von

Einst waren Boygroups und Girlgroups der absolute Goldstandard der westlichen Popmusik. Das Format produzierte Hits am Fließband und Geld wie Heu und wurde als Struktur ein Exportschlager. Aber als die Zehnerjahre die Musikindustrie darben ließen und authentische, individuelle Performer den amerikanischen und europäischen Popmarkt eroberten, gab es plötzlich kaum noch Nachfrage und im Umkehrschluss kein Budget mehr, so aufwändige Produktionen auf die Beine zu stellen. Plötzlich waren es die Koreanerinnen und Koreaner, die das Bedürfnis nach gigantischen Popgruppen stillten. Mit dem Verebben von Little Mix und One Direction hielt Südkorea plötzlich das ganze Monopol über den Idol-Pop-Markt. Und das inzwischen so fest, dass sie beschlossen haben, dem Rest der Welt ihre Idols zurückzuexportieren.

Es gab schon ein paar Versuche von sogenannten "internationalen K-Pop-Gruppen", aber Katseye ist die erste, die zu funktionieren scheint. Wir haben Mitgliederinnen mit Wurzeln in der Schweiz, den Phillipinen, Indien, Lateinamerika, den USA, China, Südkorea und Schweden - und filtern sie alle durch die K-Pop-Maschinerie für so etwas wie das Beste aus beiden Welten: Wir haben die Disziplin, die Fan-Bindung und die Effizienz des K-Pops, dabei aber Idols, die offen queer sein können, in ihren Songs fluchen dürfen und ehrlich gut darin sind, wie sehr normale Teens aus der Gen Z zu wirken.

Es fällt also nicht schwer zu verstehen, warum viele Fans schnell Gefallen am Konzept von Katseye gefunden haben. Es wirkt wie die Zwanziger-Version von Fifth Harmony - und spätestens der Song "Gnarly" hat sie global auf die Karte gesetzt. Aber auch wenn der auf ihrer neuen EP immerhin ein solides Ausrufezeichen setzt, zeigt "Beautiful Chaos" doch, dass ihr Sound eventuell noch nicht ganz so weit ist wie ihr Image.

Wir haben hier fünf überaus hörbare Tracks vor uns. Jeder einzelne von denen ist nach Genre-Standards hervorragend produziert, sie klingen wertig, die Mixdowns stimmen, es macht Spaß. Nur schält sich aus diesen fünf Tracks noch überhaupt nicht heraus, was diese Tracks zu Katseye-Tracks macht. Ein bisschen kranken sie am Rihanna-Syndrom, die während ihrer Karriere als Performerin auch diese Eigenschaft hatte, sich sehr an die Qualitäten ihrer Songwriter und Songwriterinnen anzupassen. Damit so ikonisch und erfolgreich zu werden, erfordert eine Hit-Dichte, an die "Beautiful Chaos" einfach noch nicht heranreicht.

"Gnarly" ist offensichtlich der prägnanteste Song. Das ist ein bretternder Hyperpop-Tune aus der Feder von Alice Longyu Gao, einer queeren Songwriterin, die als zweiter Act nach 100 Gecs auf dem Dylan Brady-Label gesignt wurde. Alice hat einen super-spezifischen und hyperironischen Ton. Sie hat Alben, die sie "Let's Hope Hetereos Fail, Learn & Retire" heißen - und man hört ihre Stimme uncanny durch den Song heraus, wenn man sie kennt. Und das ist ebenso seltsam wie es großartig ist. Zum Vergleich: Diese sehr unorthodoxe und sehr eigenwillige Songwriting-Stimme durch eine K-Pop-Gruppe gefiltert zu hören, fühlt sich ein bisschen so an, als würde Momo von Twice einen Song mit "hey, you little pissbaby" anfangen. Zumindest fühlt es sich für mich so an, wenn Lara und Yoonchae die Lines "making beats for a boring, dumb bitch" und "jealous of my mansion?" singen.

Der Song brettert natürlich im Akkord. Der Coup ist clever, weil der Song so irritierend und weird ist, dass er wie erwartet extrem polarisiert hat, dadurch eine Menge Augen auf die Gruppen vereinte, die dann im bizarr-eingängigen Refrain und in dem großartig produzierten Rubber Bass hängengeblieben sind.

Wie macht man an diesem Punkt weiter? "Beautiful Chaos" hat keine richtig zündende Idee. "Gabriella" ist ein Latin-inspirierter Tune, der das Songthema von Dolly Partons "Jolene" in den Sound von Camila Cabellos "Havana" stopft. Es ist solide, es ist catchy, es ist radiofreundlich, aber ohne das kreative Musikvideo bleibt es nicht besonders hängen.

"Gameboy", "Mean Girls" und "M.I.A" klingen wie relativ generische K-Pop B-Seiten. Die Unterschwelligkeit erinnert an typische Tracks der fünften Generation, wie sie ihrerzeits New Jeans geprägt haben. Gerade "Mean Girls" schlägt feministische Untertöne an, bleibt aber die längste Zeit fad und unspezifisch. "And yes, God even bless the mean girls" ist irgendwie eine ulkige Line, aber Katseye fehlt im Moment die Fähigkeit, einen Vorstoß wie diesen entsprechend substanziell zu unterfüttern. Die B-Seiten hängen ein bisschen formlos in der Luft, weder Fisch noch Fleisch.

Katseye sollte eigentlich die Gruppe der Stunde sein: "Gnarly" ist ein amtlicher "All eyes on me"-Moment, die Gruppe scheint viele Bedürfnisse in der K-Pop-Community zu bedienen. Aber im Moment hält die Musik das Coolness-Versprechen der Member nur bedingt ein. Ja, sie fluchen, ja, sie sagen ein paar böse Wörter. Ja, sie sind um einiges progressiver, aber man sollte diese Art von Rainbow Capitalism vielleicht nicht sofort bejubeln, zumindest, solange die progressiven Ideale noch so perfekt mit der Zielgruppenanalyse der internationalen K-Pop-Fanbase überlappen. Aber das allein kann noch nicht der volle Umfang dieser multikulturellen Girlgroup-Revolution sein, die sie ausgerufen haben.

Trackliste

  1. 1. Gnarly
  2. 2. Gabriela
  3. 3. Gameboy
  4. 4. Mean Girls
  5. 5. M.I.A

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Katseye – BEAUTIFUL CHAOS (Chaotic Ver.) €24,99 €3,00 €27,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen KATSEYE – KATSEYE BEAUTIFUL CHAOS Album (CHAOTIC Ver)/ K-POP SEALED €28,99 €3,00 €31,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen KATSEYE – KATSEYE - [BEAUTIFUL CHAOS] (BEAUTIFUL Ver.) Photobook + Photocard + Folded Poster + Postcard + Sticker Pack + CD + Mini Zine €34,99 Frei €37,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen KATSEYE – KATSEYE - [BEAUTIFUL CHAOS] (CHAOTIC Ver.) Photobook + Photocard + Folded Poster + Postcard + Sticker Pack + CD + Mini Zine €34,99 Frei €37,99

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Katseye

Wenn man an der Spitze der Welt ist, kann man wilde Projekte anregen und kommt wahrscheinlich sogar noch damit durch. Diesen Gedanken hatte wohl der Chef …

Noch keine Kommentare