laut.de-Kritik

Musik und Text als harmonische Einheit.

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Ohne "Kling Klang" kommt heute im Land Brandenburg kein Stadtfest mehr aus. Ein Hit, der wie ein Fluch auf Keimzeit lastet, umfasst ihr Schaffen doch viel mehr als nur fröhliche Partyhymnen. So entstanden mehrere Einspielungen mit ihrem Akustikquintett und dem Filmorchester Babelsberg. "Das Schloss" stellt dagegen ein klassisches Bandalbum dar, das nahtlos an das letzte Studiowerk von 2015, "Auf Einem Esel Ins All", anschließt.

Demzufolge hat sich bis auf die staubtrockene Produktion von Moses Schneider, der in der Vergangenheit unter anderem mit den Beatsteaks und AnnenMayKantereit zusammenarbeite, nicht allzu viel an der typischen Geschichtenerzähler-Musik, die teils getragen, teils rockig klingt, geändert. Darüber hinaus fanden die Aufnahmen in einem Studio im Flughafen Tempelhof unter Livebedingungen statt. "Herausgekommen ist ein klares Keimzeit-Album, bei dem auch meine Bandkollegen zu dem Takt, den ich bestimme, gerne mitgehen", so Sänger Norbert Leisegang.

In seinen Texten verarbeitet er vor allem autobiografische Erfahrungen. Das entspannte Titelstück zu Beginn handelt zum einen von dem Schloss, in dem er bis zur achten Klasse die Schule besuchte und zum anderen um ein Schloss aus Papier, das er aus kindlichem Trotz zerstört. Häufig steht also das Aufbegehren gegen gesellschaftliche Zwänge im Vordergrund.

Auch finden sich politische Töne. Etwa, wenn sich das Keimzeit-Oberhaupt in "Nicht", das von treibendem Schlagzeug, bluesiger Saitenarbeit, dezenten Percussions und Bläsern sowie seiner nasalen, gewöhnungsbedürftigen Stimme lebt, diejenigen Personen vorknöpft, die in Zeiten von Fake News lügen, bis sich die Balken biegen.

Aktuelle Entwicklungen greift er auch in "Stillstand" auf. Wenn er davon singt, wie eine Zugfahrt wegen eines heftigen Sturms am nächsten Bahnhof endet, und die Passagiere dadurch zum Nichtstun zwingt, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht, spielt er auf die Schnelllebigkeit in unserer Gesellschaft an. Dazu passen die nach vorne gehenden, schnörkellosen Indie-Klänge.

Noch um einiges rauer fällt "Actionkalle" aus, durchzogen von polternden Drums und kernigem Gitarrenspiel. In dem Stück greift der Sänger Erinnerungen an ein Klassentreffens auf, auf dem er einige Schulfreunde traf, die sich in ihrer Schulzeit unangepasst verhielten, die sich aber mittlerweile als Ärtze oder Wissenschaftler einen Namen gemacht haben. Ein besonderes Gespür für feinsinnig lyrische Momente zeigt er gerade dann, wenn er sich auf Situationen bezieht, die viele von uns schon mal erlebt haben.

Das beweisen auch "Der Fliegende Teppich" und "Seeigel". In Letzterem verleihen schwebende Saitentöne und unaufdringliche Keyboard- und Bläsersounds seinen sowohl melancholischen als auch humorvollen Worten Eindringlichkeit: Sie handeln von zwei verliebten Seeigeln, die das Meer hinfortspült, nachdem sie sich nach sehr langer Zeit wieder am Strand begegnet sind.

Auf jeden Fall bleiben die nachdenklichen Nummern Keimzeits große Stärke. Nicht umsonst lässt uns der Sänger in "Lieblingsakkord" zu bodenständigen Bluesrock-Klängen im Refrain wissen: "Mein Lieblingsakkord mit 14 auf der Gitarre war E, E-Moll."

Letzten Endes bilden Text und Musik eine harmonische Einheit. Somit dürfte kaum ein Keimzeit-Fan von "Das Schloss" enttäuscht sein. Norbert Leisegang und Co. besinnen sich auf ihre Tugenden, einzig ein offensichtlicher Hit à la "Kling Klang" fehlt. Vielleicht auch besser so, denn einen weiteren Schlager für die Parties von Eberswalde bis Forst hat die Formation eigentlich nicht nötig.

Trackliste

  1. 1. Das Schloss
  2. 2. Lieblingsakkord
  3. 3. Der Fliegende Teppich
  4. 4. Nicht
  5. 5. Seeigel
  6. 6. Geht Schief
  7. 7. Actionkalle
  8. 8. Später
  9. 9. Wie Viel Von Deiner Liebe
  10. 10. Großes Geschrei
  11. 11. Stillstand
  12. 12. In Glasscherben

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