laut.de-Kritik
Begeisternder Auftritt mit geschminktem Orchester.
Review von Giuliano Benassi"We created another page in Kisstory tonight, this is awesome!", erklärt ein berührter Paul Stanley vor 50.000 begeisterten Zuschauern am 28. Februar in Melbournes Telstra Dome. Krachige Töne mit Streicherbegleitung - handelt es sich wirklich um einen weiteren Höhepunkt in einer Karriere, in der es an Superlativen nicht mangelt?
Die Verbindung zwischen Hardrock und Klassik ist so alt wie das Genre selbst. Deep Purple taten es, die Scorpions auch und Metallica sowieso. Aber Kiss wären nicht Kiss, würden sie andere lediglich nachahmen. Aus ihrem Oeuvre machten sie eine Symphonie, anstatt ein erlauchtes Ambiente wie ein Theater oder Opernhaus aufzusuchen, mieteten sie ein Stadion und überredeten selbst das Orchester, sich zu schminken. Nachdem er sein Abbild auch noch für den CD-Silberling hergeben musste, dreht sich Beethoven wohl ununterbrochen in seinem Grab. Selbstverständlich mit Kiss-Visage.
Das ist lustig und zahlt schon die halbe Miete. Oder eher die Nebenkosten, denn die Musik hinkt der Verpackung nicht hinterher. Die Kiss-Symphonie besteht aus drei Akten. Im ersten tritt die Band solo auf, wobei Ersatzgitarrist Tommy Thayer den untergegangenen Ace Frehley alles andere als vermissen lässt; unter dem Schmodder sehen eh alle gleich aus. Mit "Deuce", "Strutter" und "Lick It Up" sichert sich die Band die Gunst der Anwesenden, das abschließende "Psycho Circus" stammt sogar aus ihrem letzten Studioalbum.
Gut eingestimmt beginnt der zweite (akustische) Akt mit einem Höhepunkt: Zehn geschminkte Streicher plus Dirigent erscheinen auf der Bühne und stimmen "Beth" an. Schnulziger geht es kaum, aber selbst Drummer Peter Criss läuft der Schauer am Mikro hörbar den Rücken hinunter. Mit "Goin' Blind" und "Sure Know Something" gibts zwei weitere bekannte Stücke, das Intermezzo endet mit dem selten live gespielten "Shandi".
Als sich der dritte Klangvorhang öffnet, ist die Begeisterung bei Publikum und Band nicht mehr zu bremsen. Ein Höhepunkt jagt den nächsten. Perfekt abgemischt, scheinen hunderttausende Zuschauer mit zu singen. Ob "Detroit Rock City", "Do You Love Me", "Shout It Out Loud" oder "I Was Made For Lovin' You" - der Sound von Band und 60-köpfigem Orchester ist überzogen, aber gnadenlos mitreißend. Selbst der Kinderchor auf "Great Expectation" kann überzeugen. "I wanna rock'n'roll all night and party every day" ertönt es schließlich aus 50.004 Kehlen im Finale furioso. Oder eher doch nur Halbfinale? Nach unzähligen Abschiedskonzerten sind Kiss in den nächsten Monaten wieder auf ausgedehnter US-Tour. Ohne Orchester, dafür mit umso mehr Schminke.
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