laut.de-Kritik
Plastik-Synthie-Sound aus einem Land vor unserer Zeit.
Review von Pascal JürgensDie Insel der Vergangenheit
Auf der Reise nach Hawaii sitzt du in deiner kleinen Privatmaschine und gönnst dir einen kühlen Drink, während unter dir die kleinen Inseln des Pazifik vorbei sausen. Plötzlich stottert der linke Motor und du siehst eine dichte Rauchfahne aus der Verkleidung quellen. Blitzartig schnappst du den Fallschirm und springst aus der kleinen Türe, kurz bevor das komplette Flugzeug explodiert. Als du bei der nächsten Insel gelandet bist, stellst du fest, dass direkt am Strand ein kleiner Club steht. Aus dem aus Bambus zusammengebastelten Haus dringt Trance der 90er. Was tust du?
1.) Du bist restlos begeistert und ordnest deine Party-Klamotten – weiter in Abschnitt (a)
2.) Du rennst schreiend zurück ins Wasser – weiter in Abschnitt (b)
(a)
Du gehst zu der Party und stellst fest, dass die Leute dort absolut auf dem laufenden sind, was die Musik angeht: Es läuft "Some Things" von der Belgischen Band "Lasgo", die den Sommerhit "Something" lieferten und in den Benelux-Staaten monatelang die Charts dominierten. Zwölf Tracks, die allesamt gut produziert sind; Peter Luts und Dave McCullen beherrschen ihre Instrumente offensichtlich. Geradlinige Synthesizer-Melodien wie man sie schon aus den frühen 90ern kennt dominieren das Klangbild, darüber residiert die erfreulich klare und Gott sei dank nicht verzerrte oder ver-vocoderte Stimme von Evy Goffin. Doch nicht überall auf der Platte regiert der Techno-Einfluss: In "Heaven" und "Follow You" begibt man sich deutlich in den Pop-Bereich, "Cry" wagt sich als nette Abwechslung mit Tempo 80 BPM gar in ungewohnt sanfte Gefilde. So angenehm an die guten alten Zeiten erinnert, sagst du kurzerhand die nächsten Termine ab und lässt dir für morgen früh ein Zimmer im Hotel reservieren ...
(b)
Schon aus weiter Entfernung kannst du hören, weshalb es sich definitiv nicht lohnt näher zu kommen: Hier muss wohl die Zeit stehen geblieben sein. Trance? Der ist doch schon längst tot! Wer im Jahr 2001 noch versucht die Leute mit solchen billigen Tricks zu locken, ist kräftig hinterm Mond – da helfen noch nicht mal Gratis-Amphetamine am Eingang. Plastik-Synthie-Sound, eine halbwegs beliebige Frauenstimme, Trance-Beats die man schon zehntausend Mal gehört hat. Schließlich springt niemand mehr enthusiastisch in die Höhe wenn ein Produzent zum "Resonance" –Knopf seines Roland TB-303 greift. Ganz schlimm wird es, wenn Dave meint, er müsse zum Mikro greifen – du willst die Stimme ja nicht diskriminierender Weise "schwul" nennen, aber der Gedanke drängt sich dir förmlich auf. Statt in Nostalgie zu schwelgen schwimmst du deshalb zum nächsten Hafen und widmest dich den innovativeren Richtungen im weitesten Sinne elektronischer Musik.
PS: Ich entscheide mich für Antwort (b) ...
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