laut.de-Kritik
Wehmütiger Blick auf den Beginn der Soundcloud-Ära.
Review von Yannik GölzEs ist das vierte Jahr seit Lil Peeps tragischem Tod. Aus der Emo-Trap-Bewegung, die er seit 2015 maßgeblich mitgestaltet hat, ist inzwischen ein ganzes Pop-Punk-Revival erwachsen und nach mehreren Schritten in Richtung Mainstream nagen uninteressante Sellouts wie The Kid Laroi, Ian Diorr, Blackbear und 24kGoldn die letzten Reste Fleisch des Sounds für die Charts ab. Die "California Girls"-EP dagegen, die nun zeitgleich das erste Mal seit 2015 für Streaming zugänglich gemacht wird, kartographiert die radikalen Anfänge des Subgenres - und belegt, womit die Strömung ihre ersten Fans faszinierte.
Allen voran aufgrund der Beats von Nedarb: Der Produzent schmiss seinerzeit gerade das College, campierte auf den Couches von durchschnittlich talentierten Soundcloud-MCs, vereint im Traum, das nächste große Ding im obskuren Internet-Rap-Kosmos zu sein. Peep - selbst damals noch im Haus seiner Eltern lebend - machte Tag und Nacht Musik und über ein Feature entdeckten die beiden ihre Chemie. Der erste Track, den sie zusammen austüfteln, dient hier als Schlusstrack: Der unnachahmlich immersive Sad-Jam "Lil Kennedy".
Ein rotierendes, gespenstisches Piano-Sample, schlechter Aufnahmequalität geschuldete Lo-Fi-Vocals, extrem eingängige Flows. Es ist einer dieser Songs, die ein Fundament legen, auf das nicht nur Lil Peep seine Karriere aufbauen wird. "California Girls" zeigt die Flows und Vocal-Patterns, die emblematisch für Soundcloud-Rap in der 2015-2016-Ära stehen und hält Untergrund-Rap am Wendepunkt in ein neues Fahrwasser fest. Das Feature mit Members Only-Rapper Craig Xen deutet nur an, welche anderen Camps in dieser Zeit ihre ersten Schritte in Richtung Relevanz treten.
Highlights stellen zwei besonders ikonische Songs aus Peeps früher Karrierephase: "Beat It" evoziert Bilder eines mattschwarzen Konzertflügels, die sonoren Keys gehen im Gleichschritt mit einer seiner besten Vocal-Performances und einem Shoutout an Lil Tracy. Der Typ war ihm damals noch gänzlich unbekannt, saß im Gefängnis und wurde über diese Songzeile bald sein engster Kollaborateur. Wichtiger könnte nur "Beamer Boy" geraten, die Soundcloud-Hymne, die ihm den ersten Schritt in Richtung Durchbruch verschaffte.
Es war damals schon etwas Hypnotisches am Sound von "Beamer Boy". Vielleicht ist es das extrem liquide Sample einer gefilterten Gitarre gegen die desorientierten Synthesizer, das sich bewusst oder unbewusst bis in die Sounds von Atlantas kontemporären Gold-Standard-Produzenten Wheezy und Turbo vorgearbeitet hat. Aber das Kernstück an "Beamer Boy" ist nach wie vor Peep, dessen Taumeln zwischen aufgeputschter Weltherrschaftsstimmung und völlig schulterzuckender Selbstzerstörung hier erstmals richtig in Szene gesetzt wurde.
Es ist das Destillat von Rockstar-Attitüde, kopflos und virtuos zugleich, wie er sich im Laufe dieser EP durch seine extrem widersprüchlichen und kontrastierenden Gedanken wälzt. Nedarbs Produktion zeigt, wie nah die Wurzeln der Emo-Trap-Welle an anderen Internet-basierten Genres der Zeit lagen. Man hört sehr viel Einflüsse aus dem Witch House-Genre, Anleihen aus Blanc Banshee-eskem Vaporwave und Verzerrung und Klangkulissen düsterer Ambient-Produktionen, die in seinen Sample-Pool fließen. Instrumentals wie das ätherisch formlose "California World" geben Peep die psychedelischsten Kulissen, mit denen er je arbeitete. Für ihn gilt diese Frische aber auch: So klar wie nie wieder hört man hier die Rap-Einflüsse des MCs, der offensichtlich in seiner Jugend viel Chief Keef und Gucci Mane gehört haben muss.
Es ist ein wehmütiger, aber aufschlussreicher Blick in die Historie des Online-Raps, den das Re-Release dieser kurzen EP ermöglicht. Einen Song vor dem endgültigen Takeoff sammeln Lil Peep und Nedarb die Blueprints für eine der spannendsten und einflussreichsten Strömungen der Hip Hop-Szene des letzten Jahrzehnts. Und auch wenn sich vieles seither in eine andere Richtung entwickelt hat, hält der Sample-basierte Lo-Fi-Sound von 2015 auch heute noch jedem kritischen Blick stand. "California Girls" ist für jede Sad-Rap-Playlist absolut angebracht.
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