laut.de-Kritik

The night of the living girlboss.

Review von

Es fühlt sich falsch an, ein neues Lizzo-Tape in den Händen zu halten. Auch, wenn die Frau ihren viralen Durchbruch 2019 feierte, wirkt sie heute historisch wie der letzte, in der Zeit verschobene Außenposten der Obama-Ära. "Truth Hurts" und "Juice" bleiben gute Songs, aber selbst damals passte ihre gutgelaunt-süß-inspirierende Protagonistin nicht in den Xanax-depressiven Pop-Zeitgeist. Jetzt sind noch ein paar Jahre vergangen, Lizzo war in einen Skandal über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verwickelt, hat mit Ozempic einen ganzen Haufen Gewicht verloren und kehrt mit einem falschen, breiten Grinsen zurück. "My Face Hurts From Smiling" wirkt, als hätte sie sich der depressiven Welt angenähert. Aber statt das in ihre Kunst fließen zu lassen, bekommen wir vierzig Minuten lang den wohl durchschaubarsten Akt der Verdrängung der Musikgeschichte.

Dabei muss man einlenken: Wir haben hier nur das Mixtape vor dem Album in den Händen. Angeblich war sie nach einem viralen Freestyle zum Rappen inspiriert und riss dieses Tape in gerade einmal drei Tagen runter. Trotzdem ist bemerkenswert, dass sie diese uninspirierte Fingerübung tatsächlich als veröffentlichenswert zu empfinden scheint. Es kann kein gutes Zeichen sein, wenn schon das Albumkonzept eine defensive, abwimmelnde Geste darstellt. Haha, guck, wie albern wir das alles nehmen, das hier ist nur Spaß, sonst nichts.

Soll sie gerne machen! Das Problem: Nichts hieran macht Spaß. "My Face Hurts From Smiling" zeigt eine kreativ ausgebrannte Lizzo, die sich hinter phrasigen Affirmations versteckt. Immer wieder schimmert durch, dass die Ereignisse der letzten paar Jahre und der Diskurs um sie an ihr nagen. Würde sie es emotional interessant in diesem sehr lyrischen Genre adressieren (und wäre es auch eine imperfekte Gegen-Offensive), wäre das immerhin eine spannende Nutzung des Genres. Aber nichts davon. Alles, was dieses Tape halbwegs hätte interessant machen können, versinkt treibsandig im halbintendierten Subtext. Was wir stattdessen bekommen, ist ziemlich nervtötend.

Sie ist immer noch "that bitch", sie ist immer noch die Coolste. Jegliche emotionale Nuance wird mit Girlboss-Plattitüden und furchtbaren Bars plattgewalzt. "Come get a hug, sexy little thug / Back it on up like a U-Haul truck / Throwin' that cash all up on that ass / Money keep comin', so we spend it fast", rappt sie zum Beispiel auf "Droppin On It". Aber man könnte diese Art Lyrics an jeder Stelle der Tracklist abschöpfen. Für Freestyles ist das alles handwerklich rund, das mag sein. Aber es ist nicht so, als würde sie den eh schon recht uninspiriert-poppigen Zaytoven-Beats irgendetwas von Belang abtropfen. Monoton-gleichförmig girlbosst sie sich durch die Laufzeit und schrammt immer wieder kritisch an die Cringe-Untergrenze.

Abgesehen davon gibt es: Gimmicks! Jedermanns Lieblings-Element dieses Genres. "New Mistakes" interpoliert für einen Refrain die Melodie von "Für Elise". "Leftright" nimmt einen der billigsten Westküsten-Beats, die man je hören wird, um halbironisch darüber zu singen. Höchstens für zwei halbgare Auftritte von SZA oder Doja Cat gibt sich Lizzo ein kleines bisschen Mühe. Den Rest der Zeit verbringt sie im Autopilot.

Und es ist ulkig, immerhin hatte Lizzo auf ihren letzten Alben sicher nicht zu wenig Persönlichkeit, oder? Es scheint, als wäre der virale Efolg von ihrem "Yitty On Yo Titties"-Freestyle für sie die erste positive Aufmerksamkeit in Monaten gewesen - und jetzt ist sie bereit, dieselbe Formel noch ein paar Dutzend Mal zu bespielen. Am Ende des Tages klingt sie dabei wie die betrunkene Tante auf der Familienfeier, der der Alkohol verschweigt, dass die anderen sie nicht so witzig finden.

Warum also dieses Tape? Es ähnelt formell Megan Thee Stallions "Something For Thee Hotties"-Mixtape, das an sich schon nicht besonders gut war, aber: Für Lizzo ist das nicht einmal ein back to the basics-Manöver. Theoretisch ist das für sie ein Vorstoß in einen neuen Sound. Und wenn die Selbstrealisierung in einem neuen Genre so wenig kreativen Funken hervorbringt und sich emotional so unehrlich anfühlt, birgt das wohl keine guten Zeichen für ihr nächstes Studioalbum. Was übrig bleibt, ist sogar ein Titel, der so aufgesetzt und gezwungen wirkt, dass man glauben mag, nicht einmal Lizzo habe den blassesten Schimmer, wie Lizzo nach 2025 passen solle.

Trackliste

  1. 1. Crashout
  2. 2. Yitty On Yo Titties (Freestyle)
  3. 3. Just 4 Fun
  4. 4. Gotcho Bitch
  5. 5. Still Cant Fuh (feat. Doja Cat)
  6. 6. New Mistakes
  7. 7. Bend It Ova
  8. 8. Leftright
  9. 9. Droppin On It
  10. 10. Summa Shit
  11. 11. IRL (feat. SZA)
  12. 12. Cut Em Off
  13. 13. Ditto

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